Politik

Um die systematische Zerstörung der Ozeane zu verhindern, müssen wir uns gemeinsam dafür entscheiden.
Jeder für sich und alle zusammen als Teil von Politik und Wirtschaft.

Unter die Erde kehren

Mittelalterlicher Stich zum Ablasshandel

Ablasshandel im Mittelalter / © Wikimedia Commons

Ein Gastbeitrag von Nico Czaja

 

Über die subterrane Unterbringung von CO mittels CCS¹ als MZBDKW²

 

Ich war mal Katholik und bin damit ein Experte für Schuld, Sühne und die kundige Verrechnung der beiden miteinander. Die Zweischneidigkeit des Konzeptes “Beichte” gehört zu meinen faszinierendsten Kindheitserinnerungen: Wie schön und klug und, ja, christlich von der katholischen Kirche, einen institutionellen Raum zu öffnen, in dem man sich den eigenen Verfehlungen stellen, um Vergebung bitten und Nachsicht erfahren kann – und wie interessant die Anreize, die es setzt, wenn jede Sünde einen überschaubaren Gegenwert in Bußehandlungen hat. Und rumsdibums hatte ich ganz allein die Grundprinzipien des Ablasshandel erfunden. Mit zehn Jahren!

Schade, dass mir das Mittelalter knapp zuvorgekommen war, so dass meine Erfindung mir zwar die Navigation meines Alltags erleichterte (heimlich Schokolade der kleinen Schwester essen kostet zwei Vaterunser, alles klar, rechnet sich, los geht’s), aber darüber hinaus keine großen gesellschaftlichen Umwälzungen nach sich zog. 

Das Mindeste, das mir von damals noch bleibt, ist die Erkenntnis: Wenn man nicht aufpasst, kann sich ein nützliches Werkzeug, das eigentlich für die Verminderung des Ausstoßes von Sündhaftigkeit in die Atmosphäre gedacht ist, schnell in eines verwandeln, das nur dazu dient, dem fortgesetzten Emittieren von Sünde einen leuchtenden Anstrich von Frömmigkeit zu verleihen, damit man vor sich selbst und der Welt unverdient als Gutmensch dastehen darf.

 

Cross Country Skiing?

Damit bin ich ganz offensichtlich Experte erster Wahl, um über ein Thema zu sprechen, das so sperrig ist, dass es noch nicht einmal einen griffige deutsche Bezeichnung dafür gibt, nämlich über das sogenannte CCS. 

Gemeint ist damit die unterirdische Kohlendioxidspeicherung (Carbon Capture and Storage). Es handelt sich hierbei um eine Reihe von Technologien in unterschiedlichen Reifestadien, mit denen CO₂, das im Rahmen von Verbrennungsprozessen mit fossilen Brennstoffen zum Beispiel in Kraftwerken oder bei bestimmten Prozessen in der Schwerindustrie entsteht, abgeschieden, herausgefiltert oder sonstwie entnommen wird, um es zum Beispiel in erschöpften Gas- oder Erdöllagerstätten für immer und ewig einzulagern, damit es nicht in die Atmosphäre geraten und dort zum Klimawandel beitragen kann.

Die veraltete Technologie Baum, von der einige ewiggestrige Traditionalisten behaupten, dass sie doch eine ganz ähnliche Aufgabe übernehme, ist hier explizit nicht gemeint. (Man muss auch durchaus zugeben, dass die zumindest in dieser Hinsicht derzeit tatsächlich ein Imageproblem hat.)

 

Also eine total gute Idee?

Das klingt natürlich erstmal knorke, und “die Wissenschaft”, beziehungsweise ein groß genuger Anteil der Wissenschaft, dass das so beim Umweltbundesamt stehen kann, ist der Meinung, dass man theoretisch auf diese Weise 65 bis 85 Prozent des bei diesen Prozessen entstehenden CO₂ dauerhaft aus der Atmosphäre fernhalten kann. Ob die CCS-Technologien, die derzeit im Gespräch sind, dieses Versprechen tatsächlich in absehbarer Zeit einlösen können, steht auf mehreren anderen Blättern:

  • Eine Studie des IEEFA (Institute for Energy Economics and Financial Analysis, ein gemeinnütziger Thinktank in den USA) hat 13 solcher Projekte untersucht, die zusammen über die Hälfte aller weltweit installierten CCS-Kapazitäten ausmachen, und kam zu einem eher unterwältigenden Ergebnis – sieben dieser Projekte bleiben bisher deutlich hinter den Erwartungen zurück, zwei sind gescheitert, eines ist bis auf weiteres auf Eis gelegt.
  • Fast drei Viertel des derzeit weltweit aufgefangenen CO₂ fallen in der Ölindustrie an und werden dort auf eine Weise genutzt, über deren positive Klimawirkung man, naja, streiten kann: EOS (enhanced oil recovery) heißt das Verfahren, in dem man eingefangenes Kohlendioxid in erschöpfte Ölfelder hineinpumpt, um die letzten Tropfen Öl aus ihnen herauszudrücken. Dabei werden direkt und indirekt weitere Emissionen verursacht: Direkte durch die riesige Menge fossiler Energie, die verwendet wird, um das Gas zu komprimieren und unter die Erde zu pumpen; indirekte durch das so geförderte Öl, das ohne CCS brav im Boden geblieben wäre und nun unvermeidlich zusätzlich irgendwo in Verbrennungsprozessen landet.
  • Unter der Erde eingelagerte Klimagase müssten theoretisch über Jahrhunderte auf Lecks überwacht werden, um sicherzustellen, dass sie dort auch bleiben. Wer das wie bewerkstelligen soll, ist unklar; wer privaten Unternehmen zutraut, das zu übernehmen, gegebenenfalls auch noch lang, nachdem mit einer Anlage alle Profite gemacht sind, die man hat machen können, soll das tun; das Umweltbundesamt, das eine Reihe von Vorgaben für das Monitoring solcher Lagerstätten aufgestellt hat, stellt jedenfalls nüchtern fest: “Bisher ist dem Umweltbundesamt nicht bekannt, dass die Einhaltung dieser Monitoringvorgaben durch Studien, Forschungen oder in der Praxis belegt worden wäre.” 

