Überfischung
Die größte von allen aktuellen Bedrohungen für das Ökosystem Meer ist die Plünderung der Ozeane durch die industrielle Fischerei.
Ohne Fische kein lebendiges Meer und keine Zukunft.
„Guter Fisch“ zum Weihnachtsfest
Pressemitteilung, 17.12.2024, GEOMAR
Forschungseinrichtungen, Umweltverbände und die Verbraucherzentralen aktualisieren die gemeinsame Liste „Guter Fisch“ für bewussten Einkauf von Meeresfisch
– Gemeinsame Pressemitteilung der Verbraucherzentralen, des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, der Deutschen Umwelthilfe, des Naturschutzbunds Deutschland und des World Wide Fund For Nature –
Die Liste „Guter Fisch” ist abermals kürzer geworden: Nur noch neun Arten sind uneingeschränkt, drei weitere bedingt empfehlenswert. Auf der Liste finden sich allerdings weiterhin regionale Plattfische wie Scholle, Kliesche und Flunder aus der Ostsee, dazu ausgewählte Bestände von Thunfisch, Seelachs, Stöcker und Miesmuscheln sowie erstmals Schellfisch. Anlass zur Sorge geben Wildlachs und Hering, so dass nur noch je ein Bestand bedingt empfohlen werden kann. Für alle Empfehlungen gilt, dass die Fische mit den in der Liste beschriebenen Fangmethoden gefangen worden sein müssen.
Zustand der Heringsbestände deutlich verschlechtert
Nachdem im letzten Jahr schon Makrele und Sprotte von der Liste gestrichen werden mussten, hat sich nun der Zustand der Heringsbestände deutlich verschlechtert. Heringe aus der Nordsee und der nördlichen Irischen See sollten überhaupt nicht mehr verzehrt werden, Ostseeheringe aus dem Golf von Riga sind nur noch bedingt empfehlenswert. Auch die einst empfehlenswerten Lachsbestände in Alaska geben Anlass zur Sorge, so dass Rotlachs gar nicht mehr und Ketalachs nur noch bedingt empfehlenswert ist.
Dr. Rainer Froese, Meeresökologe und Fischereiwissenschaftler am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, erklärt: „Leider wird es immer schwieriger, nachhaltige Bestände für die ,Guter Fisch‘-Liste zu finden, denn die Überfischung unserer Meere hält an. Ein trauriges Beispiel ist der Nordseehering: Schon im letzten Jahr stand er nur als ,bedingt empfehlenswert‘ auf der Liste, und trotzdem sind die Fänge erneut viel zu hoch. Der Bestand schrumpfte weiter und musste folglich komplett von der Liste gestrichen werden.“
Isabel Seeger, Fachreferentin Meeresschutz bei der Deutschen Umwelthilfe, erläutert: „Zusätzlich zu der anhaltenden Überfischung setzen Sauerstoffmangel und die Klimakrise den Fischbeständen zu. Der schlechte Umweltzustand der Meere behindert auch die Erholung von schon überfischten Beständen, wie zum Beispiel dem dezimierten Ostseedorsch, einem der einstigen ,Brotfische‘ unserer Ostseefischerei.“
Dr. Kim Detloff, NABU-Leiter Meeresschutz, sagt: „Fischpopulationen kollabieren, Fischereibetriebe geben auf. Die Fischereipolitik der letzten Jahre ist gescheitert. Wir brauchen endlich ein ökosystembasiertes Fischereimanagement, ausgerichtet auf Nachhaltigkeit und Qualität statt auf kurzfristige wirtschaftliche Interessen. Wenn ,Guter Fisch‘ auf den Tellern landet, dann leisten Verbraucher:innen hierzu einen wichtigen Beitrag.“
Dr. Philipp Kanstinger, WWF-Fischereiexperte, fügt hinzu: „Es ist besorgniserregend, dass keine Heringe, Sprotten oder Makrelen mehr uneingeschränkt zu empfehlen sind. In einem gesunden Ökosystem wären diese kleinen Schwarmfische reichlich vorhanden und damit sowohl eine nachhaltige Wahl für Verbraucher:innen, als auch Nahrungsgrundlage für Seevögel, Schweinswale, Robben und größere Fische, die auf sie als Nahrung angewiesen sind. Stattdessen werden diese Arten weiter überfischt, wobei die Fänge oftmals als Fischmehl an Nutztiere verfüttert werden.“
Die Nachfrage entscheidet mit, was der Markt liefert. Nachhaltige Kaufentscheidungen können deshalb helfen, die Umweltverträglichkeit der Fischerei zu beeinflussen. Auf Anfrage bei den wichtigsten Händlern und Anbietern von Fischprodukten antworteten Rewe und Edeka, dass sie einige Thunfisch-Konserven im Sortiment haben, die die Kriterien der Liste „Guter Fisch“ erfüllen. Netto führt in einem Tiefkühlprodukt den bedingt empfehlenswerten Keta-Lachs, Frosta verweist auf einige Alaska Seelachs-Angebote, die die Vorgaben zum allergrößten Teil einhalten.
Dr. Britta Schautz, Expertin für Lebensmittel und Ernährung der Verbraucherzentrale Berlin: „Viele Verbraucher:innen essen gerne Fisch und kennen auch allgemein das Problem der Überfischung. Aber es fehlt ihnen an konkreten Hinweisen, welche Bestände davon betroffen sind. Mit Hilfe dieser Liste kann jeder einfach selbst entscheiden, welcher Fisch noch zu Weihnachten auf dem Tisch landen kann.“
So funktioniert die Liste
Für unverarbeiteten Fisch und Tiefkühlprodukte sind Angaben zu Fischart, Fangmethode und Fanggebiet verpflichtend. Diese sollten genau mit der Liste verglichen werden, damit am Ende kein Fisch aus einem stark bedrohten Bestand im Einkaufswagen landet. Allerdings ist die gesetzlich vorgeschriebene Kennzeichnung nicht immer ausreichend detailliert, um bewerten zu können, ob ein Produkt „guter Fisch“ ist. Im Zweifel ist eine gezielte Nachfrage zu empfehlen.
Neben der Herkunft ist die Fangmethode ein wichtiges Kriterium. Verschiedene Geräte wirken sich unterschiedlich auf die Bestände, den Meeresboden und die anderen Tiere im Ökosystem aus. Besonders schädlich sind Grundschleppnetze, da sie viel Beifang haben und den Meeresboden zerstören. Trotzdem werden sie vielerorts sogar noch in Meeresschutzgebieten eingesetzt.
