Klima

Meeresschutz ist Klimaschutz.

Regionale Unterschiede der Erderwärmung entscheidend

Verschiedene Foraminifera unter dem Mikroskop

Foraminifera unter dem Mikroskop © Doc. RNDr. Josef Reischig, CSc. / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 05.12.2023, MARUM

War­um re­gio­na­le Un­ter­schie­de der Erd­er­wär­mung ent­schei­dend sind

Neue Da­ten­ana­ly­se er­mög­licht es, Kli­ma­mo­del­le bes­ser zu be­wer­ten

Win­zi­ge Fos­si­li­en in Mee­res­se­di­men­ten zei­gen, dass Kli­ma­mo­del­le die durch­schnitt­li­che Tem­pe­ra­tur der Ozea­ne im letz­ten Hoch­gla­zi­al vor etwa 20.000 Jah­ren rich­tig be­rech­nen, die si­mu­lier­te räum­li­che Ver­tei­lung aber zu gleich­mä­ßig ist und sie da­her nur be­dingt für künf­ti­ge Kli­ma­aus­sa­gen gilt. Ein neu­er An­satz zeigt nun, wie Kli­ma­mo­dell­rech­nun­gen bes­ser über­prüft wer­den kön­nen. Das Team um Dr. Lu­kas Jon­kers vom MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten und dem Fach­be­reich Geo­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Bre­men hat die Er­geb­nis­se jetzt im Fach­jour­nal Nature Geoscience ver­öf­fent­licht.

Mit Kli­ma­mo­del­len bil­den For­schen­de das Kli­ma der Ver­gan­gen­heit nach, um zu ent­schlüs­seln, wie und war­um es sich ver­än­dert hat. Durch den men­schen­ge­mach­ten Kli­ma­wan­del ist es nicht mög­lich, Mo­del­le eins zu eins auf die Zu­kunft zu über­tra­gen, da sich die Rand­be­din­gun­gen ver­än­dert ha­ben. „Wir müs­sen also die Ver­gan­gen­heit si­mu­lie­ren, um die Mo­del­le zu tes­ten. Die Si­mu­la­ti­on des Kli­mas vom so ge­nann­ten Last Gla­ci­al Ma­xi­mum, kurz LGM, ist da­her wich­tig, um Kli­ma­mo­del­le zu be­wer­ten“, sagt Er­st­au­tor Lu­kas Jon­kers, das Hoch­gla­zi­al sei da­bei ein gu­tes Test­sze­na­rio. „Denn wie sich die Erde seit­dem er­wärmt hat, könn­te etwa dem ent­spre­chen, was wir künf­tig er­war­ten kön­nen.“

Bis­he­ri­ge Stu­di­en ha­ben zwar über­ein­stim­mend ge­zeigt, dass die Ge­samt­ver­än­de­rung des glo­ba­len Kli­mas zwi­schen dem LGM und der Ge­gen­wart zwi­schen den Mo­del­len und den Pa­läo­kli­ma-Re­kon­struk­tio­nen kon­sis­tent ist. Nicht aus­rei­chend be­rück­sich­tigt wur­den da­bei aber das räum­li­che Tem­pe­ra­tur­mus­ter, das Öko­sys­te­me und Le­bens­räu­me be­ein­flusst. Dazu ge­hört auch, wie sich Le­bens­räu­me auf den ver­schie­de­nen Brei­ten­ge­ra­den ver­tei­len.

Neuer Ansatz basiert auf einem grundlegenden makroökologischen Prinzip

Um zu prü­fen, ob die Si­mu­la­tio­nen ein ge­nau­es Bild des ver­gan­ge­nen Kli­mas lie­fern, ver­glei­chen die For­schen­den sie mit auf Da­ten ba­sie­ren­den Re­kon­struk­tio­nen. Bei­de Ver­fah­ren ber­gen ei­nen ge­wis­sen Grad an Un­si­cher­heit. Wenn bei­de von­ein­an­der ab­wei­chen – liegt es dann an der Si­mu­la­ti­on oder der Re­kon­struk­ti­on? Da­mit Kli­ma­mo­del­le bes­ser über­prüft und be­wer­tet wer­den kön­nen, ha­ben Dr. Lu­kas Jon­kers vom MARUM und sei­ne Co-Au­tor:in­nen ei­nen neu­en An­satz ver­folgt, den sie jetzt im Fach­jour­nal Nature Geoscience vor­stel­len. Da­für um­ge­hen sie Un­si­cher­hei­ten der tra­di­tio­nel­len Re­kon­struk­ti­ons­me­tho­den und ver­wen­den ein grund­le­gen­des ma­kro­öko­lo­gi­sches Prin­zip. Das be­sagt, dass sich Ar­ten­ge­mein­schaf­ten umso mehr un­ter­schei­den, je wei­ter sie von­ein­an­der ent­fernt sind. Ein Bei­spiel da­für sind etwa die Ve­ge­ta­tio­nen in der Tal­soh­le im Ver­gleich zur Berg­spit­ze.

„Im ma­ri­nen Be­reich se­hen wir ei­nen grö­ße­ren Rah­men des­sen, näm­lich wenn wir Spe­zi­es vom Äqua­tor an­schau­en. Je wei­ter wir dann in Rich­tung Pol ge­hen, umso mehr ver­än­dern sich die Ar­ten“, sagt Jon­kers. „Im Oze­an hängt die­se ab­neh­men­de Ähn­lich­keit stark mit der Tem­pe­ra­tur zu­sam­men. Wür­den die Kli­ma­mo­del­le also die Tem­pe­ra­tu­ren der Ver­gan­gen­heit kor­rekt si­mu­lie­ren, müss­ten wir beim Ver­gleich der si­mu­lier­ten Tem­pe­ra­tu­ren mit den fos­si­len Ar­ten­ge­mein­schaf­ten das­sel­be Mus­ter fest­stel­len.“ For­schen­de kön­nen also Da­ten zu Ar­ten­ge­mein­schaf­ten im Hoch­gla­zi­al nut­zen, um zu be­ur­tei­len, ob die si­mu­lier­te Tem­pe­ra­tur aus dem LGM das glei­che Mus­ter ab­neh­men­der Ähn­lich­keit der Ge­mein­schaf­ten re­pro­du­zie­ren kann, wie wir es heu­te se­hen.

Für ihre Stu­die hat das in­ter­na­tio­na­le Team über 2.000 Ar­ten­ge­mein­schaf­ten plank­to­ni­scher Fo­ra­mi­ni­fe­ren von 647 Stand­or­ten un­ter­sucht. Plank­to­ni­sche Fo­ra­mi­ni­fe­ren le­ben in den obers­ten Was­ser­schich­ten al­ler Ozea­ne. Ster­ben sie, sin­ken ihre klei­nen Kalk­ge­häu­se auf den Mee­res­grund und blei­ben dort als Mi­kro­fos­si­li­en im Se­di­ment er­hal­ten.

Bei der Ana­ly­se der Da­ten für das LGM ist das Team auf sich un­ter­schei­den­de Mus­ter bei der Ar­ten­zu­sam­men­stel­lung ge­sto­ßen. Das wer­te­ten sie als Hin­weis dar­auf, dass die si­mu­lier­ten Tem­pe­ra­tu­ren nicht mit den tat­säch­li­chen Eis­zeit-Tem­pe­ra­tu­ren über­ein­stim­men.

„Un­se­re Ana­ly­se deu­tet dar­auf hin, dass die si­mu­lier­ten Tem­pe­ra­tu­ren im Nord­at­lan­tik zu warm und glo­bal zu gleich­mä­ßig wa­ren. Neue Si­mu­la­tio­nen mit schwä­che­rer Oze­an­zir­ku­la­ti­on, die we­ni­ger Wär­me in den Nor­den trans­por­tiert, und dar­aus re­sul­tie­rend ei­nem küh­le­ren Nord­at­lan­tik pass­te bes­ser in das Mus­ter“, er­klärt Lu­kas Jon­kers. Hin­ter­grund da­für ist die Stär­ke der at­lan­ti­schen me­r­idio­na­len Um­wälz­zir­ku­la­ti­on und Eis-Oze­an-Wech­sel­wir­kun­gen. Die For­schen­den kom­men zu dem Er­geb­nis, dass die neue Me­tho­de Mo­dell­ver­glei­che si­che­rer macht. Die neu­en Si­mu­la­tio­nen zei­gen, dass die Mo­del­le das Tem­pe­ra­tur­mus­ter wäh­rend des letz­ten Hoch­gla­zi­als kor­rekt be­rech­nen kön­nen. Laut Au­tor:in­nen­team deu­te das dar­auf hin, dass eine kor­rek­te Vor­her­sa­ge des räum­li­chen Tem­pe­ra­tur­mus­ters – wenn die rich­ti­gen Pro­zes­se be­rück­sich­tigt wer­den – auch für die Zu­kunft mög­lich ist.