 

Aufs richtige Pferd setzen

Aber vielleicht macht die Technologie da noch große Sprünge! Vielleicht wird CCS irgendwann so günstig, oder der CO₂-Preis so hoch, dass es sich trotz der oben erwähnten Komplikationen und Risiken richtig lohnt! 

Heute ist das zwar definitiv nicht der Fall, und wie viel Zeit bis dahin vergehen wird, wissen wir nicht so ganz genau. Aber vielleicht ist auch ENDLICH MAL ein bisschen Optimismus fällig? Immer diese Schwarzmalerei! Warum langweilige, bewährte Technologien verwenden, die wir schon haben, anstatt auf aufregende Innovationen zu spekulieren? Wir haben so viele Möglichkeiten, tolle Sachen zu erfinden, mit denen wir das Klima in den Griff bekommen können: CCS! Fusionsreaktoren! Warpkerne! Teleporter! Marskolonien! Künstliche Gehirne! Zeitmaschinen! 

Weil es Quatsch ist, deshalb. Weil wir den allergrößten Teil der Lösung schon haben. Weil es allzu leicht zum Vorwand wird, eine fossile Industrie noch ein bisschen länger für Profite zu melken, die eigentlich längst auf dem Weg zur Tür ist. Wie ich, der die Schokolade klaut und sich sagt, dass man das ja morgen oder halt wann anders locker beichten und dann mit ein zwei Ave Marias gegensteuern kann. In der Hinsicht ticken mein zehnjähriges Ich und Unternehmen der fossilen Wirtschaft ganz ähnlich, wir brauchen beide solide Anreize, um die Leerstelle zu füllen, wo bei anderen der moralische Kompass sitzt.

Aber eigentlich sollte inzwischen auch in den letzten Hirnzellen der letzten Köpfe des letzten CEOs, der letzten Politikerin angekommen sein, dass ausgerechnet Zeit eine der wenigen Ressourcen ist, die wir nicht haben.

 

Also eine total schlechte Idee?

Marc Z. Jacobson, ein überaus renommierter Klimaforscher, ist der Meinung, dass CCS Schnickschnack ist – wir müssen lediglich alles, was wir haben, in den Ausbau der Erneuerbaren stecken, um hundertprozentige Klimaneutralität zu erreichen, alles andere sei teure Zeitverschwendung und/oder ein Feigenblatt für rückständige Industrien. 

Damit gilt er auch unter seinen Kolleginnen und Kollegen als Radikaler. Denn dass wir zum Ausgleich tatsächlich unvermeidbarer Emissionen vor allem in bestimmten industriellen Prozessen, bei der Zementherstellung und in der Landwirtschaft zum Beispiel, nicht ganz ohne irgendeine Form von CO₂-Entzug aus der Atmosphäre auskommen werden, sei es direkt an der Quelle, wo die Emissionen entstehen, oder in der freien Wildbahn aus der Luft, scheint in der Wissenschaft Konsens zu sein.

Wirft man aber einen genaueren Blick auf diese beiden Sichtweisen, geht es dabei eher um Nuancen denn um vollständig unterschiedliche Ansätze. Einig ist man sich nämlich über alle Lager hinweg, dass der Weg in die Klimaneutralität im Rahmen des Vorsorgeprinzips zuallererst über Vermeidung von Emissionen erfolgen muss, also durch den Ersatz klimaschädlicher durch klimaneutrale Produkte und Technologien. Damit kommt man schon sehr weit.

Wie weit genau, darüber wird gestritten, und diese verbleibenden Meter auf dem Weg zur Netto-Null – sind es 15 Prozent? Sind es keine? – das ist die Arena, in der die Debatte zwischen Jacobson und weiten Teilen der wissenschaftlichen Gemeinschaft stattfindet.

Erst an diesem Punkt kommen die natürlichen (z.B. Bäume) und dann die technischen (z.B. CCS) CO₂-Senken ins Spiel: Dort, wo gar nichts anderes sinnvoll, technologisch möglich, effizient, bezahlbar ist; dort also, wo sein Einsatz tatsächlich zu einer Netto-Verminderung des CO₂-Gehalts in der Atmosphäre führt, anstatt dass man nur mit der einen Hand mühsam rauskratzt, was man mit der anderen fröhlich weiteremittiert. Zusätzlichkeit heißt das Zauberwort.

Und bittesehr in genau dieser Reihenfolge. Es mag zwar tragischerweise an nicht-kaputten Systemen für die Bemessung und Zertifizierung tatsächlich eingesparter Emissionen in Klimaschutzprojekten fehlen, aber das Einspeichern von CO₂ in Biomasse birgt ein gigantisches Potential. 

Wälder und Wiesen sind super, aber bei Weitem nicht das Einzige, das wir haben: Mit jedem Hektar wiedervernässtem Moor (da gäbe es einiges zu tun) binden wir so viel CO₂ wie mit sechs Hektar Wald, und Küstenökosysteme wie Seegraswiesen, Mangrovenwälder und Salzmarschen speichern je nach Standort pro Fläche sogar das Fünf- bis Dreißigfache.

Also: Wir kommen allem Anschein nach nicht ohne CCS aus. Deswegen ist es vermutlich durchaus sinnvoll, die zugehörigen Technologien im Auge zu behalten und weiterzuentwickeln.

Aber der Einsatz von CCS ist ganz massiv eine Frage der Priorisierung. Als Heilserwartung, zu deren Gunsten wir auf die aggressive Förderung bereits erprobter und nachweislich wirkungsvoller Technologien verzichten könnten, taugt es nicht; als lebensverlängernden Ablasshandel für die fossile Industrie brauchen wir es umso weniger.