Diese Pressemitteilung sowie die Liste „Guter Fisch“ findet ihr beim GEOMAR.
Es ist erschreckend, wie sehr die Liste „Guter Fisch“ geschrumpft ist – nur noch neun Fischarten sind uneingeschränkt empfehlenswert. Angesichts der fortschreitenden Überfischung, der Klimakrise und der Zerstörung von Lebensräumen ist es schwer vorstellbar, wie lange diese Empfehlungen noch Bestand haben können. Zwar bietet die Liste „Guter Fisch“ eine hilfreiche Orientierung für bewusstere Entscheidungen, doch aufgrund der alarmierenden Zustände der weltweiten Fischbestände empfehlen wir von DEEPWAVE, vollständig auf den Verzehr von Fisch zu verzichten und den Konsum von Meereslebewesen grundsätzlich zu überdenken.
Nordsee-Fangquoten: Deutsche Umwelthilfe kritisiert Beschlüsse als unzureichend
Pressemitteilung, 11.12.2024, Deutsche Umwelthilfe
• Quoten für Nordseehering und Nordseekabeljau gefährden Stabilität der Ökosysteme in Nord- und Ostsee
• DUH fordert nachhaltiges, ökosystembasiertes Fischereimanagement
Berlin, 11.12.2024: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die unzureichenden Ergebnisse der EU-Verhandlungen für die Fangquoten in der Nordsee. Besonders alarmierend sind die zu hoch festgelegten Quoten für Nordseehering, Nordseekabeljau und den Europäischen Aal. Die DUH fordert stattdessen Fischereiminister Cem Özdemir und die EU auf, sofortige Maßnahmen für ein ökosystembasiertes Fischereimanagement zu ergreifen. Wie schädlich der fehlende Blick für das gesamte Ökosystem ist, zeigt sich vor allem beim Nordseehering: Zwar bleiben die Quoten innerhalb der wissenschaftlichen Maximalempfehlungen, diese Population vermischt sich jedoch mit dem stark gefährdeten westlichen Ostseehering. So wird nun trotz des seit Jahren bestehenden Fischereiverbots für den westlichen Ostseehering ein Großteil dieser bedrohten Fische erneut in Fangnetzen landen.
Dazu Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Die nun beschlossenen Quoten für den Nordseehering ignorieren die Auswirkungen auf die Gesamtpopulation des Herings in Nord- und Ostsee und gefährden somit die Erholung beider Bestände. Die Fangquoten in der Nordsee müssen aus Sicht des Gesamtökosystems der deutschen Küstenmeere gedacht und niedriger angesetzt werden, um einen Wandel hin zu einem effektiven und nachhaltigen Fischereimanagement zu ermöglichen.“
Der seit 1980 nicht erholte Nordseekabeljau-Bestand wurde in diesem Jahr über den maximalen wissenschaftlichen Empfehlungen beschlossen. Der wissenschaftlich empfohlene Fangstopp für den akut bedrohten Europäischen Aal wurde ebenfalls ignoriert.
Svane Bender, Bereichsleitung für Naturschutz und Biologische Vielfalt bei der DUH, erklärt: „Die festgelegten Quoten für den Nordseekabeljau und den Europäischen Aal sind unzureichend und bedrohen ernsthaft die Stabilität unserer letzten Fischbestände. Insbesondere beim Nordseekabeljau überschreitet die jährliche Fangmenge wieder einmal das vereinbarte Limit. Wir fordern wirksame Maßnahmen gegen illegale Rückwürfe, den Einsatz selektiver Fanggeräte und strenge Kontrollen, um das Sterben von für die Fischerei nicht attraktiven Fischen zu verhindern.“
Diese Pressemitteilung findet ihr bei der Deutschen Umwelthilfe.
Nicht nur die frisch beschlossenen EU-Fangquoten der Nordsee, sondern auch die der Ostsee, fallen viel zu hoch aus. Auch dort sind die (Beifang-) Quoten für Hering und Dorsch riskant und gefährden eine Erholung der Populationen. Besonders problematisch ist der Einsatz von Grundschleppnetzen beim Dorsch- bzw. Kabeljaufang, da sie nicht nur die Lebensräume am Meeresboden, sondern auch ihre Funktion als Kohlenstoffsenke schwer beschädigen.
Deutsche Umwelthilfe zu Grundschleppnetzfischerei in der Ostsee: „Neue Verbote gehen immer noch nicht weit genug“
Pressemitteilung, 29.11.2024, Deutsche Umwelthilfe
Berlin, 29.11.2024: Die besonders umweltschädliche Grundschleppnetzfischerei wird in drei deutschen Ostsee-Meeresschutzgebieten zumindest teilweise verboten: in Fehmarnbelt, Kadetrinne und Pommersche Bucht-Rönnebank. Das hat die EU-Kommission gestern im Einklang mit einem Vorschlag der Ostseestaaten von 2022 angekündigt, um die sensiblen Sandbänke und Riffe vor Ort zu schützen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die Pläne als unzureichend.
Das kommentiert Sascha Müller-Kraenner, DUH-Bundesgeschäftsführer:
„Die neuen Verbote sind nur ein kleiner Trost, denn Grundschleppnetzfischerei bleibt in der Mehrzahl der Schutzgebiete in der Ostsee zugelassen. Das gilt insbesondere in Küstenregionen, wo der Fischereidruck höher ist als in den Gebieten, für die jetzt Einschränkungen beschlossen wurden. Grundschleppnetzfischerei beschädigt den Meeresboden, verursacht hohe Mengen an Beifang und setzt Kohlenstoff aus dem Sediment frei. Dies bedroht die ohnehin schon stark geschädigten Meeresökosysteme und ihre tierischen Bewohner, darunter die Dorschpopulation. Vom einstigen ‚Brotfisch‘ der deutschen Ostseefischerei landen die letzten großen Tiere in den Grundschleppnetzen der Schollenfischerei. Wir fordern eine strenge Verträglichkeitsprüfung für Grundschleppnetzfischerei in sämtlichen Schutzgebieten und weitreichendere Beschränkungen.“
Diese Pressemitteilung findet ihr bei der Deutschen Umwelthilfe.
Es ist schwer nachzuvollziehen, warum in „Schutzgebieten“ überhaupt gefischt werden darf – der Begriff wird hier zur Farce. Angesichts beim alarmierenden Zustands der Ostsee und der Dorschpopulation, wären ambitioniertere Maßnahmen dringend nötig. Es herrscht nun in der Ostsee zwar schon länger ein Dorschfangverbot, doch trotzdem landet er noch als Beifang in den Netzen.