Mehr Gewicht für räumliche Auswirkungen des Klimawandels

„Der glo­ba­le Kli­ma­wan­del wird auch re­gio­nal un­ter­schied­li­che Aus­wir­kun­gen ha­ben. Un­se­re Ge­sell­schaft und die Öko­sys­te­me hän­gen letzt­lich da­von ab, was auf klei­ne­ren räum­li­chen Ska­len, näm­lich um uns her­um ge­schieht“, schluss­fol­gert Jon­kers. „Un­se­re Stu­die un­ter­streicht die Not­wen­dig­keit, die räum­li­chen Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels zu un­ter­su­chen. Dies ist wich­tig, wenn wir über die Be­gren­zung der glo­ba­len Er­wär­mung auf 1,5 Grad spre­chen, denn die­ser Wert be­zieht sich le­dig­lich auf ein glo­ba­les Mit­tel.“

Die Pu­bli­ka­ti­on er­scheint im Rah­men der vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung (BMBF) fi­nan­zier­ten Kli­ma­mo­del­lie­rungs­in­itia­ti­ve Pal­Mod. Hier ar­bei­ten For­schen­de dar­an, das Kli­ma der ver­gan­ge­nen 130.000 Jah­re auf klei­ne­ren Zeits­ka­len zu ent­schlüs­seln, um Aus­sa­gen für ein Kli­ma der Zu­kunft tref­fen zu kön­nen. Ihr Ziel ist es, die Spann­brei­te der Mo­del­le und der ih­nen zu­grun­de­lie­gen­den Pa­ra­me­ter zu ver­ste­hen und bes­se­re Aus­sa­gen für die Zu­kunft zu tref­fen.

Die Stu­die ist das Er­geb­nis ei­ner Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen For­schen­den der Uni­ver­si­tät Bre­men und der Uni­ver­si­tät Ol­den­burg im Rah­men des Ex­zel­lenz­clus­ters „Der Oze­an­bo­den – un­er­forsch­te Schnitt­stel­le der Erde“. Be­tei­ligt sind au­ßer­dem Wis­sen­schaft­ler:in­nen des Al­fred-We­ge­ner-In­sti­tuts Helm­holtz-Zen­trum für Po­lar und Mee­res­for­schung Pots­dam und Bre­mer­ha­ven so­wie des Sou­thern Ma­ri­ne Sci­ence and En­gi­nee­ring Guang­dong La­bo­ra­to­ry Zu­hai (Chi­na) und der Ore­gon Sta­te Uni­ver­si­ty (USA).

Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM.

Forschungsschiff Polarstern nimmt Kurs auf die Ostantarktis

Der Eisbrecher RV Polarstern in der Antarktis

© DLR/NASA/Jess Bunchek / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 29.11.2023, gemeinsame Pressemitteilung von AWI, GEOMAR, CAU

Forschungsschiff Polarstern nimmt Kurs auf die Ostantarktis

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Fokus wissenschaftlicher Expeditionen

[29. November 2023] Gestern Abend ist das Forschungsschiff Polarstern von Kapstadt aus zu einem besonderen Fahrtgebiet aufgebrochen: In der Ostantarktis stehen die Geschichte der Instabilität des dortigen Eisschildes und die Wechselwirkung mit der Ozeanzirkulation im Fokus zweier Expeditionen. Auf dem ersten etwa zweimonatigen Abschnitt unter Leitung des GEOMAR finden vor allem ozeanographische, geowissenschaftliche und biologische Arbeiten statt; der zweite wird von der Universität Kiel geleitet und hat einen geowissenschaftlichen Schwerpunkt, Forschende des Alfred-Wegener-Instituts sind an beiden Expeditionen beteiligt. Personalwechsel und Versorgung des Schiffes finden Anfang Februar in Hobart statt. Anlässlich dieses Erstanlaufs der Polarstern in einem australischen Hafen ist ein Austausch mit Vertretungen aus Wissenschaft und Politik geplant.

Der bis zu mehrere Kilometer dicke Eisschild der Ostantarktis speichert Wassermassen, die den Meeresspiegel auf Zeitskalen von Jahrhunderten um dutzende Meter ansteigen lassen können, wie in vergangenen Warmzeiten der Erdgeschichte bereits geschehen. Die Rückkopplungen zwischen Eis, Ozean und Atmosphäre sind in dieser riesigen und global bedeutenden Region jedoch noch zu wenig verstanden. Dieses fehlende Wissen resultiert in einer großen Unsicherheit darüber, mit welchem Tempo der Meeresspiegel im Zuge der menschengemachten globalen Erwärmung ansteigen könnte und wie sich die Fähigkeit des Südozeans verändert, Wärme und atmosphärisches Kohlendioxid (CO2) aufzunehmen. Um diese Unsicherheiten zu verringern, haben Fachleute mehrerer deutscher und internationaler Forschungsstandorte ein koordiniertes Programm entwickelt. Es besteht aus drei Polarstern-Expeditionen namens EASI-1, EASI-2 und EASI-3 (East Antarctic Ice Sheet Instabilities, Ostantarktische Eisschild-Instabilitäten). Die erste fand bereits Anfang 2022 unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung (AWI) statt. Die beiden nun startenden Ausfahrten unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) vervollständigen das geplante wissenschaftliche Programm.

„Das wohl herausragendste Merkmal der EASI-2 Expedition ist, dass wir moderne Beobachtungen aus der Wassersäule eng mit unserem Wissen über frühere Zustände der Zirkulation des Südlichen Ozeans verknüpfen“, erklärt Expeditionsleiter Dr. Marcus Gutjahr. Der GEOMAR-Geochemiker weiter: „Dafür vermessen und beproben wir den Ozean entlang zweier Transekte, mit einem besonderen Fokus auf ostantarktische Küstenabschnitte, die bisher vom menschengemachten Klimawandel wenig betroffen waren. Wir untersuchen eine Vielzahl chemischer und physikalischer Eigenschaften des Meerwassers im offenen Ozean und antarktischen Gewässern bis hin zur Eisschelfkante. Mehrere dieser Parameter wurden in diesem Teil des Südlichen Ozeans noch nie erfasst.“ An denselben Stationen nimmt das Geologie-Team bis zu 25 Meter lange Sedimentkerne vom Meeresboden. Durch die Verknüpfung der Analysen der heutigen Meerwassereigenschaften mit Informationen, welche aus Sedimenten gewonnen werden können, erwartet das Team einen grundlegenden Einblick in die regionalen Umweltbedingungen vergangener Warm- und Kaltzeiten.

„Aus den marinen Sedimentkernen können wir Fragen zur Klima- und Meereisdynamik im Pleistozän beantworten – also bis zu 2,5 Millionen Jahre zurück in der Erdgeschichte“, sagt Vivian Sinnen. Die AWI-Doktorandin wird erstmals an einer Polarstern-Expedition in die Antarktis teilnehmen und ist Teil des Teams Marine Geologie, das beispielsweise aus biogeochemischen Merkmalen der Skelette von Kieselalgen (Diatomeen) Rückschlüsse auf die Temperaturen oder die Meereisausdehnung in der Vergangenheit zieht. Zum Geologie-Team gehört ebenfalls Dr. Lester Lembke-Jene. Er erläutert: „Diese Sedimente stellen eines der wichtigsten Klima-Archive dar, um Phasen natürlicher vergangener Klima-Erwärmungen im Südlichen Ozean zu rekonstruieren und die damit verbundenen Prozesse besser zu verstehen. Hierbei interessieren uns vor allem die mit diesen Wechseln eng verknüpften, tiefgreifenden physikalischen und biogeochemischen Veränderungen in den ozeanischen Frontensytemen und dem Antarktischen Zirkumpolarstrom, der größten Meeresströmung im Weltozean.“ Das Untersuchungsgebiet agiert als eine zentrale Schnittstelle für den Gas- und Wärmeaustausch zwischen dem tiefen Ozean und der Atmosphäre seit mehr als 30 Millionen Jahren, heute gehört sie u.a. zu den wichtigsten natürlichen Senken für anthropogene Treibhausgase und Wärme.