 

Ein Licht am Ende des Ölfelds

Vielleicht, und hier sei wirklich einmal ein wenig Optimismus ins Spiel gebracht, ist dieser letzte Punkt aber auch ein bisschen eine Phantomdebatte. Vielleicht haben viele entscheidende Köpfe ja doch schon begriffen, dass die Transformation in die Fossilfreiheit längst kein allein grünes Thema mehr ist. Vielleicht sind wir inzwischen ja doch an einem Wendepunkt angelangt. Denn, Bayern hin oder her, weltweit ist der Zubau an Gas- und Kohlekraftwerken im Vergleich zu den Erneuerbaren zuletzt deutlich auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit, und selbst eine scheinbar so harte Nuss wie Texas (Texas!) ist im Begriff, Deutschland zu überholen in Sachen Ökostrom-Anteil. Und das geschieht nicht, weil plötzlich auch die konservative Mehrheit endlich ihr grünes Herz entdeckt hat: 

Windräder sind dort inzwischen in vielen Fällen profitabler als jede andere Landnutzung.

Nico Czaja für DEEPWAVE

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¹ Carbon Capture and Storage
² Maßnahme zur Bekämpfung des Klimawandels

Tiefseebergbau: Folgen noch nicht abzusehen

Ein Experiment mit echten und künstlichen Manganknollen auf dem Meeresboden in der Tiefsee

© ROV-Team/GEOMAR / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Manganknollen sind durch die enthaltenen Metalle von hohem wirtschaftlichen Interesse und sollen in großem Maße kommerziell abgebaut werden. Ein solches Gerät – größer als ein Panzer – pflügt die oberen Zentimeter des Meeresbodens komplett um, und zerstört dabei das komplette benthische Ökosystem. In den 1970er- und 1980er Jahren wurden erstmals Versuche zum Abbau von Manganknollen gestartet und die Spuren davon sind immer noch zu sehen. Da Tiefseeorganismen durch einen zurückgefahrenen Stoffwechsel nur sehr langsam wachsen, wird damit gerechnet, dass das Ökosystem viele Jahrhunderte bis Jahrtausende braucht, um sich wieder zu erholen. Wie lange diese Erholung nach dem Abbau von Manganknollen dauert, soll ein Experiment mit künstlichen und gereinigten echten Knollen zeigen, die seit 2019 in 4500 Metern Tiefe im Pazifischen Ozean liegen. Das obere Bild zeigt das Experiment, welches dreißig Jahre lang durchgeführt werden soll.

Während in der Tiefsee die Zeit nur langsam vergeht, drängt sie an der Oberfläche. Da der Inselstaat Nauru durch eine Zweijahresfrist, ausgelöst durch einen Antrag im Sommer 2021, mit dem Abbau von Manganknollen beginnen möchte, muss die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA, engl: International Seabed Authority) bis zum Sommer über den kommerziellen Tiefseebergbau entscheiden. Die ISA ist verantwortlich für die Entscheidung, ob und wie Manganknollen und andere metallreiche Gesteine in internationalen Gewässern kommerziell abgebaut werden dürfen. Bisher wurden nur Lizenzen vergeben, um einen möglichen Abbau zu erforschen. Ohne eine Einigung bis zum Sommer gilt für Nauru das bis dahin ausgehandelte Recht – mit unvorhersehbaren Folgen für das Ökosystem.

Den zugehörigen Artikel „Folgen noch nicht abzusehen“ von Yasmin Appelhans, NDR vom 22.02.2023 findet ihr bei der tagesschau.

Hier findet ihr ein Interview über die Probleme des Tiefseebergbaus mit Bundesumweltministerin Steffi Lemke.

Eine neue Studie widerlegt das Hauptargument der Tiefseebergbau-Industrie, dass die Metalle aus den Manganknollen für einen Wandel hin zu E-Mobilität und grünen Technologien nötig sind.

Deutschland hat bereits bei den in Jamaika laufenden Verhandlungen im Rahmen der ISA eine „precautionary pause“ gefordert, da das vorhandene Wissen nicht ausreicht, um ernsthafte Umweltschäden durch den Tiefseebergbau auszuschließen.

Allererste Fischereimaßnahmen in deutschen Nordsee-Schutzgebieten treten in Kraft

Fischereimaßnahmen: Mehrere bunte Fischereinetze liegen am Steg übereinander

© Nadine Doerlé / Pixabay

Pressemitteilung, 16.02.2023, BUND

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) begrüßt die heute veröffentlichten EU-Fischereimaßnahmen, die Lebensräume und Arten in den deutschen Schutzgebieten der Nordsee vor Fischerei mit Grundschleppnetzen und Stellnetzen schützen werden.

Damit folgen 20 Jahre nach den ersten Bemühungen endlich die ersten wirksamen Fischereimaßnahmen. Der Weg zum Schutz von artenreichen Riffen, Sandbänken und gefährdeten Meerestieren war steinig und langwierig. Schon 2004 nominierte Deutschland drei Natura-2000-Gebiete in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee hinter dem Küstenmeer.

Die neuen Regelungen schränken die Fischerei am Meeresboden in großen Gebieten ein. Die grundberührenden Fangmethoden zerstören durch den direkten Kontakt mit dem Meeresgrund ganze Lebensräume und stehen damit seit langem in der Kritik. Während das Gebiet Borkum Riffgrund vollständig für Grundschleppnetze gesperrt wird, sind im Sylter Außenriff nur knapp zwei Drittel (62 Prozent) des Schutzgebietes ausgenommen. Auf der Doggerbank, der größten Sandbank der Nordsee, fehlen die Maßnahmen zur Grundschleppfischerei allerdings noch komplett.

Die Stellnetzfischerei wird im Sylter Außenriff während der Zeit, in der sich Schweinswale fortpflanzen und ihre Jungen zur Welt bringen, zukünftig verboten. Für die kleinen Meeressäuger ist der Beifang in Stellnetzen eine der größten Bedrohungen. In den Gebieten Doggerbank und Borkum Riffgrund, in denen die Schweinswale auch vorkommen, wird lediglich der Fischereiaufwand mit Stellnetzen begrenzt. Eine zeitliche Schließung gibt es nicht.

Im Sylter Außenriff hat Deutschland auch endlich seine erste fischereifreie Zone. Allerdings sind es nur 0,64 Prozent der deutschen Meeresschutzgebiete der Nordsee, die nun für jegliche Form der Fischerei geschlossen sind.