Schleppnetzfischerei reduziert Kohlenstoffspeicherung
Pressemitteilung, 28.10.2024, Hereon
Durch intensive Fischerei am Meeresgrund wird vermehrt Kohlenstoff freigesetzt
Plattfische und Garnelen werden in der Nordsee mit Schleppnetzen gefischt, die über den Meeresboden gezogen werden. Dadurch wird Kohlenstoff ins Wasser und schließlich Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre freigesetzt, wie die jüngsten Forschungsarbeiten des Helmholtz-Zentrums Hereon zeigen. Die Studie ist Teil des Verbundprojekts APOC. Partner sind das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Bemühungen der Forschenden um eine Verringerung der Unsicherheit bei der quantitativen Bewertung der Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei auf die Kohlenstoffspeicherung in der Nordsee und den globalen Schelfmeeren wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.
Normalerweise ist der Meeresboden eine Kohlenstoffsenke. Das heißt, er speichert mehr Kohlenstoff, als er abgibt. Forschende vom Hereon-Institut für Küstensysteme – Analyse und Modellierung haben zusammen mit den APOC-Partnern herausgefunden, dass diese Funktion durch den Einsatz von Grundschleppnetzen beeinträchtigt wird. Dazu haben sie über 2.300 Sedimentproben aus der Nordsee analysiert.
Der Geophysiker und Erstautor Dr. Wenyan Zhang fasst die Ergebnisse so zusammen: „Wir haben herausgefunden, dass Sedimentproben in Gebieten mit intensiver Schleppnetzfischerei geringere Mengen an organischem Kohlenstoff enthielten als Proben, die in schwach befischten Gebieten genommen wurden. Diesen Effekt konnten wir mit hoher statistischer Sicherheit auf die Grundschleppnetzaktivität zurückführen. Darüber hinaus verringern unsere Methoden die Unsicherheit bei quantitativen Bewertungen der Auswirkungen auf regionaler bis globaler Ebene im Vergleich zu früheren Schätzungen erheblich.“ Computersimulationen hätten zudem gezeigt, dass der Kohlenstoffgehalt im Meeresboden durch intensive Schleppnetzfischerei über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich sinkt. Besonders anfällig seien weiche, schlammige Böden.
Millionen Tonnen CO2 freigesetzt
Die Sedimente am Meeresgrund binden Kohlenstoff. Tiere, die am Meeresboden leben, verzehren diesen Kohlenstoff nicht nur, sondern verlagern ihn auch durch Wühlen und Graben in tiefere Bodenschichten, wo er über tausende Jahre gespeichert werden kann. Die Schleppnetze der Fischereien bewirken das Gegenteil: Sie wirbeln die Sedimente auf. Außerdem beschädigen sie Lebensräume, wodurch Pflanzen und Tiere absterben. Dadurch gelangt der Kohlenstoff aus dem sauerstoffarmen Sediment ins Wasser, wo mehr Sauerstoff vorhanden ist. Dort wird er durch Mikroorganismen wie Bakterien zu CO2 umgewandelt. Ein Teil des CO2 gelangt in die Atmosphäre, wo es als Treibhausgas den Klimawandel verstärkt.
Den Berechnungen der Autorinnen und Autoren zufolge werden durch die Schleppnetzfischerei in der Nordsee jährlich rund eine Million Tonnen CO2 aus Sedimenten freigesetzt. Weltweit wird der Effekt auf etwa 30 Millionen Tonnen geschätzt. Diese Schätzung liegt zehn Prozent unter früheren globalen Schätzungen, bei denen die kritischen Rückkopplungsschleifen zwischen Schleppnetzfischerei, Partikeldynamik und benthischer Fauna nicht berücksichtigt wurden. Diese dynamischen Rückkopplungsschleifen werden nun in dem bei Hereon entwickelten numerischen Modell berücksichtigt.
Schlammige Böden besser schützen
„Unsere Ergebnisse weisen auf die Notwendigkeit hin, schlammige Lebensräume in Küstenmeeren wie der Nordsee besonders zu schützen“, sagt Zhang. Bislang würden Meeresschutzmaßnahmen vor allem in Gebieten mit harten, sandigen Böden und Riffen vorgenommen. Diese Gebiete seien zwar ökologisch vielfältig, speicherten aber weniger Kohlenstoff. „Unsere Methoden und Ergebnisse können bei der Optimierung der marinen Raumordnungspolitik eingesetzt werden, um den potenziellen Nutzen einer Begrenzung oder Beendigung der Grundschleppnetzfischerei in Schutzgebieten zu ermitteln“, sagt Zhang.
Das APOC-Projekt wurde koordiniert vom AWI in Zusammenarbeit mit Hereon und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Projekts MARE:N Ozeane unter Stress. APOC steht im Deutschen für Anthropogene Einflüsse auf den Kreislauf partikulären organischen Kohlenstoffs in der Nordsee. Die Forschenden untersuchten die Bedeutung feinkörniger Sedimente in der Nordsee als Kohlenstoffspeicher und wie diese Ökosystemleistung durch den globalen Klimawandel und anthropogenen Nutzungsdruck beeinträchtigt wird.
Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr beim Hereon.
Die schädlichen Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei auf den Meeresboden und auf seine Funktion als Kohlenstoffsenke sind seit Jahren bekannt. Dennoch zeigen die aktuellen Forschungsergebnisse, wie dringend gehandelt werden muss, um diese Eingriffe zu stoppen. Statt auf riskante Technologien wie CCS zu setzen, sollte der Fokus auf der Prävention durch einen effektiven Schutz der Meeresböden und der natürlichen Kohlenstoffsenke liegen. Nachhaltige Maßnahmen sind der Schlüssel, um den Kohlenstoffspeicher im Meer langfristig zu bewahren.
EU-Entscheidung zu Ostsee-Fangquoten: Deutsche Umwelthilfe kritisiert Beschlüsse als kurzsichtig
Pressemitteilung, Deutsche Umwelthilfe, 22.10.2024
• Neue Fangquoten der EU-Fischereiministerinnen und -minister riskieren die Zukunft der Ostseefischerei
• Beifangquoten für westlichen Hering und Dorsch erschweren Erholung der Populationen, Quoten für Sprotte und zentralen Hering sind riskant
• DUH fordert ökosystembasiertes Fischereimanagement und ein Verbot von Grundschleppnetzen in Meeresschutzgebieten
Berlin, 22.10.2024: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die heute beschlossenen Fangquoten für die Ostseefischerei. Die Beschlüsse zementieren für ein weiteres Jahr ein kurzsichtiges Fischereimanagement, das die Fischkrise in der Ostsee weiter verschärfen wird. Die DUH fordert Fangquoten im Einklang mit wissenschaftlichen Empfehlungen und dem Vorsorgeprinzip. Außerdem braucht es ein Verbot der Grundschleppnetzfischerei in Schutzgebieten, bessere Fischereikontrolle und die Wiederherstellung der geschädigten Ökosysteme.