Die EASI-3-Expedition setzt den Schwerpunkt auf die Erfassung glazialer Strukturen auf dem Schelf und dem Kontinentalhang, zum Beispiel die fossilen Schleifspuren von Eismassen auf dem Meeresboden. Mit geophysikalischen Messungen können die Forschenden um Fahrtleiter Prof. Dr. Sebastian Krastel vom Institut für Geowissenschaften der CAU dabei noch weiter in die Erdgeschichte zurückblicken. Der Geophysiker erläutert: „Durch eine Kombination unterschiedlicher geophysikalische Systeme der Uni Kiel, des AWI und australischer Kolleginnen und Kollegen können wir Untergrundstrukturen in unterschiedlichen Tiefen mit bestmöglicher Auflösung abbilden. So können wir bis zu 1000 Meter in den Meeresboden hineinschauen und charakteristische Strukturen identifizieren, die es uns ermöglichen, verschiedene Zustände der Eisschilde in der Vergangenheit zu rekonstruieren.“ Basierend auf den geophysikalischen Messungen werden auch umfassende marin-geologische Arbeiten während der EASI-3-Expedition stattfinden. „Aus dem Arbeitsgebiet gibt es bisher sehr wenige Informationen zu den möglichen Steuerungsmechanismen von Eis-Instabilitäten, obwohl davon auszugehen ist, dass diese Region besonders sensitiv gegenüber dem zukünftigen Klimawandel reagieren wird. Das macht unsere disziplinübergreifenden Arbeiten so wertvoll, erläutert Prof. Dr. Julia Gottschalk von der Uni Kiel.

Die marinen Arbeiten auf beiden Expeditionen werden durch landgestützte Arbeiten eines internationalen Forschungsteams der Universität Köln, der Technischen Universität Dresden, sowie australischen KollegInnen abgerundet. So erlangen die Forschenden einen lückenlosen Anschluss an den antarktischen Kontinent.

Mit frischen Eindrücken von See oder Vorfreude auf die anstehende Expedition treffen einige der Polarstern-Expeditionsteilnehmenden Anfang Februar 2024 auf Kolleginnen und Kollegen aus der australischen Forschung. Im tasmanischen Hobart wird es im Rahmen eines feierlichen Empfangs einen Austausch mit wissenschaftlichen Institutionen und politischen Interessensvertretungen anlässlich des ersten Hafenanlaufs des Flaggschiffs der deutschen Polarforschung in Australien geben. Nach einem Zwischenstopp in Südafrika macht sich die Polarstern dann auf den Rücktransit und wird Mitte Mai in ihrem Heimathafen Bremerhaven zurückerwartet.

Die EASI-Expeditionen sind Teil der Programmorientierten Förderung (PoF) der Helmholtz-Gemeinschaft im Forschungsprogramm „Changing Earth – Sustaining our Future“, an dem AWI und GEOMAR beteiligt sind. Für die CAU liefern die Expeditionen wichtige Impulse für die Forschung innerhalb des universitären Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS). Die Forschenden werden u.a. über das Schwerpunktprogramm „Antarktisforschung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim AWI.

Hälfte der Meeresschutzgebiete muss nutzungsfrei werden

Trottellumme in der Nordsee bei Helgoland

© A.Savin / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 16.11.2023, NABU

Die Hälfte der Meeresschutzgebiete muss nutzungsfrei werden

Strenger Schutz in Nord- und Ostsee: NABU macht Vorschlag, wie Artensterben und Lebensraumverlust aufgehalten werden kann

Berlin – Der NABU hat am 16. November den Umweltpolitikern der Ampel-Koalition und dem Meeresbeauftragten der Bundesregierung eigene Vorschläge für streng geschützte Flächen in den Meeresschutzgebieten der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der deutschen Nord- und Ostsee vorgestellt. Dazu hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag verpflichtet. Der Verband fordert, mehr als 50 Prozent der Schutzgebiete noch in dieser Legislatur frei von Fischerei, Schifffahrt und Rohstoffabbau zu stellen.

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Zwei Jahre nach ihrem Antritt muss die Bundesregierung die versprochene Meeresoffensive liefern. Die Naturkrise in Nord- und Ostsee lässt uns keine Zeit. Die jüngsten Zustandsberichte unserer Meere sind dramatisch. Ein Drittel der Arten steht auf der roten Liste. Mit unseren Karten für nutzungsfreie Flächen liegt ein Entwurf auf dem Tisch, mit dem Deutschland den Verpflichtungen der EU-Biodiversitätsstrategie gerecht werden und eine europäische Vorreiterrolle einnehmen kann.

Die europäische Biodiversitätsstrategie fordert, dass 30 Prozent der Land- und Meeresfläche geschützt werden, ein Drittel davon streng. Im Koalitionsvertrag steht, dass zehn Prozent der deutschen AWZ frei von schädlichen Nutzungen sein müssen. Doch heute findet auch in Meeresschutzgebieten noch Grundschleppnetzfischerei statt, werden Sand und Kies abgebaut, führen Schifffahrtslinien hindurch. „Dort wo wir wertvolle Riffe haben, Schweinswale ihre Jungen zur Welt bringen, Seevögel Nahrung finden und die Biodiversität am größten ist, muss die industrielle Nutzung aufhören. Wir brauchen streng geschützte Flächen, um Artensterben und Lebensraumverluste vor unserer Küste zu stoppen“, fordert NABU-Meeresexperte Kim Detloff.

Die Vorschläge des NABU decken etwas mehr als die Hälfte der Meeresschutzgebiete in der der deutschen AWZ ab, das entspricht knapp 15 Prozent der AWZ der Nordsee und etwas mehr als acht Prozent der AWZ der Ostsee. Erstmals wird damit der Begriff „strenger Schutz“ greifbar, es werden konkrete Flächen beschrieben und notwendige Maßnahmen definiert. Unterstützt wird Deutschlands größter Naturschutzverband in seiner Forderung von mehr als 40.000 Menschen, die einen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz unterzeichnet haben. „Wir appellieren an die Mitglieder des deutschen Bundestags und den Bundeskanzler persönlich, dem Bundesumweltministerium zu helfen, ambitionierte Flächenvorschläge zu entwickeln und umzusetzen. Die Natur kann nicht warten, und nirgendwo liegen Natur- und Klimaschutz so nah wie im Meer“, so Krüger.

Hintergrund:

Für seine Gebietsvorschläge hat der NABU aktuelle Monitoring-Daten von mehr als 20 geschützten Arten und Lebensräumen – darunter Riffe, Sandbänke und Schlickgründe, Schweinswale, Seetaucher, Trottellummen, Eisenten und weitere Meeresvögel – analysiert und die Flächen mit der größten Artendichte und ökologischen Funktion definiert. Dazu gehören 54 Prozent der Schutzgebiete in der AWZ der Nordsee (das entspricht 14,6 Prozent der AWZ und 10,1 Prozent der gesamten deutschen Nordsee). In der Ostsee sollen 52,3 Prozent der AWZ-Schutzgebiete streng geschützt werden (das entspricht 29,2 Prozent der AWZ und 8,4 Prozent der gesamten deutschen Ostsee). Diese Flächen gilt es besonders zu schützen. Nach Überzeugung des NABU braucht es hier neben völlig ungestörten Bereichen, sogenannten Nullnutzungsgebieten, auch zeitliche Schutz- und Zonierungskonzepte für die deutschen Meeresschutzgebiete in der AWZ und auch im Küstenmeer unter Verantwortung der Bundesländer. Einen wichtigen Beitrag könnte hier ein Nationalpark Ostsee leisten.

Erst Ende Oktober hat das Regionalabkommen HELCOM (Helsinki-Konvention) zum dritten Mal einen Bericht über den ökologischen Zustand der Ostsee (HOLAS III) veröffentlicht, nur sechs Wochen nach dem Quality Status Report des OSPAR-Übereinkommens zum Schutz der Nordsee und des Nordostatlantiks. Dabei haben die Mitgliedsstaaten der Konventionen im Vorfeld Analysen zur Biodiversität, Eutrophierung, Schadstoffeinträgen, Nutzungsdruck sowie wirtschaftlichen und sozialen Aspekten vorgenommen. Das Ergebnis ist alarmierend. Nahezu sämtliche Fisch- und Vogelarten sowie Meeressäugetiere sind weiterhin bedroht oder werden stark beeinträchtigt; ihre Lebensräume werden gestört oder gehen ganz verloren.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Foraminiferen in versauernden Meeren

Mikroskopische Bilder von Foraminiferen

© Charrieau et al. 2018

Wissenschaft fürs Wohnzimmer: Wie kann man im Meer leben, wenn es sauer wird?