Der BUND fordert seit jeher, dass mindestens 50 Prozent aller deutschen Meeresschutzgebiete frei von allen Nutzungen inklusive Fischerei sein müssen. Es bleibt also Nachbesserungsbedarf: Die Grundschleppnetzfischerei muss vollständig aus allen Meeresschutzgebieten ausgeschlossen werden. So fordert es auch der Fischerei-Aktionsplan, den die Europäischen Kommission nächste Woche veröffentlicht. Auch die Einschränkung der Stellnetzfischerei muss auf alle Gebiete ausgeweitet werden. In der Ostsee fehlen ebenfalls noch Maßnahmen.

„Heute wurde der erste Schritt für eine Meereswende gegangen. Aber Deutschland muss direkt in die Vorbereitung für weitere EU-Maßnahmen einsteigen, um zügig die übrigen zerstörerischen Fischereiaktivitäten in den Schutzgebieten vollständig zu beenden“, sagte Nadja Ziebarth, BUND-Meeresschutzexpertin. „Der Prozess hat zu lange gedauert und wichtige geschützte Lebensräume wurden in der Zwischenzeit zerstört. Damit die Lebensräume zukünftig wieder hergestellt werden können, muss sich Deutschland zusätzlich für ein starkes Gesetz zur Wiederherstellung der Natur auf EU-Ebene einsetzen.“

Diese Pressemitteilung findet ihr beim BUND.

Grundschleppnetzfischerei zerstört nicht nur komplett den Meeresboden, sie setzt außerdem genauso viel CO2 frei wie Flugreisen. Trotzdem haben sich die drei Küstenbundesländer Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen gegen die Fischereimaßnahmen im Fischerei-Aktionsplan ausgesprochen.

NABU: Notverordnung verschärft Konflikte beim Ausbau der Windenergie auf See

Windenergie: Nahaufnahme einer Windturbine in Schleswig-Holstein

© Waldemar / Unsplash

Pressemitteilung, 27.01.2023, NABU

Krüger: Abbau ökologischer Standards wird den Ausbau nicht beschleunigen

Berlin – Das Bundeskabinett will zeitnah eine Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag des Raumordnungsgesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien an Land und auf See auf den Weg bringen. Aus Sicht des NABU verschärft das die Konflikte zwischen dem Ausbau der Offshore-Windenergie und dem Meeresnaturschutz.

„Die Bundesregierung verschläft notwendige Maßnahmen zur Beschleunigung von Genehmigungsprozessen, während sie weiter Umweltstandards abbaut. Im Schnelldurchgang sollen drei Jahrzehnte etabliertes Planungsrecht einkassiert werden, ohne tatsächliche Chance auf schnellere Energieunabhängigkeit durch Offshorewind“, kritisiert NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger.

Die Formulierungshilfe für das Raumordnungsgesetz sieht weitere Einschränkungen des Naturschutzrechts beim Ausbau der Windenergie in Nord- und Ostsee vor. So sollen die Umweltverträglichkeitsprüfung und die artenschutzrechtliche Prüfung für den Zubau von insgesamt 8,8 Gigawatt Offshore-Windstrom ausgesetzt werden, selbst auf bisher nicht voruntersuchten Flächen. Damit geht die so wichtige kumulative Folgenabschätzung tausender Windräder auf See und der europarechtlich verankerte Ökosystemansatz verloren, ohne gleichzeitig die strategische Umweltprüfung qualitativ zu stärken.

„Eine Verdopplung der Kapazitäten auf See ohne ernsthafte naturschutzfachliche Vorbereitung grenzt an Russisch-Roulette. Trotz Datenlücken sollen Windparks genehmigt werden. Offensichtlich haben sich grüne Umweltpolitiker*innen erfolgreich um Schadensbegrenzung bemüht, doch erneut negiert das federführende Wirtschaftsministerium die gleichberechtigte Herausforderung des Natur- und Artenschutzes und auch die SPD versucht ökologische Standards zugunsten jeglicher wirtschaftlicher Infrastruktur abzubauen“, so NABU-Leiter Meeresschutz Kim Detloff.

Positiv ist, dass die neuen Maßnahmen nicht auf die kritischen Standorte der Ostsee angewendet und zeitlich auf die Jahre 2022 und 2023 befristet sind. Damit müssen sich Projekte wie der vom NABU kritisierte Windpark Gennaker in der Vogelzuglinie Rügen-Schonen weiter der Umweltprüfung stellen.

Gleichzeitig kritisiert der NABU die viel zu niedrige finanzielle Beteiligung der Windparkbetreiber an notwendigen Vermeidungsmaßnahmen für geschützte Arten. „Milliardenschwere Infrastrukturprojekte sollen sich billig aus der Verantwortung für die Meeresnatur kaufen dürfen. Der jährlich zu leistende Betrag muss deutlich auf mindestens 12.000 Euro pro Megawatt Leistung erhöht werden, wie es auch an Land üblich ist“, so Detloff. Besorgt sind die Umweltschützer auch, dass die Vorgabe von Schutz- und Vermeidungsdaten ohne entsprechende Daten nur schwer möglich ist. Hier müssen das Bundesamt für Naturschutz und das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) eigenständiger und dem Vorsorgeansatz folgend Maßnahmen anordnen können. Dazu gehören obligatorische Radarsysteme und Abschaltautomatiken für Fledermäuse, bei Massenzugereignissen und während sensibler Rastzeiten.

Ob der Abbau von Umweltstandards den Ausbau der Windkraft tatsächlich beschleunigen, steht für den NABU dabei in Frage. Bisherige zeitliche Planungen des BSH orientieren sich auch an der technischen Umsetzbarkeit. Und auch ohne seriöse Umweltprüfungen gibt es weder mehr Errichterschiffe, technisches Personal, Blasenschleier und lösen sich auch keine Lieferengpässe am Beton- und Stahlmarkt auf.