Dazu Sascha Müller-Kraenner, DUH-Bundesgeschäftsführer: „Die EU-Fischereiministerinnen und -minister setzen genau die Art von Fischerei fort, die für den Kollaps der deutschen Ostsee-Populationen verantwortlich ist. Der Fokus auf kurzfristige Profite und riskant hohe Fangquoten haben Fischerei und Natur einen Bärendienst erwiesen. Der gezielte Fang von Dorsch und Hering in der westlichen Ostsee musste infolge des Populationszusammenbruchs bereits vor Jahren eingestellt werden. Trotzdem wurden nun für beide Arten, entgegen wissenschaftlichen Empfehlungen, zu hohe Beifangquoten beschlossen, die eine Erholung der Populationen erschweren. Damit die Ostseefischerei eine Zukunft hat, muss die Fischereipolitik am Ökosystem ausgerichtet werden, anstatt auf maximale Fänge einzelner Arten.“
Auch die weiteren Beschlüsse geben Anlass zur Sorge: Die Fangquote für die zentrale Heringspopulation wurde stark erhöht, obwohl sich Anzeichen für einen schlechten Zustand der Population mehren. Die Sprottenquote ist zwar gesunken, aber immer noch deutlich zu hoch, denn die Nachwuchszahlen waren noch nie so schlecht wie in den letzten drei Jahren. Die exzessiven Quoten für Hering und Sprotte riskieren die Stabilität des gesamten Nahrungsnetzes der Ostsee. Wichtige Arten des Ökosystems wie Dorsche, Schweinswale und Seevögel sind auf sie als Beutetiere angewiesen. Als ersten Schritt in die richtige Richtung bewertet die DUH, dass die Schollenquote nicht weiter erhöht wurde, um den Dorsch-Beifang zu minimieren.
Svane Bender, DUH-Leitung für Naturschutz und biologische Vielfalt ergänzt: „Der Zustand von westlichem Hering und Dorsch, den einstigen ‚Brotfischen‘ der deutschen Ostseefischerei, ist anhaltend katastrophal. An diesem Punkt gibt es keine einfachen Lösungen mehr. Neben einem ökosystembasierten Fischereimanagement muss der Umweltzustand der Ostsee grundsätzlich verbessert werden. Denn zusammen mit dem zu hohen Fischereidruck, machen den Fischen auch Verschmutzung, Sauerstoffmangel und Zerstörung von Lebensräumen zu schaffen.“
Diese Pressemitteilung findet ihr bei der Deutschen Umwelthilfe.
Schon im letzten Jahr kritisierte die DUH die Ostsee-Fangquoten und die der Nordsee, denn diese wurden ebenfalls zu hoch angesetzt. Nun hat jedoch auch eine neue Studie gezeigt, dass bereits die Empfehlungen der Fischereiwissenschaftler:innen bereits häufig zu hoch ausfallen. Um die Ostsee steht es bereits seit mehreren Jahren schlecht, denn es fehlt an weitreichenden Schutzmaßnahmen.
Goldene Regeln zur Rettung der Fischbestände
Pressemitteilung, 23.09.2024, Geomar
30 internationale Fachleute fordern Neudefinition nachhaltiger Fischerei
Eine Gruppe von 30 international führenden Ozeanforscher:innen fordert eine Neudefinition des Begriffs „nachhaltige Fischerei“, die Erkenntnisse aus Biologie, Ozeanografie, Sozialwissenschaften und Wirtschaft integriert. Die Expert:innen schlagen elf „Goldene Regeln“ vor, die das bestehende Fischereimanagement grundlegend infrage stellen und die Erholung der Fischbestände ermöglichen sollen. Die Studie „Rethinking sustainability of marine fisheries for a fast-changing planet“ („Nachhaltige Meeresfischerei für einen sich wandelnden Planeten neu denken“) erscheint heute in dem Nature-Fachjournal npj Ocean Sustainability.
„Business as usual ist dramatisch gescheitert, wie die zunehmende Anzahl zusammengebrochener Bestände und Fischereien zeigt“, sagt Mitautor Dr. Rainer Froese, Biologe und Fischerei-Experte am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, der die Ursache hauptsächlich im Missmanagement der Bestände sieht.
Für eine Neuausrichtung sehen die Forschenden zwei zentrale Leitprinzipien: Eine de facto nachhaltige Fischerei müsse ihre Auswirkungen auf Meeresarten und -lebensräume minimieren, sich an den Klimawandel anpassen und zur Regeneration erschöpfter Meeresökosysteme beitragen. Gleichzeitig müsse sie die Gesundheit und Resilienz von Menschen und Gemeinschaften fördern, insbesondere von denjenigen, die am stärksten gefährdet sind. Fischerei dürfe nicht länger vor allem großen Unternehmen zugutekommen.
Elf Goldene Regeln für eine nachhaltige Zukunft
Mit ihren elf „Goldenen Regeln“ bieten die Autor:innen einen Fahrplan für den Wandel hin zu einer nachhaltigen und sozial gerechten Fischerei. Dazu gehören Maßnahmen wie die Einführung von Schutzgebieten, die Reduktion von Beifang und zerstörerischen Fangmethoden sowie die Unterstützung handwerklicher Fischereien und die Anpassung der Fangquoten an den Klimawandel.
„Wir müssen die Fischerei als Privileg und nicht als Recht betrachten. Meereslebewesen sind ein öffentliches Gut. Es sollte sowohl der Gesellschaft als auch der Natur zugutekommen und nicht Gegenstand eines von wirtschaftlichen Interessen getriebenen Wettlaufs um Ressourcen sein“, betont Erstautor Professor Dr. Callum Roberts, Meeresbiologe an der Universität von York (Großbritannien). „Unsere Arbeit plädiert für Fischereien, die die lebenswichtigen Funktionen der Ozeanökosysteme erhalten, den Klimawandel mildern, die Ernährungssicherheit garantieren und die Menschenrechte respektieren“, ergänzt Professor Dr. Daniel Pauly von der University of British Columbia (Kanada).