Foraminiferen sind faszinierende Einzeller, die auf den Meeresböden der ganzen Welt leben und eine entscheidende Rolle für das Ökosystem Meer spielen – das wusste auch unser Gründer Onno Groß, der über Tiefseeforaminiferen promovierte. Da sie eine Kalkschale tragen, sind sie akut durch die Ozeanversauerung gefährdet: Die Abbildung zeigt die verschiedenen Auflösungsgrade der Art Elphidium crispum. Dr. Laurie M. Charrieau, Marine Geologin am Alfred-Wegener-Institut, nimmt uns in Folge 138 von Wissenschaft fürs Wohnzimmer mit auf eine Reise durch die Ozeane der Welt und erklärt, wie Foraminiferen mit dem Klimawandel und zunehmend saureren Meeren zurechtkommen. Antonia Ahme, die auch zu unserem DEEPWAVE-Team gehört, und ihre Kolleginnen vom AWI moderieren anschließend eine Fragerunde.

Die Folge „Wie kann man im Meer leben, wenn es sauer wird?“ findet ihr bei Wissenschaft fürs Wohnzimmer. Hier berichten jeden zweiten Donnerstag 20:30 Uhr live auf YouTube Wissenschaftler:innen des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Gäste anderer Institutionen in lockerer Atmosphäre über ihre aktuelle, waschechte und klimarelevante Forschung.

Unser Gründer Onno Groß hat im Jahr 1998 eine Doktorarbeit zum Thema „Untersuchungen zur Autökologie, Wanderung und Bioturbation lebender benthischer Tiefsee-Foraminiferen (Protozoa)“ veröffentlicht.

Wie Wissenschaftler:innen mit Hilfe von Foraminiferen vergangene Klimabedingungen auf der Erde rekonstruieren, könnt ihr euch in der kurzen Dokumentation „A Foram’s Tale“ von ScienceMedia angucken.

Wissenschaftler:innen haben außerdem die Artenvielfalt von Foraminiferen in den Tiefseegräben der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) (tiefer als 4000 Meter) untersucht und über 100 Arten fotografiert, genetisch sequenziert und viele bisher unbekannte Arten entdeckt.

Die Abbildung findet ihr in der Veröffentlichung „Decalcification and survival of benthic foraminifera under the combined impacts of varying pH and salinity“ von Dr. Laurie M. Charrieau: Charrieau, L. M., Filipsson, H. L., Nagai, Y., Kawada, S., Ljung, K., Kritzberg, E., & Toyofuku, T. (2018): Decalcification and survival of benthic foraminifera under the combined impacts of varying pH and salinity. Marine environmental research138, 36-45.

Verzögerungen bei LNG-Projekt vor Rügen

LNG-Tanker auf hoher See

© CarletonLiisa / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 3.11.2023, DUH

Neue Recherchen belegen Verzögerungen bei LNG-Projekt vor Rügen: Behörden halten Inbetriebnahme des Terminals im Winter für unwahrscheinlich

  • DUH-Auswertung interner Dokumente belegt, dass weder Genehmigungsbehörden noch Betreiber mit einer Inbetriebnahme des LNG-Terminals Rügen im Winter rechnen
  • Entgegen der Behauptung der Bundesregierung wird das Terminal demnach keinen Beitrag zur Versorgungssicherheit im Winter leisten können
  • Damit entfällt auch die Notwendigkeit einer beschleunigten Genehmigung und die Anwendbarkeit des LNG-Beschleunigungsgesetzes
  • DUH fordert, laufende Bauarbeiten an der Anschlusspipeline sofort zu stoppen und reguläres Genehmigungsverfahren durchzuführen

Berlin, 3.11.2023: Weder die zuständigen Genehmigungsbehörden in Mecklenburg-Vorpommern noch die Betreiberfirmen Regas und Gascade rechnen offenbar mit einer Inbetriebnahme des geplanten LNG-Terminals Mukran auf Rügen im anstehenden Winter. Dies geht aus Unterlagen hervor, die die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ausgewertet hat. Dass das Terminal entgegen der Behauptungen von Bundeswirtschaftsministerium und Bundesnetzagentur im Winter offenkundig noch keinen Beitrag zur Energieversorgung leisten kann, hat weitreichende Konsequenzen für das fossile Großprojekt: Die Durchführung des verkürzten Verfahrens nach dem LNG-Beschleunigungsgesetz wäre damit gesetzeswidrig. Die DUH fordert daher erneut, die Bauarbeiten an der Pipeline sofort zu stoppen und ein reguläres Genehmigungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen.

Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Die Akten sprechen eine klare Sprache: Im Grunde rechnet niemand mit der Inbetriebnahme des LNG-Terminals bis zum Winter. Trotzdem verkündet die Bundesregieung stoisch völlig unrealistische Zeitpläne. Der Grund ist offensichtlich: Würde die Verzögerung eingestanden, dürften Terminal und Pipeline nicht nach den Regeln des LNG-Beschleunigungsgesetzes ohne Umweltverträglichkeitsprüfung zugelassen werden. Mit Umweltprüfung aber würden die dramatischen Umweltzerstörungen erst recht sichtbar und das Terminal und die Pipeline wären nicht genehmigungsfähig. Wir fordern, dass sich Bundesregierung und Betreiber endlich ehrlich machen, aufhören zu tricksen und sich einer regulären Prüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung stellen. Der laufende Bau an der Anbindungspipeline muss bis zum Abschluss einer Prüfung eingestellt werden.“

Aus einer Reihe jetzt bekannt gewordener und von der DUH ausgewerteter Dokumente geht deutlich hervor, das sich die aktuellen Bauarbeiten bereits in Verzug befinden. Eine Inbetriebnahme könnte sich auch über den Winter hinaus noch über Monate hinauszögern. Aufgrund der Laichzeit des gefährdeten Ostseeherings sowie der Vogelrast sind Arbeiten an der Anschlusspipeline von Januar bis Mai zudem ausgeschlossen.

Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz der DUH: „Der Blick hinter die Kulissen zeigt eine offenbar dramatische Lage: Längst sind die Pläne aufgegeben worden, noch im anstehenden Winter das LNG-Terminal in Mukran in Betrieb zu nehmen. Die beteiligten Firmen hinken ihren eigenen Zeitplänen hinterher, die schon ursprünglich vom Bergamt für ‚unwahrscheinlich‘ gehalten wurden. Konsequenterweise soll das Terminalschiff Neptune schon gar nicht mehr im Winter nach Mukran verlegt werden. Es wird ganz deutlich: Mit Versorgungssicherheit im nächsten Winter hat dieses Projekt rein gar nichts zu tun. Anstatt hier weiter den Erfüllungsgehilfen für die profitorienterte Regas zu spielen, sollten Bundesregierung und Behörden endlich den Tatsachen ins Auge sehen und dieses unnötige Terminal absagen.“

Hintergrund:

Das Bergamt Stralsund konstatiert in einem Schreiben vom 19. Juni 2023 an das Ministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Tourismus und Arbeit Mecklenburg-Vorpommern eine „unwahrscheinliche Fertigstellung des Leitungsbaus bis Jahresende 2023!“ Aus dem Schreiben geht weiter hervor, dass die Baggerarbeiten für den zweiten Seeabschnitt bereits jetzt um mindestens einen Monat verzögert sind. Wird die Anschlussleitung jedoch nicht bis zum Jahresende fertiggestellt, können die Arbeiten im Zeitraum vom 1. Januar bis 15. Mai wegen der Laichzeit des gefährdeten Ostseeherings sowie der Vogelrastzeit nicht fortgesetzt werden. Weiterbau und Inbetriebnahme wären damit überhaupt erst nach dem 15. Mai 2024 möglich.