Der NABU appelliert an die Mitglieder des Deutschen Bundestags, der Gesetzesänderung in ihrer heutigen Form nicht zuzustimmen. Insbesondere alle Flächen, die an Schutzgebiete grenzen und wo marine Schutzgüter der FFH- und Vogelschutz-Richtlinie Verbreitungsschwerpunkte haben – Schweinswale oder streng geschützte Seevögel – müssen auch zukünftig einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden.

Hintergrund EU-Notverordnung

Mit der Umsetzung der EU-Notverordnung um eine Änderung des Raumordnungsgesetzes, plant die Bundesregierung zur Verfahrensbeschleunigung nach dem sogenannten Osterpaket weitere beschleunigende Maßnahmen für den Ausbau erneuerbarer Energien auf See, an Land und für die Stromnetze. Für den Bereich der Nord- und Ostsee hat das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie mit dem Flächeentwicklungsplan Offshore (FEP) am 20. Januar 2023 einen verbindlichen Fahrplan vorgelegt, um das gesetzliche Ausbauziel von 30 GW bis 2030 zu erreichen bzw. sogar zu übertreffen. Und das mit den heute gültigen Umweltprüfungen. Das zeigt eindeutig, dass eine weitere Privilegierung der Offshore-Windenergie über die Festlegungen des Windenergie-auf-See-Gesetzes in seiner 2022 geänderten Form unnötig ist. Die Notverordnung in ihrer jetzigen Form setzt damit allein die planerische Qualität herab und senkt die Kosten der Betreiber, wird aber weder zu mehr noch schnellerer erneuerbaren Energie vom Meer führen.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Gegen den Offshore Windpark Butendiek hat der NABU bereits erfolgreich Revision eingelegt. Die Pressemitteilung dazu findet ihr hier.

LNG-Terminals gehören auf den Prüfstand

LNG: Fünf Kräne des Hamburger Hafens in der Dämmerung

© Marius Niveri / Unsplash

Pressemitteilung, 20.01.2023, BUND

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Naturschutzbund Deutschland (NABU) fordern anlässlich der heutigen Einweihung des LNG-Terminals in Brunsbüttel und des Baubeginns weiterer LNG-Terminals, die Anzahl neuer Anlagen stark zu beschränken und die gesetzlichen Grundlagen zu überarbeiten.

Die Umweltverbände haben beim zuständigen Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg Widerspruch gegen die immissionschutzrechtliche Genehmigung des LNG-Terminals in Wilhelmshaven eingelegt. Diese wurde mit der Inbetriebnahme des schwimmenden LNG-Terminals in Wilhelmshaven veröffentlicht.

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Ein Ende der Gasmangellage ist in Sicht, umso weniger sinnvoll wirkt die überdimensionierte neue Infrastruktur für flüssiges Gas an unseren Küsten. Spätestens jetzt muss das LNG-Gesetz, das eigens geschaffen wurde, um die Planung und Genehmigungen zu beschleunigen, auf den Prüfstand. Denn die ausgesetzten Umweltprüfungen und Beteiligungsverfahren werden wir bitter mit Schäden in sensiblen Ökosystemen bezahlen. Umso wichtiger ist es, dass wenigstens der Klimaschaden und die Laufzeit der Genehmigung für den Import von fossilem Gas strikt begrenzt wird. NABU und BUND werden deshalb gemeinsam auf dem Klageweg den Druck auf die Bundesregierung erhöhen.”

Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND: „Der Betrieb des LNG-Terminals ist mit den Anforderungen des Klimaschutzgesetzes nicht vereinbar. Die Laufzeit bis zum Jahr 2043 widerspricht der schon ab dem Jahr 2030 nötigen Umstellung auf grünen Wasserstoff. Anders als häufig unterstellt, sind schwimmende LNG-Terminals nicht Wasserstoff-Ready. Die Genehmigung sollte deshalb in ihrer jetzigen Form nicht bestehen bleiben. Stattdessen muss die Laufzeit von LNG-Terminals in Wilhelmshaven und anderswo stärker zeitlich begrenzt werden. Klimaminister Robert Habeck hat den Behörden einen Bärendienst mit seinen gesetzlichen Vorgaben erwiesen. Diese berücksichtigten den Klimaschutz nicht ausreichend und führen jetzt zu falschen Abwägungen in den Behörden. Wir werden vor dem Bundesverwaltungsgericht klagen, sollte der Widerspruch zurückgewiesen werden.“

Diese Pressemitteilung findet ihr beim BUND.

Warum Flüssiggas für unser Klima so schädlich ist, könnt ihr in unserem Post „LNG: Gut für die Luft, schlecht fürs Klima?“ nachlesen.

BUND gegen Kohlendioxid-Deponien im Meer oder an Land

CCS: Kohlendioxid-Deponie; Wolken ziehen sich im Hintergrund zusammen

© Peabody Energy, Inc. / Wikimedia Commons (CC BY 3.0)

Pressemitteilung, 21.12.2022, BUND

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) verurteilt die heutige Ankündigung der Bundesregierung, jährlich viele Millionen Tonnen Industrie-CO2 abscheiden und deponieren zu wollen (Carbon Capture and Storage, CCS), anstatt die Emissionen im Industriesektor zu reduzieren.

Der BUND kritisiert ebenfalls geplante Subventionen für CCS über so genannte Klimaschutzverträge in Milliardenhöhe und den Vorstoß von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die Speicherung von CO2 im Boden im industriellen Maßstab kurzfristig zuzulassen. Heute hat das Bundeskabinett den Entwurf des Evaluierungsberichts zum Kohlendioxidspeicherungsgesetz (KSpG) beschlossen. In dem Gesetz wird seit 10 Jahren die Einlagerung von Kohlendioxid in Gesteinsschichten geregelt. Bisher war CCS nur in begrenzten Mengen zu Forschungs- oder Demonstrationszwecken erlaubt.

Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender: „Es ist brandgefährlich für den Klimaschutz, dass die Evaluierung des CCS-Gesetzes so stark von Industrieinteressen überlagert wurde. Sie wollen ihre klimaschädigenden Abgase einfach unter der Nordsee deponieren, anstatt ihre Emissionen endlich zu reduzieren. Aber die Meere sind nicht die Müllhalde der Menschheit oder eine Deponie für Klimamüll. CO2 dort zu verpressen ist profitabel für die Gasindustrie, aber bedroht nachweislich den Lebensraum am Meeresboden – denn langfristig sind Leckagen einkalkuliert. Die Nordsee ist auch ohne neue CO2-Industrie schon übernutzt. Die Meere sind für das Überleben der Menschen zentral und brauchen unseren uneingeschränkten Schutz. Die Ampel muss sich zum Vorsorgeprinzip und zum Schutz der Meere bekennen und darf den klimaschädlichen Phantasien der Industrie nicht nachgeben.“

Statt die industriellen Emissionen so zu reduzieren, wie es vom Klimaschutzgesetz verlangt wird, versuchen Industrievertreter*innen das Verpressen von Treibhausgasen als Klimaschutz zu vermarkten. Diese Debatte ist nicht neu. Bereits vor zehn Jahren versuchte die Energiewirtschaft, CCS an Kohlekraftwerken als vermeintliches Zukunftsmodell zu verkaufen. Vor allem in Norddeutschland fanden daraufhin große Proteste gegen den Einsatz der Technologie statt.

„In dem heutigen Bericht wird ein optimistisches Bild von der CCS-Technologie gezeichnet. Aber es ist erwiesen, dass CCS-Projekte der Industrie gefährliche Luftschlösser sind. Nach Jahrzehnten der Versuche bleiben sie technisch unausgereift. Sie würden einen hohen zusätzlichen Energieeinsatz verlangen, sind teuer und nicht effektiv. Hinzu kommt, dass die Langzeitgefahren nicht ausreichend erforscht sind. Bis heute sind CCS-Projekte in Europa und weltweit vor allem darin erfolgreich, staatliche Gelder einzuwerben; aber sie verlängern fossile Geschäftsmodelle immer weiter“, sagt Olaf Bandt.

 

Hintergrund

Der heute vorgestellte Entwurf des Evaluierungsberichts zum KSpG legt nahe, dass die Einschränkungen der Anwendung von CCS im KSpG aufgehoben werden sollen. Der Ausbau eines deutschlandweiten Netzes von Abscheidungsanlagen, Rohrleitungen, Zwischenspeichern, Umladestationen und Häfen für das Klimaabgas soll schnell gesetzlich ermöglicht und alle rechtlichen Hindernisse des Immissions- oder Umweltschutzes dabei aus dem Weg geräumt werden. Die Empfehlungen der Bundesregierung gehen noch weiter: CO2 soll perspektivisch auch in Deutschland verpresst werden können; eine neue Raumordnung für den Untergrund wird angekündigt, absehbar mit einer privilegierten Genehmigung für CO2-Deponien der Großindustrie. Enteignungsvorschriften sollen erweitert, die Rechte der Länder beschnitten werden. Parallel dazu werden bereits Förderprogramme gestrickt, um die großen industriellen Verschmutzer mit Milliarden an Steuergeldern für CCS auszustatten.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim BUND.

NABU zum Weltnaturabkommen: Mehr Schutz, wenig Pflichten

Eine Betonstraße führt durch einen Wald, der komplett abgebrannt ist. Nur noch die schwarzen Stämme stehen im Nebel

© Chad Peltola / Unsplash

Pressemitteilung, 18.12.22, NABU

Krüger: Trotz einiger Fortschritte zu wenig für eine Trendumkehr beim Verlust von Natur und Arten / EU und Deutschland müssen nachschärfen

Berlin/Montreal – Heute haben sich die Vertragsstaaten nach zähen und intensiven Verhandlungen bei der Weltnaturkonferenz auf ein globales Abkommen geeinigt. Mit der Vereinbarung bekennen sich die Nationen dazu, die Biodiversität zu erhalten und schützen. Der NABU blickt mit Ernüchterung auf das Ergebnis: Trotz inhaltlicher Fortschritte werde das Weltnaturabkommen nicht ausreichen, um den Verlust der Artenvielfalt und Ökosysteme zu stoppen oder umzukehren.

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Die Welt rast in der Natur- und Klimakrise auf einen Abgrund zu. Doch statt entschieden zu bremsen, geht sie lediglich etwas vom Gas. Die Nationen behandeln die Naturkrise so, als könne man sie recht einfach mit mehr Schutzgebieten und Renaturierung aufhalten. Doch der Verlust unserer Arten und Lebensräume durch unseren Konsum ist akut, er ist fundamental und er bedroht die Lebens- und Wirtschaftsgrundlage aller Menschen.

Neben deutlichen Fortschritten – etwa 30 Prozent unseres Planeten unter Schutz zu stellen oder die Risiken aus Pestiziden und Düngemitteln zu halbieren – bleibt zu viel unberücksichtigt. Es gibt keine messbaren Ziele, die den Biodiversitätsverlust durch die Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, den Handel sowie den Finanzsektor aufhalten könnten. So bleibt bei aller Freude auch Ernüchterung – und ein klarer Auftrag an die EU und Deutschland. Wir stehen nun in der Verantwortung, Regelungen zu entwickeln, mit denen Arten und Ökosysteme wirklich erhalten werden – etwa mit der nationalen Biodiversitätsstrategie.“

Nicht zuletzt fehlt es dem Abkommen an konkreten Vorgaben bei der Umsetzung. Magdalene Trapp, Referentin für Biodiversitätspolitik: „Die Vertragsstaaten scheinen nicht aus der Vergangenheit gelernt zu haben. Mit diesem Weltnaturabkommen steuern wir auf dieselben Probleme zu, wie schon vor zehn Jahren, als die sogenannten Aichi-Ziele festgelegt wurden. Keines davon ist erreicht worden. Denn es fehlte an Möglichkeiten, die Ziele zu kontrollieren und nachzuschärfen – so auch in diesem Abkommen. Die kommende Weltnaturkonferenz muss hier schnell für Klarheit und Verbindlichkeit sorgen.“

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Auch die Ergebnisse der diesjährigen Weltklimakonferenz COP27 sind nur teilweise zufriedenstellend. Mehr darüber erfahrt ihr auf unserem Politikblog.