Die Vorschläge der Wissenschaftler:innen seien ehrgeizig, aber realistisch, und die meisten der empfohlenen Maßnahmen beruhten auf bereits bewährten Praktiken, betont Rainer Froese: „Unsere Fische wachsen schnell, wenn wir sie nur lassen. Wenn wir zwei bis drei Jahre weniger fischen, dann können wir danach dauerhaft mehr Fisch mit gutem Gewissen genießen. Das klappt aber nur, solange die Bestände noch nicht zusammengebrochen sind.“
Ein veraltetes Verständnis von „Nachhaltigkeit“
Die Forscher:innen warnen vor einem veralteten Konzept von „nachhaltiger Fischerei“, das in den letzten Jahrzehnten sowohl von Regierungen als auch von der Industrie weitgehend übernommen wurde. Es beruht auf der falschen Annahme, dass nachhaltiger Fischfang sich darauf beschränkt, die jährlichen Fangmengen zu begrenzen – unabhängig von den eingesetzten Fangmethoden oder den ökologischen und sozialen Auswirkungen. Dadurch profitierten vor allem kapitalintensive Industrien des Globalen Nordens, während Ökosysteme geschädigt, handwerkliche Fischereien gefährdet und die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen aufs Spiel gesetzt werden.
Auch Supermärkte in der Verantwortung
Die Wissenschaftler:innen fordern politische Entscheidungsträger:innen, den Handel und Fischereimanager:innen auf, die vorgeschlagenen Regeln umzusetzen. Dabei betonen sie die Verantwortung, die auch Supermärkten zukommt. Sie sind für fast zwei Drittel des Verkaufs von Fisch und Meeresfrüchten in Europa verantwortlich. Diese könnten die Fischereipraktiken durch ihre Einkaufspolitik beeinflussen, Nachhaltigkeitssiegel prüfen und auf die wachsende Besorgnis der Verbraucher:innen hinsichtlich der Umwelt- und Sozialauswirkungen ihrer Lebensmittel reagieren.
Original Publikation:
Roberts, C., Béné, C., Bennett, N. et al. Rethinking sustainability of marine fisheries for a fast-changing planet. npj Ocean Sustain 3, 41 (2024). doi.org/10.1038/s44183-024-00078-2
Über die Autorengruppe
Die Studie ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von dreißig Autoren aus diversen akademischen Disziplinen – von Biologie und Ozeanographie bis hin zu den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften – und vielen Nationalitäten aus folgenden Ländern: Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Kuba, Mexiko, Norwegen, Portugal, Schweiz, Uruguay und USA.
Förderung:
Die Studie wurde von der Levine Family Foundation finanziert, einer britischen philanthropischen Organisation, die sich der Wiederherstellung der Gesundheit der Ozeane widmet.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Geomar.
Die aktuelle Praxis der Fischerei steht an einem Wendepunkt: Ein grundlegendes Umdenken ist unerlässlich, um die Meere vor irreversibler Zerstörung zu bewahren. „Nachhaltige Fischerei“ muss radikal neu gedacht werden – als Verpflichtung gegenüber der Natur und künftigen Generationen. Ohne einen mutigen Wandel bleibt die Fischerei ein Symbol für ökologisches und soziales Versagen.
Fischereiforschung hat Fischbestände zu optimistisch eingeschätzt
Pressemitteilung, GEOMAR, 22.08.2024
GEOMAR-Experte fordert realistischere Bestandsbewertungen
Weltweit sind viele Fischbestände durch Überfischung bedroht oder bereits zusammengebrochen. Ein Grund für diese fatale Entwicklung ist, dass sich die Politik oftmals über die von Wissenschaftler:innen errechneten Höchstfangmengen hinweggesetzt hat. Diese Mengen waren als Grenzwerte gedacht, die es unbedingt einzuhalten galt, um die Bestände nicht zu gefährden. Doch nun zeigt sich, dass auch die Empfehlungen der Wissenschaft bereits deutlich zu hoch waren.
In der Europäischen Union (EU) zum Beispiel wird die Fischerei hauptsächlich durch zulässige Höchstfangmengen, die so genannten Fangquoten, gemanagt. Diese werden vom Europäischen Ministerrat, also den Landwirtschaftsminister:innen der Mitgliedsstaaten, basierend auf wissenschaftlicher Beratung und den Empfehlungen der EU-Kommission beschlossen. Eine neue Studie australischer Wissenschaftler:innen (Edgar et al.) zeigt nun, dass bereits diese wissenschaftliche Beratung oft zu hohe Fangmengen empfiehlt.
Das Fachmagazin Science, in dem die Studie heute veröffentlicht wird, hat zwei der weltweit meistzitierten Fischerei-Experten, Dr. Rainer Froese vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Dr. Daniel Pauly von der University of British Columbia, gebeten, die Ergebnisse einzuordnen. In ihrem Perspective Paper plädieren sie für einfachere, aber realistischere Modelle, die auf ökologischen Grundlagen basieren und für eine im Zweifelsfall konservativere Bestandsbewertung und -bewirtschaftung.
Für die Studie analysierten Edgar et al. Daten von 230 Fischbeständen weltweit und stellten fest, dass Bestandsabschätzungen oft viel zu optimistisch waren. Sie überschätzten, wie viele Fische einer Art es noch gibt und wie schnell sich Fischbestände erholen können. Besonders betroffen sind durch Überfischung geschrumpfte Bestände. Die Überbewertungen führten bei ihnen zu so genannten Phantom-Erholungen: Sie wurden als erholt eingestuft, obwohl sie in Wirklichkeit weiter schrumpften. „Das führte dazu, dass Fangmengen nicht ausreichend reduziert wurden, obwohl es dringend notwendig gewesen wäre“, erklärt Dr. Rainer Froese, „leider ist dies kein Problem der Vergangenheit. Die bekannten Überschätzungen der Bestandsgrößen aus den letzten Jahren werden auch jetzt nicht zur Korrektur der aktuellen Bestandsgrößen herangezogen.“
Die Untersuchungen von Edgar et al. zeigen außerdem, dass fast ein Drittel der Bestände, die von der Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization, FAO) als „maximal nachhaltig befischt“ eingestuft werden, die Schwelle zur Überfischung bereits überschritten haben. Zudem sind weit mehr Bestände zusammengebrochen als bisher angenommen: Innerhalb der Kategorie „überfischt“ schätzen die Autoren der Studie, dass die Zahl der kollabierten Bestände (das sind Bestände, die weniger als zehn Prozent ihrer früheren maximalen Biomasse aufweisen) wahrscheinlich um 85 Prozent höher liegt ist als bisher angenommen.