Im Erläuterungsbericht von Gascade, dem Vorhabenträger beim Bau der Anbindungspipeline, heißt es: „Das Ende sämtlicher Baggerarbeiten ist für Mitte September 2023 zu erwarten.“ Dies ist Teil einer „Basisplanung“, die eine Fertigstellung der Pipeline bis Jahresende gewährleisten soll. Tatsächlich sind bis Anfang November die Baggerarbeiten noch nicht annähernd abgeschlossen. Die Verzögerung liegt bereits bei mehr als acht Wochen.

Während Vorhabensträger Gascade laut Schreiben des Bergamts Stralsund vom 19. Juni 2023 die Zulassung eines vorzeitigen Baubeginns für den zweiten Seeabschnitt der Anbindungspipeline für den 1. September 2023 erbeten hatte, wurde dieser erst rund einen Monat später am 29. September gewährt. Auch dies bedeutet eine weitere Verzögerung, die die Fertigstellung bis Ende des Jahres in Frage stellt.

Aus einem Besprechungsprotokoll des Ministeriums für Wirtschaft, Infrastruktur, Tourismus und Arbeit Mecklenburg-Vorpommern vom 13. Juni 2023 geht hervor, dass das LNG-Terminalschilff Neptune der Betreiberfirma Regas bis April 2024 „zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit“ an seinem bisherigen Standort im Industriehafen Lubmin verbleiben soll. In einem weiteren Protokoll des Ministeriums vom 27. Juni 2023 wird dies bestätigt. Demnach soll die Neptune sogar erst im Juli 2024 nach Mukran verlegt werden. Dass Regas die Neptune im Winter ohnehin nicht nach Mukran verlegen möchte, legt nahe, dass die Betreiberfirma selbst nicht an die Fertigstellung des Terminals im Winter glaubt.

Aus einer Pressemitteilung der Betreiberfirma Regas vom 12. Oktober 2023 geht hervor, dass Kapazitäten des LNG-Terminals Mukran „ab April 2024“ genutzt werden können. Dies bezieht sich vermutlich auf das zweite LNG-Terminalschiff „Transgas Power“, das von der Bundesregierung gechartert wurde, jedoch von Regas in Mukran betrieben werden soll.

Diese Pressemitteilung findet ihr bei der DUH.

Zwischen arktischem Land und Meer

Forschende des Arctic Permafrost Atlas stehen am Rand eines großen Permafrostvorkommens

© Nunataryuk project (CC BY-NC-SA 2.0)

Pressemitteilung, 20.10.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Neuer Atlas dokumentiert das Auftauen des Permafrosts und seine Folgen

[20. Oktober 2023] Der Untergrund im hohen Norden der Erde verändert sich rasant. Typisch für weite Regionen der Arktis sind Böden, die im Sommer an der Oberfläche ein Stück weit auftauen, ansonsten aber das ganze Jahr hindurch gefroren bleiben. Doch die steigenden Temperaturen setzen diesem sogenannten Permafrost immer mehr zu. Welche Folgen hat das für das Klima, die Wirtschaft und die Menschen, die dort leben? Und wie kann man sich langfristig darauf einstellen? Solchen Fragen ist das vom Alfred-Wegener-Institut koordinierte EU-Projekt Nunataryuk in den letzten sechs Jahren nachgegangen. Die Erkenntnisse sind in den neuartigen „Arctic Permafrost Atlas“ eingeflossen, der am 20. Oktober online und kurz danach auch in gedruckter Form erscheint.

„Nunataryuk“. Viele der mehr als 150 beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dürften im Rahmen des nun beendeten Forschungsprojekts ein neues Wort gelernt haben. Der Name des Vorhabens stammt aus der im Nordwesten Kanadas gesprochenen Inuit-Sprache Inuvialuktun und bedeutet so viel wie „zwischen Land und Meer“. Er bezieht sich auf die Küsten des Nordpolarmeers – und damit genau auf die Regionen der Arktis, in denen sich die meisten menschlichen Aktivitäten konzentrieren. Wer dort lebt und arbeitet, ist mit Permafrost in all seinen Erscheinungsformen konfrontiert: Der gefrorene Boden prägt sowohl das Land als auch die Küste und den Meeresgrund. Und überall hat der Klimawandel schon seine Spuren hinterlassen.

„Der einst zuverlässig gefrorene Untergrund taut jetzt rund um die Welt auf“, berichtet Projekt-Koordinator Prof. Dr. Hugues Lantuit, Leiter der Arbeitsgruppe Permafrost-Küsten am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Potsdam. Durch diese Prozesse aber wird das Erdreich weniger stabil. Oft sackt es zusammen, ganze Küstenabschnitte werden vom Meer davongerissen. „Das verändert die Ökosysteme, beschädigt die Infrastruktur und beeinflusst das Leben und die Arbeit der Menschen in der Arktis“, erklärt der Forscher. Doch auch global gesehen kann der Wandel im hohen Norden zu gefährlichen Entwicklungen führen. Denn der gefrorene Untergrund gilt als eines der größten Kohlenstoff-Lager der Erde. Wenn er auftaut, könnte er Treibhausgase freisetzen, die so wirksam sind wie 50 bis 200 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. „Diese atemberaubende Menge könnte einen gewaltigen Effekt auf unser Klima haben“, betont Hugues Lantuit.

Es gibt also Gründe genug, die Vorgänge im Untergrund der Arktis genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn nur so lässt sich einschätzen, welche Risiken die Veränderungen mit sich bringen und wie man diese minimieren kann. Seit dem Start des Projekts im November 2017 sind Fachleute von 26 Partner-Institutionen aus 13 Ländern diesen Fragen nachgegangen. Sie haben Permafrost-Forschung vor Ort mit Simulationen im Computer und mit sozio-ökonomischen Analysen kombiniert und dabei auch die Stimmen von Interessensgruppen aus der gesamten Arktis mit einbezogen. Die EU hat im Rahmen ihres Rahmenprogramms Horizon 2020 11,5 Millionen Euro in das Vorhaben investiert.

Die Ergebnisse beleuchten den gefrorenen Boden aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Wer die künftigen Veränderungen beobachten will, braucht zum Beispiel erst einmal einen Überblick über den heute noch vorhandenen Permafrost an Land und im Meer. Den liefert eine neue Karte, die das Zentrum für Umweltkommunikation GRID-Arendal in Norwegen aus Projekt-Daten erstellt hat. Zum ersten Mal lässt sich nun auch einschätzen, wie viele Menschen in den Eisschränken der Erde leben. „Es handelt sich dabei um rund fünf Millionen Leute“, sagt Co-Koordinator Dr. Paul Overduin vom AWI. Computermodelle zeigen allerdings, dass viele von ihnen im Jahr 2050 wohl keinen gefrorenen Boden mehr unter den Füßen haben werden: In fast der Hälfte der 1162 heutigen Siedlungen dürfte der Permafrost erst degenerieren und dann ganz verschwinden. Das würde das Leben von mehr als drei Millionen Menschen drastisch verändern. Ähnlich beunruhigende Nachrichten gibt es auch für die Wirtschaft. So droht bis 2050 mehr als die Hälfte der Flächen aufzutauen, auf denen Öl- und Gasförderung, Bergbau und ähnliche Aktivitäten stattfinden.

Doch nicht nur der instabiler werdende Untergrund und die damit verbundenen Schäden an Gebäuden und Straßen, Pipelines und anderer Infrastruktur sind ein Problem. „Im Permafrost sind auch Schadstoffe und Krankheitserreger eingefroren, die bei steigenden Temperaturen freigesetzt werden können“, erklärt Paul Overduin. Ein Beispiel ist das Milzbrand-Bakterium, das vor allem Huftiere befällt, aber auch Menschen infizieren kann. Seine äußerst robusten Sporen können im Boden Jahrzehnte lang überleben, bis das große Tauen sie wieder aktiv werden lässt. Möglicherweise erklärt das, warum sich in Sibirien in letzter Zeit so viele Rentiere mit Milzbrand infiziert haben. Im Rahmen des Projekts haben Fachleute ein neues und speziell auf die Verhältnisse in der Arktis abgestimmtes Modell zur Übertragung der Krankheit entwickelt. Es soll helfen zu verstehen, ob und wie man künftige Ausbrüche eindämmen kann.