NABU zu EU-Notverordnung: Politischer Fehltritt

EU-Notverordnung zum Ausbau erneuerbarer Energien: Solaranlage in Offingen, Deutschlanf

© Andreas Gücklhorn / Unsplash

Pressemitteilung, 19.12.2022, NABU

Krüger: Eilgesetzgebung ist falscher Weg – EU muss zukunftsfähigen Rechtsrahmen für Erneuerbare-Energien-Richtlinie entwickeln

Brüssel/Berlin – Heute haben die Energieminister der EU-Mitgliedstaaten eine Notverordnung zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Erneuerbare Energien verabschiedet. Diese geht vor allem zurück auf das Betreiben der deutschen Bundesregierung. Der NABU hält seine Kritik daran aufrecht. In jedem Fall ist die durch diese Regelung gewonnene Zeit nun für eine grundlegende Überarbeitung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie zu nutzen.

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger kommentiert: „Mit der Notverordnung ist ein schadhafter Wildwuchs von Erneuerbaren zu Lasten der Natur zu befürchten. Die Bundesregierung riskiert, jahrzehntelang bewährte und für den Natur- und Klimaschutz wichtige Planungs- und Umweltstandards aufzugeben. Um das Umsetzungschaos zu mindern, muss Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck jetzt von einer Hauruck-Novelle der parallel verhandelten Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED IV) absehen. Stattdessen sind EU-weit Vorgaben für eine Raumplanung zu entwickeln, die Naturschutz und Klimaschutz gleichermaßen in den Blick nehmen.“

Raphael Weyland, EU-Umweltrechtexperte des NABU, ergänzt: „Erneuerbare Energien pauschal als im überwiegenden öffentlichen Interesse zu betrachten, ohne die ökologische Wertigkeit des Standorts zu berücksichtigen, wie es die Notverordnung tut, verschärft die Naturkrise. Die damit einhergehenden Eingriffe in bestehendes Umweltrecht führen auch zu Rechtsunsicherheiten und damit letztlich nicht zur Projektbeschleunigung. Mit der Notverordnung sind zudem Teile der vierten Novelle der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie überholt. Um die Natur- und Klimakrise gemeinsam anzugehen, müssen nun beschleunigt natürliche Lebensräume wie Moore, Wälder und Seegraswiesen wiederhergestellt werden.“

Die EU-Notverordnung sieht der NABU auch deswegen kritisch, weil sie verschiedene gefährliche Präzedenzfälle schafft. So werden unter dem Deckmantel der Energiewende Bereichsausnahmen von der UVP-Richtlinie, der FFH- und Vogelschutz-Richtlinie und der Wasserrahmenrichtlinie geschaffen, ohne diese Rechtsakte selbst ändern zu wollen. Nicht zuletzt wird unter Berufung auf eine Notfallkompetenz das Europäische Parlament ausgehebelt.

Besonders denkwürdig ist das Gesetzesvorhaben auch deswegen, weil es der Energierat offenbar nicht besonders ernst meint mit Klimaschutz und Erneuerbaren. Denn parallel zur Debatte um die Notverordnung hat er heute seine Zustimmung zur Anhebung eines wichtigen Erneuerbaren-Zieles verweigert. Konkret ging es darum, dass die EU-Kommission mit REPowerEU auch vorgeschlagen hatte, das bestehende Ziel von 40 Prozent Erneuerbaren im Bruttoendenergieverbrauch auf 45 Prozent anzuheben. Diese Änderung lehnten die Mitgliedstaaten aber ab.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Insbesondere die Windenergie auf See bedroht geschützte Arten und somit das Ökosystem Meer. Lest dazu die Pressemitteilung „NABU: Notverordnung verschärft Konflikte beim Ausbau der Windenergie auf See„.

NABU enttäuscht über Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Riffen im Fehmarnbelt

Fehmarnbeltquerung: Fotografie eines Leuchtturmes auf Fehmarn

© denfran / pixabay

Pressemitteilung, 14.12.2022, NABU

Krüger: Minimallösung gleicht massive Zerstörung wertvoller Riffe nicht aus / gefährliche Präzedenz für künftige Eingriffe

Berlin – Das Bundesverwaltungsgericht hat heute die NABU-Klage gegen den Planänderungsbeschluss der Festen Fehmarnbeltquerung abgewiesen. Es ging um die nach Überzeugung des NABU unzureichende Wiederherstellung von Riffen sowie um Fehler bei der Umweltverträglichkeitsprüfung.

„Das Urteil ist eine große Enttäuschung. Der Ostsee geht es ökologisch schlecht, Deutschland hat sämtliche europäische Zielvorgaben gerissen. Umso wichtiger, dass so schwerwiegende Eingriffe wie der Tunnelbau wirksam kompensiert werden. Mit dem heutigen Urteil läuft dieser Anspruch ins Leere“, kritisiert NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Grundsätzlich ist der Aufbau von Riffen die richtige Kompensationsmaßnahme, die Schönrechnerei aber, an deren Ende nur ein Viertel der zu kompensierenden Fläche wiederhergestellt werden muss, ist fatal und darf keinesfalls Schule machen.“

Die Planänderung hatte einen Kompensationsbedarf von 63 Hektar Rifffläche ermittelt. Der NABU kritisiert, dass 27 Hektar über die ihrerseits ohnehin zu geringe Kompensation im Ausgangsverfahren abgedeckt sein sollen. Noch schwerwiegender aber: Für die verbleibenden 36 Hektar sollen auf einer Fläche von 17,5 Hektar Riffe im Seegebiet Sagasbank verbessert werden. „Während im Fall des Fehmarnbelttunnels nur gut ein Viertel des festgestellten Bedarfs kompensiert werden muss, fordert der Orientierungsrahmen des Lands Schleswig-Holstein in Übereinstimmung mit der Bundeskompensationsverordnung und dem Bundesnaturschutzgesetzt das umgekehrte Verhältnis von 3:1“, erläutert Detloff. „Warum die Meere angesichts ihres dramatisch schlechten Zustands schlechter gestellt werden sollen als zum Beispiel ein Wald an Land, das konnte die Planfeststellungsbehörde in Leipzig nach unserem Eindruck nicht überzeugend darstellen.“ Der NABU erwartet jetzt die schriftliche Begründung des Urteils und wird fallübergreifende Aspekte analysieren.