Aber woher kommt die beobachtete Verzerrung in den Bestandsbewertungen? Die Standard-Bestandsabschätzungen verwenden Modelle, die mehr als 40 verschiedene Parameter enthalten können, zum Beispiel zur Lebensgeschichte der Fische, zu Fangdetails, und zum Fischereiaufwand. Diese Vielzahl von Variablen mache die Abschätzungen unnötig komplex, schreiben Froese und Pauly. Die Ergebnisse könnten nur von wenigen Experten reproduziert werden, die Zugang zu den Originalmodellen und -daten haben. Darüber hinaus seien mehrere der erforderlichen Eingabeparameter unbekannt oder schwer zu schätzen, so dass die Modellierer stattdessen auf weniger belastbare Werte zurückgreifen, die in der Vergangenheit funktioniert haben. Froese: „Solche Praktiken können die Ergebnisse stark auf die Erwartungen der Modellierer beschränken.“
Die Autoren fordern daher eine Überarbeitung der aktuellen Bestandsbewertungsmodelle. Sie plädieren für einfachere, realistischere Modelle, die auf ökologischen Grundlagen basieren. Zudem sollte das Vorsorgeprinzip stärker angewandt werden: Bei Unsicherheiten sollten eher konservative Schätzungen verwendet werden, um die Bestände zu schützen. „Eigentlich ist nachhaltige Fischerei ganz einfach“, sagt Dr. Rainer Froese: „Es darf immer nur weniger Fisch entnommen werden als nachwächst.“ Die Fische müssen sich vermehren können, bevor sie gefangen werden, außerdem braucht es umweltschonende Fanggeräte und die Einrichtung von Schutzzonen. Funktionelle Nahrungsketten müssen erhalten werden, indem weniger Futterfische wie Sardellen, Sardinen Heringe oder auch Krill gefangen werden – das sind die Prinzipien der ökosystembasierten nachhaltigen Fischerei. Froese: „Vier dieser fünf Prinzipien lassen sich auch ohne Kenntnis der Bestandsgröße umsetzen.“
Diese Pressemitteilung findet ihr beim GEOMAR.
Die Studie von Edgar et al. und die Einschätzungen von Froese und Pauly machen deutlich, dass ein Umdenken in der Fischereipolitik und -forschung dringend erforderlich ist. Fangquoten werden häufig zu hoch und gegen die Empfehlung der Wissenschaft festgelegt, so zum Beispiel auch bei uns in der Nord- und in der Ostsee.
Energiekrise bei Dorsch und Co.: Wie Überdüngung und Klimawandel die Nahrungsnetze der Ostsee verändern
Pressemitteilung, 27.03.2024, Thünen
Der Ostdorschbestand ist seit Jahren in der Krise. Trotz historisch niedrigem Fischereidruck erholt sich der Bestand nicht. Bislang gab es hierfür keine schlüssige Erklärung. Forschende des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und des Thünen-Instituts für Ostseefischerei konnten nun erstmals nachweisen, dass sich in Ostseeregionen mit großflächigen Blüten fädiger Blaualgen, die durch Überdüngung und Klimawandel verstärkt auftreten, das Nahrungsnetz für den Dorsch verlängert hat. Dadurch steht der Population deutlich weniger Energie zur Verfügung als in Gebieten ohne Blaualgenblüten. Verbessert sich das Nährstoffregime nicht, kann sich der Ostdorsch nicht erholen.
Das marine Phytoplankton ist der Energielieferant für alle Meeresökosysteme: Diese winzig kleinen, im Meerwasser schwebenden Pflanzen binden mittels Photosynthese Energie in Form von Biomasse, die dann Schritt für Schritt in den marinen Nahrungsnetzen weitergereicht wird, bis hin zu unterschiedlichen Arten von Fischen und Fischfressern. Wieviel Energie bei den unterschiedlichen Lebewesen ankommt, hängt von der Position ab, die sie im Nahrungsnetz einnehmen. Man weiß, dass von einer Ebene zur nächsten rund 90 Prozent der Energie als Wärme verloren gehen. Je mehr Ebenen ein Nahrungsnetz hat, umso weniger Energie kommt bei den Lebewesen mit den höchsten Positionen wie etwa Raubfischen an.
„Das Phytoplankton der zentralen Ostsee hat sich in den letzten drei Jahrzehnten stark verändert. Zunehmend wird es im Sommer von massenhaft auftretenden fadenförmigen Cyanobakterien dominiert. Das Phänomen ist als Blaualgenblüten bekannt“, sagt Markus Steinkopf, Meeresbiologe am IOW. Auslöser seien die klimawandelbedingt höheren Wassertemperaturen und die nach wie vor zu hohe Nährstoffbelastung der Ostsee; das begünstige Blaualgen gegenüber anderem Phytoplankton. „Aufgrund ihrer Form und Größe können fädige Blaualgen nicht von den kleinen Krebsen des Zooplanktons gefressen werden, die in marinen Nahrungsnetzen sonst die nächste Position nach dem Phytoplankton einnehmen. Welche Folgen das für die Energieversorgung höherer Lebewesen hat, war bislang weitgehend ungeklärt“, sagt der Erstautor der jetzt im Fachjournal Ecology and Evolution publizierten Studie zu Nahrungsnetz-Veränderungen in der Ostsee.
Hier setzte Steinkopf an und verglich, welche Position im Nahrungsnetz Dorsche und Flundern haben, die in der zentralen Ostsee leben, mit denen in der westlichen Ostsee, wo Blaualgenblüten keine Rolle spielen. Um die Nahrung der untersuchten Fische und somit ihre Nahrungsnetzposition zu identifizieren, nutzte er die Stickstoff-Isotopenanalyse in Aminosäuren. Denn je nachdem, was die Fische fressen, lassen sich in ihrem Muskelfleisch charakteristische Muster der unterschiedlichen stabilen Amino-Stickstoffisotope feststellen und sehr präzise interpretieren.
Bezüglich der Dorsche kam das Forschungsteam um den Warnemünder Wissenschaftler zu einem erstaunlich klaren Ergebnis: In der Blaualgen-belasteten zentralen Ostsee ist das Nahrungsnetz der dort lebenden Ostdorsche deutlich länger als das der Dorsche in der westlichen Ostsee. Steinkopf: „Die Nahrungsnetzposition des Westdorsches liegt bei 4,1, die des Ostdorsches dagegen zwischen 4,8 und 5,2. Das bedeutet einen Energieverlust von gut 60 bis 99 Prozent für den Ostdorsch im Vergleich zum Westdorsch.“ Bei den Flundern gab es hingegen zwischen den beiden Meeresgebieten nur geringe Unterschiede in der Nahrungsnetzposition: 3,4 in der westlichen vs. 3,1 in der zentralen Ostsee.