Die Erkenntnisse aus Nunataryuk sind so weitreichend, dass sie einem möglichst breiten Publikum zugänglich gemacht werden sollen. Genau dazu ist der neue „Arctic Permafrost Atlas“ gedacht, den GRID-Arendal zusammen mit allen Projekt-Partnern herausgegeben hat. Auf 156 Seiten präsentiert er Karten und Illustrationen, Fotos und kurze Texte rund um den gefrorenen Boden und seine Veränderungen. Neun Portraits von Menschen, die im Permafrost leben und arbeiten, runden die visuelle Reise in die Arktis ab. Jede Seite ist dabei eine Warnung vor den dramatischen Folgen des Klimawandels, findet Hugues Lantuit: „Das Wissen in diesem Atlas ist ein dringender Aufruf zum Handeln.“

Den neuen Arctic Permafrost Atlas gibt es hier zum Download als PDF: https://nunataryuk.org/news/atlas

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.

Das Auftauen der Permafrostböden ist einer der großen Kipppunkte, die die Klimakrise vorantreiben. Eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie betont, dass das Auftauen der Böden neben der Freisetzung von Methan, das wiederum die Klimakrise anheizt, auch zu einer massiven Belastung der Arktis mit industriellen Altlasten und Schadstoffen führen kann.

Arktischer Ozean im Wandel

Antje Boetius sitzt im Eis vor der Polarstern und untersucht den Wandel im arktischen Ozean

© Alfred-Wegener-Institut / Esther Horvath (CC-BY 4.0)

Pressemitteilung, 29.09.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Forschungsschiff Polarstern kehrt am Wochenende in seinen Heimathafen Bremerhaven zurück

[29. September 2023] Nach erlebnis- und arbeitsreichen Monaten endet am kommenden Wochenende die Arktissaison mit der Polarstern-Expedition namens ArcWatch-1. Das knapp 100-köpfige Team aus Besatzung und Wissenschaft hat Dicke und Eigenschaften des Meereises vermessen, die Strömungen und chemischen Eigenschaften des Ozeans aufgezeichnet und das Leben im und unter dem Eis, im freien Wasser und am Boden der Tiefsee erforscht. Ihre Daten zeigen erhebliche Veränderungen im Vergleich zu vorangegangenen Expeditionen auf. Am 7. September 2023 erreichte die Polarstern den Nordpol, und am 20. September gab es den weltweit ersten Livestream eines ROV-Untereis-Tauchgangs aus der Zentralarktis.

Der Sommer des Jahres 2023 geht ein als der global heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen: die Gletscher schmelzen schneller denn je, riesige Waldbrände in Kanada und Sibirien hinterlassen ihre Spuren, das Meereis schmolz schon im Mai und Juni 2023 schneller als zuvor. Daher erwartete des Expeditionsteam besonders wenig Meereis während der Untersuchungen in der zentralen Arktis. Die ersten Ergebnisse waren überraschend: Das Meereis des zentralen Arktischen Ozeans schmolz im August und September nicht so weit ab wie erwartet, es war auch dicker als in den Jahren zuvor.

„Es fehlten die Schmelztümpel, die Sedimenteinschlüsse, die Presseisrücken, die sonst so charakteristisch für das arktische Meereis im Sommer sind. Das Eis war besonders flach und von unten stark aufgeschmolzen. Ungewöhnlich viel Schnee auf den Schollen hat dafür gesorgt, dass sie von Oberflächenschmelze geschützt waren und es direkt unter dem Eis nur wenig Licht gab“, berichtet AWI-Meereisphysiker Dr. Marcel Nicolaus. Er setzte mit seinem Team an den insgesamt neun Eisstationen einen Unterwasser-Roboter (Remotely Operated Vehicle, ROV) ein. Ein besonderes Highlight der Expedition war die live Übertragung eines solchen Tauchgangs auf dem AWI-Youtube Kanal am 20. September, der erste ROV-Untereis-Tauchgang, der live aus der Zentralarktis ins Internet übertragen und von mehreren hundert Menschen verfolgt wurde.

Der großräumige Einsatz des Messgerätes EM-Bird vom Helikopter der Polarstern sowie von parallelen Flugzeugkampagnen zeigte: Die Dicke des ebenen Meereises betrug auch Anfang September noch 1,2 Meter – mehr als im Sommer der MOSAiC-Expedition im Jahr 2020 oder zum größten Meereisminimum 2012. Dank Telekommunikation über neue Satelliten mit Polarabdeckung konnten die Daten der Expedition direkt in Modelle eingespeist werden. Meereisphysiker Dr. Thomas Krumpen erklärt die beobachtete Anomalie so: „Wo in den letzten Jahrzehnten die Schollen vorwiegend von den sibirischen Schelfen in das Eurasische Becken drifteten, kam das Eis dieses und auch letztes Jahr aus dem kanadischen Becken, ohne Kontakt zum flachen Schelf. Das ist ein ungewöhnlicher Verlauf der Transpolardrift.“ Die Ursache beruht vermutlich auf einem Phänomen von ungewöhnlich stabilen Tiefdruckgebieten, die den Sommer über das Eis auf dem sibirischem Schelf zusammen hielt und verknüpft war mit einer Zufuhr kalter Polarluft.

„Entsprechend haben wir kaum Eisalgen an der Unterseite des Meereises gefunden. Besonders Melosira arctica fehlte, die meterlange Ketten bilden kann und ein wichtiger Nährstofflieferant für das gesamte Ökosystem ist. Das Eis war dieses Jahr wie tot. Wegen der Abdunklung durch Schnee schwammen Algen aus dem Wasser auf und legten sich in einem Film unter das Eis, um noch etwas Licht abzubekommen“, berichtet die Leiterin der Expedition Prof. Dr. Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Veränderungen entdeckten auch die Ozeanographen in der obersten Meeresschicht, die salziger war als in den Jahren zuvor wegen der fehlenden Eisschmelze sowie geringerer Einträge des sibirischen Schelfwassers.

Der Vergleich mit den früheren Untersuchungsjahren 2012 und 2020 zeigte auch für das im Wasser treibende, planktonische Leben Unterschiede. Im August und September war die Algenblüte längst vorbei, es konnte sich auch keine Algenbiomasse unter dem Eis aufbauen. Stattdessen fanden die Forschenden Schwärme von Tieren wie Pfeilwürmer, Manteltiere, Eisamphipoden, Ruderfußkrebse, Flügelschnecken und Rippenquallen. Das Team um Co-Fahrtleiterin Dr. Christina Bienhold fand die Lebensgemeinschaften in der Tiefsee daher verändert vor: „Es sind dieses Jahr kaum Meereisalgen in die Tiefsee gesunken. Dennoch ist insgesamt die Aktivität der Lebewesen am Boden etwas im Vergleich zum Meereisminimum im Jahr 2012 gestiegen.“ Aufnahmen mit der Tiefseekamera zeigten, dass sich die Zusammensetzung der Gemeinschaft verändert hat. Der einstmals glatte Meeresboden wurde stark besiedelt und durchwühlt von Ringel- und Borstenwürmern, kriechenden Seeanemonen und Seegurken. „Es ist erstaunlich, wie schnell das arktische Leben auf Änderungen in der Meereisbedeckung reagiert,“ sagt Antje Boetius. Das Team konnte Proben aller Größenklassen von Lebewesen der arktischen Tiefsee gewinnen, um ihre Vielfalt und Verteilung sowie auch Veränderungen zu den vergangenen Jahrzehnten zu untersuchen.

Die Forschungen der Expedition ArcWatch-1 schlossen auch Meeresbodenkartierungen von bisher unbekannten Seebergen ein, von denen sich einer als Biodiversitäts-Hotspot entpuppte. Zudem gewannen die Chemiker an Bord große Mengen von Wasser- und Eisproben, um die Veränderung der Kohlenstoffpumpe in die Tiefsee zu erfassen und um nicht-abbaubare chemische Stoffe zu detektieren. Für ein europäisches Projekt bewerten sie die Verteilung von Schadstoffen in der Arktis. Das Polarstern-Team konnte zudem eine Reihe neuer Hightech-Instrumente wie Roboter, autonome Sensor- und Probennahme-Module, sowie hochauflösende Untereiskameras erfolgreich einsetzen. Sie bauten ein großes Netzwerk von Bojen auf und setzten neuartige Verankerungen für ganzjährige Untersuchungen ein. So werden sie weitere Daten über den Wandel des zentralen arktischen Ozeans erhalten, auch nachdem Polarstern nun aus der zentralen Arktis zurückkehrt.