Hintergrund

Die Klage des NABU gegen den Planfeststellungsbeschluss der Festen Fehmarnbeltquerung hatte das Bundesverwaltungsgericht im November 2020 abgewiesen, aber zugleich festgestellt, dass eine Zerstörung zunächst übersehener, gesetzlich geschützter Riffe gegen Naturschutzrecht verstieße. Identifiziert wurden die betroffenen Riffe erst 2019 nach Hinweisen des NABU, vorher fanden sie keine Berücksichtigung im Genehmigungsverfahren. Um die Riffzerstörung nachträglich zu legitimieren, wurde im September 2021 ein Planänderungsbeschluss erlassen. Weil dieser nur ungenügende neue Riffflächen vorsah und außergerichtliche Einigungsversuche durch das Amt für Planfeststellung Verkehr abgebrochen wurden, hatte der NABU im Oktober 2021 erneut Klage eingereicht.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

2021 hat der NABU die Klagebegründung gegen die Planänderung der Festen Fehmarnbeltquerung eingereicht. Lest außerdem hier nach, inwiefern die Fehmarnbeltquerung die Tier- und Pflanzenwelt der Ostsee gefährdet.

Ein Schritt in die falsche Richtung: Effektiver Rechtsschutz soll für vermeintliche Planungsbeschleunigung geopfert werden

Ein Windrad steht kurz vor der Küste im Wasser

© moerschy / Pixabay

Pressemitteilung, 30.11.22, NABU

Kabinett beschließt Gesetzesnovelle, die Eilrechtsschutz trotz fehlerhafter Planung aussichtslos werden lässt

Am heutigen Mittwoch hat die Bundesregierung den „Gesetzesentwurf zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich“ beschlossen. Die Novelle aus dem Bundesjustizministerium soll den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz massiv einschränken und stellt nach Überzeugung der Umweltorganisationen NABU, DUH, Green Legal Impact und der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) einen klaren Schritt in die falsche Richtung dar. Die Verwaltungsgerichte könnten zukünftig einen Fehler der Genehmigungs- oder Planungsentscheidung außer Acht lassen, „wenn offensichtlich ist, dass dieser in absehbarer Zeit behoben sein wird.“ Diese Formulierung ist denkbar unbestimmt und ermöglicht Richterinnen und Richtern sehenden Auges, rechtswidriges behördliches Handeln zu dulden. Aus Sicht der Umweltverbände verstößt diese Regelung gegen verfassungs-, europa- und völkerrechtlich gebotene Prinzipien. Hinzukommt, dass nahezu alle Fehler heilbar sind, sodass kaum mehr ein Fehler dazu führen würde, dass Vorhaben vorläufig gestoppt werden. Eine erhebliche Beschleunigung ist dadurch jedoch nicht zu erwarten, denn die Gerichtsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht werden schon jetzt äußerst zügig durchgeführt.

„Aus unserer Sicht ist es ganz besonders alarmierend, dass die Erleichterungen auf eine Vielzahl von unterschiedlichen, großen Infrastrukturvorhaben anwendbar sein sollen, ohne dass es auf ihren Umwelt- und Klimanutzen ankommt. Denn die Änderungen sollen auch vielen klimaschädlichen Vorhaben wie Kraftwerke, Gasversorgungsleitungen, Abfallanlagen, Flughäfen, Bundesfernstraßen, Gewässerausbauten und LNG-Anlagen zugutekommen. Genau diese sollten jedoch nicht schneller umgesetzt werden sollten, sondern gehören dringend auf den Prüfstand“, so DNR-Geschäftsführer Florian Schöne.

“Planungsbeschleunigung darf nicht dadurch erreicht werden, dass festgestellte Planungsfehler irrelevant und Eingriffe in die Natur auf die vage Hoffnung einer Fehlerheilung hin zugelassen werden. Hilfreich wären vielmehr eine frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit, klare und naturschutzfachlich begründete Leitlinien für die Prüfung umweltrechtlicher Sachverhalte und ausreichend Personal in Behörden und Gerichten. Eine Beschneidung des Rechtsschutzes der betroffenen Öffentlichkeit und der Umweltverbände ist nicht der richtige Weg und führt zu Akzeptanzverlusten“, sagte NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger.

„Die geplante Regelung, dass die Gerichte im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nahezu alle Fehler behördlicher Entscheidungen außer Acht lassen können, riskiert zudem, rechtsstaatliche Prinzipien ohne Not über Bord zu werfen. In der gerichtlichen Praxis wird auf diese Weise nämlich die genaue Prüfung im Einzelfall verhindert, so dass die Behörden ihre Entscheidungen vorläufig durchziehen können“, ergänzte DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.

Hintergrund:
Schon der Entwurf aus dem August sorgte für Kritik aus unterschiedlichsten Lagern. So haben neben den Umweltverbänden auch die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltsverein und die Neue Richtervereinigung verschiedene Aspekte des Entwurfs bemängelt. Auch Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichtes, die tagtäglich an entsprechenden Verfahren arbeiten, haben sich kritisch geäußert. Kurioserweise findet sich genau diese Expertenmeinung jedoch nicht unter den übrigen, auf der Internetseite des Bundesjustizministeriums veröffentlichten Stellungnahmen. Ein beim Ministerium gestellter Antrag auf Herausgabe der Stellungnahme wurde abgelehnt. Man beruft sich darauf, dass ein Anspruch auf Informationszugang nicht bestehe, wenn und solange die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden. Das dies nur für die Einschätzung der Bundesveraltungsgerichtsrichterinnen und -richter und nicht für die übrigen Stellungnahmen gelten soll, verwundert.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Mehr über den Hintergrund der Planungsbeschleunigung und der Aushebelung von Umweltstandards, erfahrt ihr auf unserem Politikblog.

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