„Flundern fressen in beiden Seegebieten hauptsächlich Muscheln, deren Nahrungsnetz auf Phytoplankton basiert, auch wenn es Blaualgenblüten gibt. Große Unterschiede waren hier also nicht zu erwarten“, erläutert Uwe Krumme, Co-Autor der Studie vom Thünen-Institut für Ostseefischerei. Am Thünen-Institut, das über die entsprechende Expertise zu den Fischbeständen der Ostsee verfügt, wurden unter anderem die Fischproben für die Studie bearbeitet. „Bei den Dorschen sieht es anders aus. Westdorsche ernähren sich vor allem von der Gemeinen Strandkrabbe, die am Boden lebt. Ihr Nahrungsnetz ist daher ohnehin kürzer als das der Ostdorsche, die vor allem Heringe und Sprotten fressen, die wiederum von Zooplankton leben. Diese Ernährungsunterschiede allein können die deutlich höhere Nahrungsnetzposition der Ostdorsche aber nicht erklären“, so Krumme weiter.
Wie kommt es also zu der deutlichen Nahrungsnetzverlängerung für den Ostdorsch? „In den Blaualgengebieten stellt sich das Zooplankton um. Statt sich vegetarisch zu ernähren, frisst es Mikroben, die sich von Ausscheidungen oder Abbauprodukten der Blaualgen ernähren, wenn die Blüten absterben. Das haben frühere Analysen des IOW gezeigt. Damit entsteht eine komplette zusätzliche Nahrungsnetzebene, die zwangsläufig zu hohem Energieverlust bei den Tieren auf nachgeschalteten Nahrungsnetzpositionen führt“, erklärt Natalie Loick-Wilde, ebenfalls Co-Autorin der Studie und Spezialistin für Isotopen-basierte Nahrungsnetz-Analyse. „Diese Art der Nahrungsnetzverlängerung bei Fischen wird schon länger theoretisch diskutiert. Wir können sie nun erstmals direkt messen und eindeutig dem Blaualgen-geprägten Nahrungsnetz zuordnen“, sagt die Meeresbiologin. Sie hat am IOW eines der wenigen marinen Forschungslabore weltweit etabliert, in dem stabile Isotope von Stickstoff und Kohlenstoff in 13 verschiedenen Aminosäuren gemessen werden können.
„Die Isotopen-basierte Nahrungsnetz-Analyse ist ein wertvolles Instrument, um grundlegende Veränderungen in Ökosystemen zu sichtbar machen und Zusammenhänge besser zu verstehen. Die Energiekrise beim Ostdorsch zeigt, dass Einschränkungen bei der Fischerei für eine Bestandserholung allein nicht mehr ausreichen. Vielmehr muss das Nahrungsnetz an sich rehabilitiert werden. Das gelingt aber nur, wenn man länderübergreifend alle Möglichkeiten ausschöpft, um die Überdüngung der Ostsee in den Griff zu bekommen“, resümiert Markus Steinkopf. Die Ergebnisse zur Flunder zeigen zwar, dass nicht alle Teile des Nahrungsnetzes gleichermaßen betroffen sind. Aber: „Die Studie lässt auch vermuten, dass Nahrungsnetzverlängerungen nicht nur für die Ostsee relevant sind, sondern sich zu einem Problem globaler Natur entwickeln werden, da der Klimawandel schädliche Algenblüten und viele weitere Stressoren für Nahrungsnetze verstärkt“, so der Meeresbiologe abschließend.
Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr beim Thünen Institut.
Die Studie verdeutlicht, dass die Ostdorsch Krise weit über regionale Fischereifragen hinausgeht und globale Herausforderungen wie Überdüngung und Klimawandel widerspiegelt. Vor allem die Ostsee ist stark von Eutrophierung belastet und in einem alarmierend schlechtem Zustand. Eine Erholung der Ostseedorschpopulation erfordert daher eine grundlegende ökologische Sanierung der Ostsee durch internationale Kooperation.
EU-Parlament schwenkt beim Meeresschutz um
Pressemitteilung, WWF, 18.01.2024
WWF: “Politik muss Gräben zwischen Fischerei, Klima- und Meeresschutz überbrücken“
Straßburg/Hamburg, 18.01.2024: Ginge es nach dem EU-Parlament, würde der Meeresschutz auf EU-Ebene ins Abseits geraten, warnt der WWF Deutschland. „Anstatt sich für eine nachhaltige Fischerei und die Erholung der Meere einzusetzen, versucht das Europäische Parlament, die Transformation zu einer schonenden und fairen Fischerei sowie die Umsetzung des europäischen Green Deal zu verwässern und zu verlangsamen“, kritisiert Stella Nemecky, Expertin für Fischereipolitik beim WWF Deutschland. „Doch intakte Ökosysteme in den Meeren sind unsere wichtigsten Verbündeten zur Bewältigung der Klimakrise – dem müssen die politischen Regelwerke Rechnung tragen“. Anlass für die Kritik ist die heute angenommene Position des EU-Parlaments, mit der die Abgeordneten Stellung zu progressiven Vorschlägen der EU-Kommission für besseren Schutz der Meere und umweltverträglichere Fischerei beziehen.
Bezogen auf den Aktionsplan Meeresschutz der Kommission („Marine Action Plan“) greift das Parlament zwar viele Bedenken der Kommission hinsichtlich des schlechten Zustands der Meere auf, weist aber die meisten Lösungsvorschläge zurück. Im Widerspruch zu seinem früheren Standpunkt, appelliert das Parlament an die EU-Mitgliedsstaaten schädliche Grundschleppnetze, die den Meeresboden zerstören, auch in diesen Schutzzonen nicht zu verbieten. Auch der Schutz empfindlicher Arten kommt viel zu kurz.
Das Parlament hat auch eine umfassende Vision über die Zukunft der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU angenommen. Das selbst gestecktes Ziel, die Überfischung bis 2020 zu beenden, hat die EU weit verfehlt. Angesichts dieses Versagens schlägt der Parlamentsbericht vor, die nötigen Instrumente dafür schlicht ganz abzuschaffen, etwa die Anlandepflicht, die verschwenderische Rückwürfe von Fisch und Meerestieren verhindern soll und ebenso das Fischereiprinzip des „maximalen Dauerertrags“, das notwendige Bestandgröße sichern soll. Dies sei eine beschämende Kehrtwende des Parlaments so der WWF.