Weitere Einblicke in die Expedition können Interessierte bereits zum Jahreswechsel bekommen: Eine Dokumentation, produziert von UFA Documentary, mit dem Arbeitstitel ARCWATCH – HOFFNUNG IM EIS wird am 29. Dezember um 21.45 Uhr im Ersten ausgestrahlt und in der ARD-Mediathek verfügbar sein. Die kommenden drei Wochen wird die Polarstern für standardmäßige Wartungs- und Reparaturarbeiten in der Bremerhavener Lloyd Werft verbringen, bevor sie Ende Oktober Richtung Antarktis aufbrechen wird.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.

Der Wandel im arktischen Ozean zeigt sich nicht nur durch veränderte Artgemeinschaften, sondern auch durch die Veränderung der saisonalen Vertikalwanderung von Zooplankton als Folge des zunehmenden Meereisrückgangs.

 

Wie Spurenelemente die CO2-Speicherung im Ozean verändern

Eine Luftaufnahme einer Phytoplanktonblüte

© European Union, Copernicus Sentinel-3 imagery / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 27.09.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Eisen und Mangan beeinflussen das Algenwachstum und damit auch den Kohlenstoff-Transport im Südpolarmeer

[27. September 2023] Der richtige Mix von Spurenelementen ist entscheidend für eine gesunde Ernährung. Diese Devise gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für das Phytoplankton. Die winzigen Algen im Südpolarmeer haben als Kohlendioxid-Speicher maßgebliche Effekte auf das Weltklima. So zeigt eine neue Studie des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) und der Universität Bremen einen interessanten Zusammenhang: Wenn das Phytoplankton gleichzeitig mehr Eisen und Mangan bekommt, verändert sich seine Lebensgemeinschaft. Die Algen können dann mehr CO2 binden und bilden mehr klebrige, kohlenstoffreiche Kolonien, die besser auf den Meeresgrund sinken. Dadurch holen sie den Kohlenstoff effizienter aus der Atmosphäre, berichtet das Forschungsteam im Fachjournal Current Biology.

Da das Südpolarmeer reich an Nährstoffen wie Nitrat und Phosphat ist, sollte man dort eigentlich auch ein üppiges Algenwachstum erwarten. Doch in den meisten Regionen gibt es erstaunlich wenig Phytoplankton. Schon länger ist bekannt, dass hinter dieser Wachstumsschwäche vor allem ein kräftiger Eisen-Mangel steckt, teilweise ist aber auch Mangan knapp. Ob das auch für das südliche Weddellmeer gilt, wusste bisher allerdings niemand. Nun aber haben Forschende des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) sowie der Universität Bremen nicht nur die Mengen beider Elemente in den abgelegenen und schwer erreichbaren Gewässern am 77. Breitengrad untersucht. Zum ersten Mal haben sie während der COSMUS-Expedition im Jahr 2021 auch getestet, welchen Einfluss beide Spurenmetalle auf die dortigen Algengemeinschaften haben.

Dabei hat sich herausgestellt, dass im Vergleich zu ihrer möglichen Photosynthese-Leistung die Algen im gesamten südlichen Weddellmeer erstaunlich schlecht wachsen und somit auch weniger Kohlenstoff zum Meeresgrund transportieren als eigentlich möglich wäre. Dieses Ergebnis passt zu der ebenfalls schlechten Versorgung mit Spurenelementen: „Tatsächlich haben wir überraschend geringe Konzentrationen von Eisen und Mangan gefunden“, berichtet Erst-Autorin Jenna Balaguer, deren Doktorarbeit von Scarlett Trimborn betreut und am AWI und der Universität Bremen durch das Schwerpunktprogramm Antarktisforschung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde. „Für manche Phytoplankter scheinen beide Substanzen sehr knapp zu sein, während andere nur Eisen benötigen.“ Und das hat offenbar weitreichende Folgen.

Diese wurden deutlich, als die Gruppe Meerwasser aus der Region in Behälter füllte und dann entweder Eisen oder Mangan oder beides dazugab. „Dabei hat sich gezeigt, dass die Eisenversorgung tatsächlich nicht der einzige entscheidende Faktor ist“, sagt AWI-Forscher und Studienmitautor Florian Koch. „Erst durch die Kombination von Eisen und Mangan konnten wir das Wachstum der Algen so richtig ankurbeln.“ Damit aber nicht genug: Da die einzelnen Arten durchaus unterschiedliche Ansprüche an die Versorgung mit Spurenelementen haben, veränderte sich mit den Zugaben auch die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft.

Das aber ist nicht nur ökologisch interessant, sondern hat auch weitreichende Konsequenzen für das Kohlenstoffbudget der Erde und damit für das Klimagleichgewicht. Denn das Phytoplankton hat einen wichtigen Einfluss auf den Kohlenstoff-Transport im Meer. Sobald die grünen Winzlinge per Photosynthese Energie gewinnen, setzen sie nämlich nicht nur große Mengen Sauerstoff frei. Gleichzeitig nehmen sie auch das Treibhausgas Kohlendioxid auf und bauen den darin enthaltenen Kohlenstoff in ihre Zellen ein. Wenn sie dann absterben und auf den Meeresgrund sinken, nehmen sie diesen Kohlenstoff mit. Statt in der Atmosphäre für weiter steigende Temperaturen zu sorgen, wird er durch diese biologische Pumpe also in die Tiefsee exportiert.

Gerade die Vorgänge im Untersuchungsgebiet der Studie sind in dieser Hinsicht besonders interessant. Immerhin geht etwa ein Viertel des insgesamt von den Organismen des Südpolarmeers aufgenommenen Kohlenstoffs auf das Konto des Phytoplanktons, das südlich des 55. bis 60. Breitengrades im Weddellmeer treibt. „Zum ersten Mal haben wir deshalb auch untersucht, wie der Eisen- und Mangan-Mangel dort den Kohlenstoff-Export beeinflusst“, sagt Jenna Balaguer.

Tatsächlich zeigen die Experimente, dass schon relativ kleine Veränderungen in der Artenzusammensetzung einen unerwartet großen Effekt auf diesen Prozess haben können. Denn je nach Größe, Form und sonstigen Eigenheiten sinken manche Zellen schneller und häufiger auf den Meeresgrund als andere. So führte die Zugabe von Spurenelementen zu einem starken Wachstum der Alge Phaeocystis antarctica. Diese gesellige Art bildete größere und mehr kohlenstoffreiche Kolonien, die dann zusammen mit den örtlichen Kieselalgen auch besonders gut absanken. Reicherte das Forschungsteam das Wasser nur mit Eisen an, verdoppelte sich dadurch das Export-Potential für Kohlenstoff. Eine Kombination von Eisen und Mangan ließ es um das Vierfache ansteigen.

Was aber bedeutet das für die Zukunft des Südpolarmeeres? Momentan lässt sich laut dem Studienteam nicht genau vorhersagen, welche Phytoplankton-Arten vom höheren CO2-Gehalt profitieren werden und wieviel mehr CO2 der Ozean dann aufnehmen kann als heute. Allerdings zeigt die Studie klar, dass ein zusätzlicher Eintrag von Eisen und Mangan durch Eisschmelze und Sedimente das Algenwachstum drastisch ankurbeln und die biologische Kohlenstoffpumpe auf Hochtouren arbeiten lassen könnte. Was der Klimawandel tatsächlich bewirken wird, lässt sich nur mithilfe von Modellen einigermaßen abschätzen. Und die sollten die neuen Erkenntnisse nun unbedingt integrieren, schließen die AWI-Forschenden, denn die Auswirkungen von Mangan auf die Kohlenstoffpumpe hatten die Modelle bisher nicht auf der Rechnung.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.

Die Originalpublikation „Iron and manganese availability drive primary production and carbon export in the Weddell Sea“ findet ihr bei Current Biology.

Das Bild zeigt eine großflächige Phytoplankton-Blüte im Sommer 2021 in der Barentssee, aufgenommen mit einem der Copernicus Sentinel-3 Satelliten.

Das Spurenelement Eisen, welches die Primärproduktion und damit die Aufnahme von CO2 fördert, kommt sowohl in den Kotballen von Krill als auch von Salpen vor. Forscher:innen haben herausgefunden, dass antarktisches Phytoplankton das Eisen im Kot von Salpen vergleichsweise besser aufnehmen kann.