In einem Punkt trifft das Europäische Parlament jedoch den Nagel auf den Kopf: Es ist an der Zeit, dass die EU einen übergreifenden Rechtsrahmen für alle „blauen“ Meerespolitiken schafft, um die Inkohärenz zwischen Naturschutz-, Fischerei- und Klimagesetzen endlich zu beseitigen. „Die europäischen Meeresökosysteme sind stark geschädigt. Um Jahrzehnte umweltschädlicher Fischereipraxis parallel zur Klima- und Naturkrise zu bewältigen, ist eine Politik erforderlich, die diese Lücke schließt. Mit Blick auf Nord- und Ostsee hat auch die Bundesregierung hier noch viel Arbeit vor sich,“, sagt Stella Nemecky. „Die Transformation zu einer nachhaltigen Fischerei steht nicht im Widerspruch zu sozialen oder Umweltzielen. Es sind zwei Seiten derselben Medaille.“
Diese Pressemitteilung findet ihr beim WWF.
Unseren lokalen Fischbeständen geht es alles andere als gut. Trotzdem sind auch die für dieses Jahr beschlossene Fangquoten für die Nord– und Ostsee weitestgehend unzureichend und tragen weiterhin zur Überfischung wichtiger Bestände bei. Es bedarf einer Überarbeitung der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU.
Zukunft der Ostseefischerei: Leitbildkommission beendet Arbeit
Pressemitteilung, 18.12.2023, gemeinsame Pressemitteilung von BUND, DUH, NABU und WWF
Leitbildkommission zur Zukunft der Ostseefischerei schließt Arbeit ab
Beteiligte Umweltverbände: „Vereinbarte Maßnahmen schnell umsetzen“ / Fischerei kommt künftig aktivere Rolle im Meeresschutz zu
Berlin – Heute endet in Berlin die Arbeit der „Leitbildkommission zur Zukunft der Ostseefischerei“. Sie war beauftragt, im Spannungsfeld zwischen einem bedrohten Ökosystem und den Existenzsorgen der Fischerei Maßnahmenempfehlungen für die Transformation der Ostseefischerei zu erarbeiten. Die Verbände BUND, DUH, NABU und WWF vertraten in der Kommission den Umwelt- und Naturschutzsektor. Aus Verbändesicht bleibt als positives Ergebnis, dass die Fischerei künftig eine aktivere Rolle im Meeresnaturschutz übernehmen und das Fischereimanagement stärker an ökologischen Kriterien ausgerichtet werden soll. Auch nach Einigung auf einen Abschlussbericht betonen die Verbände, dass die Erholung der Fischpopulationen und damit der Fischerei grundsätzlich auf der Erholung der Meeresumwelt basiert. Aufgrund des dramatisch schlechten ökologischen Zustands der Ostsee und den zusammengebrochenen Populationen von Dorsch und Hering besteht dringender Handlungsbedarf.
Jetzt komme es darauf an, wie effektiv und wie schnell die vereinbarten Maßnahmen umgesetzt werden. Für den Meeresnaturschutz ist es gelungen, das Bekenntnis zum Ökosystemansatz im Fischereimanagement im Bericht zu verankern. Auch die nationale Verteilung von Fangquoten soll überprüft/reformiert werden, um in Zukunft ökologische und soziale Kriterien einzubeziehen, anstatt bisher ausschließlich die historische Teilhabe. Der Fischerei wird bei der Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz von Arten und Lebensräumen der Ostsee eine aktivere Rolle als bisher zugeschrieben.
„Seit Jahren ist es offensichtlich, dass sich die Ostseefischerei wandeln muss. Um dem Fischereisektor dabei zu helfen, muss er sich aktiver beteiligen und auch die eigene Verantwortung für den schlechten Zustand der Fischpopulationen und des Ökosystems anerkennen“, so BUND, DUH, NABU und WWF.
Darüber hinaus verweist der Bericht klar auf die EU-Biodiversitätsstrategie, nach der zehn Prozent der deutschen Meeresfläche in Ost- und Nordsee anhand ökologischer Kriterien identifiziert und bis zum Jahr 2030 unter strengen Schutz gestellt werden müssen. “Das sind Errungenschaften, hinter die wir nicht zurückfallen dürfen. Im nächsten Jahr wird aus der Leitbildkommission Ostseefischerei die Zukunftskommission Fischerei für Nord- und Ostsee. Wir erwarten, dass unsere Ergebnisse dort als Ausgangspunkt genommen und nicht in Frage gestellt werden”, betonen die Verbände.
Für die Zukunftskommission sehen die vier Umweltverbände vor allem das zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium in der Pflicht. Das BMEL müsse die Ansätze der Fischerei zur kritischen Selbstreflexion unterstützen, die Diskussionen zur Fischereipolitik im Lichte europäischer Verpflichtungen zum Meeresnaturschutz fortsetzen und die Erkenntnisse aus dem Prozess der Leitbildkommission konstruktiv nutzen.
„Die Bedürfnisse für Umwelt, Mensch und Fischerei sind klar, die Gesprächsbereitschaft ist gegeben und die Instrumente sind bekannt, jetzt muss die Politik die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Transformation stattfinden kann.“ Mit diesem Appell der Umweltverbände wird heute der Endbericht an die zuständige Staatssekretärin des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung, Silvia Bender, übergeben.
Hintergrund:
Die Leitbildkommission war vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung eingesetzt und hatte den Auftrag, in einem partizipativen Prozess ein Leitbild zu erarbeiten, wie die Zukunft der deutschen Ostseefischerei aussehen sollte. Entsprechend des partizipativen Ansatzes waren Vertreter*innen der Umwelt- und Fischereiverbände, der Wissenschaft, Verwaltung und der Gesellschaft Teil der Kommission. Das insgesamt 30-köpfige Gremium arbeitete seit November 2022 und traf zu insgesamt zehn Präsenzsitzungen zusammen.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.
Die Ostsee wird durch Übernutzung, Eutrophierung und Überfischung stark belastet, selbst in Meeresschutzgebieten. So kritisiert auch die Deutsche Umwelthilfe die deutschen Ostsee-Fangquoten als unzureichend. Laut NABU müssten die mindestens die Hälfte der Schutzgebiete in Nord- und Ostsee nutzungsfrei werden, um das Artensterben und den Lebensraumverlust in unseren Meeren aufzuhalten.