CO2-Speicherung darf Ausstieg aus fossilen Energien nicht behindern

Ein Plakat, dass CCS kritisiert.

© Matt Hrkac / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Pressemitteilung, 25.09.2023, Umweltbundesamt

Neues UBA-Papier: CCS-Technik bei Abfallverbrennung erproben – Moore, Wälder und andere natürliche Senken haben Vorrang

Das Umweltbundesamt (UBA) rät in einem neuen Positions-Papier dazu, das Abscheiden und Speichern von CO2 (kurz CCS, für Englisch „Carbon Capture and Storage“) in der Abfallwirtschaft zu erproben. UBA-Präsident Dirk Messner sagte: „Wir brauchen CCS vor allem im globalen Maßstab. CCS ist aber kein Allheilmittel für den Klimaschutz. Wenn wir es nicht schaffen, von den fossilen Energieträgern wegzukommen, wird uns CCS nichts nützen. Wir haben in Deutschland viel zu wenig Speicher, um das Kohlendioxid sicher für Mensch und Klima zu speichern. Nur bei wirklich unvermeidbaren CO2-Emissionen sollten wir CCS nutzen.“ Das UBA schlägt daher vor, die Technik zunächst in Müllverbrennungsanlagen zu testen, in denen aus nicht recycelbarem Abfall Wärme und Strom erzeugt wird, aber auch CO2 anfällt. So könnten erste Erfahrungen mit der Technik gesammelt und Umweltrisiken beurteilt werden.

Für die Abscheidung von CO2 (Carbon Capture) gibt es verschiedene Techniken. Einmal abgeschieden, wird das CO2 unter Druck verflüssigt und unterirdisch eingelagert (Storage). Eine Speicherung ist unter anderem in leeren Gas- oder Erdöllagerstätten, in salzwasserführenden Gesteinsschichten oder im Meeresuntergrund möglich. Sowohl Transport als auch Lagerung müssen dauerhaft sicher und dicht sein, um ein Entweichen des für Mensch und Umwelt in hohen Konzentrationen schädlichen CO2 zu verhindern. Wird CO2 etwa in den Meeresuntergrund verpresst, muss die marine Umwelt vor ⁠Versauerung⁠ geschützt werden. Diesen Nachweis muss die Technik noch erbringen.

Bei allen ungeklärten Fragen hält es das ⁠UBA⁠ für wichtig, die ⁠CCS⁠-Technik CCS-Technik zu erproben. Für einen Testbetrieb schlägt das UBA Müllverbrennungsanlagen vor. Das dort freigesetzte CO2 entsteht am Ende einer langen Wertschöpfungskette und könnte dann abgeschieden und gespeichert werden. Dieses so genannte Waste-CCS (WACCS) hat für die Umwelt zudem den Vorteil, dass für den dort verbrannten Müll kaum zusätzliche fossile Energieträger zum Einsatz kommen und die Abwärme genutzt wird.

Dem Einsatz von CCS-Anlagen in anderen Industriezweigen wie der Zementindustrie oder gar in der Energiewirtschaft steht das UBA kritisch gegenüber. In der Energiewirtschaft würde der Einsatz von CCS fossile Techniken verfestigen und den Ausbau der erneuerbaren Energien behindern. Auch in anderen Branchen würde CCS klimafreundlichere Alternativen erschweren – etwa mehr Holzbau, alternative Bindemittel oder Baustoffe. Um keine negativen Effekte bei der Transformation der Energiewirtschaft, der Industrie und der Bauwirtschaft hervorzurufen, sollte die Technik dort nicht priorisiert werden.

Die EU hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2050 treibhausgasneutral zu werden. Deutschland will das Ziel schon 2045 erreichen. Da jedoch selbst bei ambitionierter Klimapolitik unvermeidbare fossile Restemissionen von 40 bis 60 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr bleiben, sind natürliche CO2-Speicher wie Wälder, Moore, aber auch die verstärkte Holznutzung als Baustoff wichtig, um diese Emissionen aufzunehmen. „Der Ausbau und der Schutz von Mooren, Wäldern und anderen natürlichen Senken sollte unsere erste Priorität sein. CCS und andere technische Senken könnten die natürlichen Senken dann ergänzen“, so Messner. Für CCS bei der Abfallverbrennung hält das UBA eine Kompensation von bis zu 20 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr für möglich.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim UBA.

Hier findet ihr das UBA-Positionspapier „Carbon Capture and Storage (CCS)“.

Dass es sich bei CCS und den damit verbundenen Technologien um ein zu Recht umstrittenes Thema handelt, macht auch diese Pressemitteilung vom UBA deutlich. In unserem Gastbeitrag von Nico Czaja wird die Problematik noch einmal besonders ausführlich aufgeschlüsselt.

Rechtsstreit um LNG-Vorhaben vor Rügen: Natur steht als Verlierer da

Kormorane fliegen über den Greifswalder Bodden

© Archiv Frank Liebig / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0 DE)

Pressemitteilung, 19.09.2023, NABU

Bundesverwaltungsgericht lehnt Eilantrag ab/ Beschleunigungsgesetzgebung führt zu bitterer Entscheidung für Greifswalder Bodden

Berlin/Schwerin – Enttäuscht hat der NABU die ablehnende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig im Eilverfahren zur LNG-Pipeline vor Lubmin im Greifswalder Bodden zur Kenntnis genommen. Diese ist am gestrigen Abend zugestellt worden. Der NABU-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern hatte unter anderem einen Baustopp beantragt, um insbesondere Baggerarbeiten an gesetzlich geschützten Riffen zu verhindern. „Die Argumentation des Gerichts ist für uns an vielen Stellen nicht nachvollziehbar“, so NABU-Landesgeschäftsführerin Dr. Rica Münchberger. „Zumal die Entscheidung bereits vor Ablauf unserer Begründungsfrist ergangen ist und wir bislang keine Einsicht in verfahrensrelevante Akten nehmen konnten. Unter diesen Bedingungen und mit den sehr kurzen Fristen, wird es für Umweltverbände nahezu unmöglich erfolgreiche Entscheidungen im Eilverfahren zu erstreiten.”

Es werde der gesetzliche Biotopschutz vom Tisch gewischt und der Habitatschutz vernachlässigt. „Das Gericht argumentiert, wir hätten eine erhebliche Beeinträchtigung der Riffe nicht substantiiert dargelegt“, so Dr. Rica Münchberger. „Die Leipziger Richter*innen ignorieren dabei die fehlende Akteneinsicht und stellen die Beweisführungspflicht auf den Kopf: Eigentlich darf eine Behörde ein Vorhaben nämlich nur dann zulassen, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet auswirkt.”

Diese erforderliche Gewissheit liegt nach der Rechtsprechung aber nur dann vor, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel an der Annahme besteht, dass solche Auswirkungen nicht auftreten werden. Nach Überzeugung des NABU sind diese Zweifel aber vorhanden, weil wertvolle Riffe dauerhaft zerstört werden und beispielsweise Laichhabitate und Rückzugsräume inmitten eines Meeresschutzgebietes verloren gehen. Auch die ausführlichen Kapazitätsberechnungen zur Versorgungslage werden in der Entscheidung vollständig ausgeblendet. Die alternative Nutzungsmöglichkeit der vorhandenen Nord-Stream-2-Rohre ebenso.

„Insgesamt führt die Entscheidung zu einer Niederlage für die Natur. Der Beschleunigungsrausch der Bundesregierung wirkt sich in Verfahren wie dem vorliegenden in gravierender Weise auf den Rechtsschutz aus”, stellt Dr. Rica Münchberger fest. Der NABU als größter deutscher Umweltverband sieht sich in der Verantwortung, das Verfahren als Anlass zu nehmen, um sich weiterhin vertieft mit den Auswirkungen der Beschleunigungsgesetzgebung zu befassen und auf daraus resultierende Missstände aufmerksam zu machen.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Bereits mehrfach in diesem Jahr hat der NABU MV gemeinsam mit anderen Umweltverbänden vor den irreparablen Umweltschäden der LNG-Pipeline durch den Greifswalder Bodden sowie weiterer geplanter küstennaher und küstenferner LNG-Standorte bei Rügen gewarnt. Neben den Auswirkungen für Flora und Fauna trägt das Gas außerdem nicht zum Klimaschutz bei – der CO2-Austoß der Schiffe, die LNG verwenden, verringert sich kaum, der Methanausstoß erhöht sich sogar.

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