Klima
Meeresschutz ist Klimaschutz.
Korallenriffe als ein Fenster in die Vergangenheit und Zukunft
Pressemitteilung, 31.08.2023, MARUM
Internationale Expedition vor der Küste von Hawai’i gestartet
Ein Blick zurück auf die Umweltveränderungen im Laufe der Erdgeschichte kann uns viel über die Zukunft verraten – insbesondere, wenn es um global und gesellschaftlich wichtige Themen wie den Meeresspiegel, den Klimawandel und die Gesundheit des Korallenriff-Ökosystems geht. Eine internationale wissenschaftliche Forschungsexpedition, die im Auftrag des International Ocean Discovery Program (IODP) durchgeführt wird, zielt darauf ab, die Klima- und Riffbedingungen der Vergangenheit vor der Küste von Hawai’i (USA) aufzuzeichnen. Die zweimonatige Forschungsexpedition wird Ende August den Hafen von Honolulu verlassen.
Korallenriffe reagieren sehr empfindlich auf den Meeresspiegel und andere Veränderungen der Umweltbedingungen. Als Fossilien halten sie eine Aufzeichnung vergangener Bedingungen über Hunderte, Tausende und Millionen Jahre der Erdgeschichte bereit. In den weltweiten Aufzeichnungen der vergangenen 500.000 Jahre gibt es jedoch Unterbrechungen, vor allem während Zeiten, in denen das Klima plötzlich sehr instabil wurde. IODP-Expedition 389 „Hawai’ian Drowned Reefs“ ( „Versunkene hawaiianische Riffe“) konzentriert sich auf dieses fehlende Glied. Wissenschaftliche Fahrtleitende sind Professor Christina Ravelo (Ocean Sciences Department an der University of California, Santa Cruz, USA) und Professor Jody Webster (School of Geosciences), der University of Sydney, Australien).
Prof. Christina Ravelo: „Die fossilen Riffe von Hawai’i sind Geschichtenerzähler der vergangenen Klima- und Ozeanveränderungen und der Reaktionen des Riffökosystems auf diese Veränderungen. Wir möchten diese Geschichten durch sorgfältige Untersuchung der Fossilien, die wir zu bergen hoffen, aufdecken und teilen.“
Prof. Jody Webster: „Wir hoffen, dass die in den fossilen Riffen aufgezeichneten Informationen den Wissenschaftlern helfen werden, bessere Vorhersagen über Geschwindigkeit und Ausmaß des Meeresspiegelanstiegs zu treffen, welche Auswirkungen die globale Erwärmung und Abkühlung auf kurzfristige Klimaphänomene wie Dürren, Überschwemmungen und marine Hitzewellen hat, und wie Korallenriff-Ökosysteme auf diese Veränderungen reagieren.“
Dr. Thomas Felis, Leiter der Arbeitsgruppe Korallen-Paläoklimatologie am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, ist Mitglied des Expeditionsteams. „Nach früheren Korallenriff-Bohrexpeditionen zum Great Barrier Reef und nach Tahiti, an denen ich beteiligt war, bietet sich nun in Hawai’i die einmalige Gelegenheit, noch viel weiter in die Vergangenheit zurückzugehen, hoffentlich bis zu einer halben Million Jahre“, sagt Thomas Felis. Er koordiniert auch das DFG-Schwerpunktprogramm „Tropische Klimavariabilität & Korallenriffe“ (SPP 2299), ein deutschlandweites Verbundprojekt, das ein besseres Verständnis der Klimavariabilität in den tropischen Ozeanen und ihrer Auswirkungen auf das Ökosystem der Korallenriffe in einer sich erwärmenden Welt zum Ziel hat. „Ich freue mich sehr, dass vier Forschende aus unserem Programm eingeladen wurden, zur IODP-Expedition 389 nach Hawai’i beizutragen“, so Felis.
Ziel der Expedition ist es, Bohrkerne aus Wassertiefen zwischen 134 und 1.155 Metern an zwanzig Stellen zu bergen. Auch wenn dies das erste Mal ist, dass in diesem Gebiet ein Ozeanbodenbohrgerät eingesetzt wird, sind die geplanten Lokationen gut untersucht. „Wir haben eine sehr gute Vorstellung davon, wie der Meeresboden vor der Küste von Hawai’iaussieht, Wissenschaftler:innen haben in den letzten vier Jahrzehnten mit Tauchbooten und ferngesteuerten Tauchrobotern umfangreichen Kartierungen mit Unterwassersonaren sowie Filmmaterial und Oberflächenproben gesammelt“, sagt Jody Webster. „Diese Informationen haben uns geholfen, die besten Lokationen für die sorgfältige Gewinnung der Kerne auszuwählen, die unser Verständnis der Geschichte des Riffsystems erheblich vertiefen werden“, fügt Christina Ravelo hinzu.
Die Universität von Hawai’i ist eine Partnerinstitution dieser Expedition und verfügt über eine lange Tradition in der Wissenschaft in den Bereichen Korallenriffe, Küstenphänomene und Küstengeologie. Hawai’ianische Wissenschaftler haben den Anstieg des Meeresspiegels und seine Auswirkungen untersucht und hervorgehoben, wie wichtig dieses Wissen für das Formulieren einer Strategie zur Eindämmung des Klimawandels und zur Stärkung der Resilienz in der Zukunft ist. Prof. Kenna Rubin, anorganische Geochemikerin an der University of Hawai’i at Manoa, Department of Earth Sciences, war von Anfang an an der Planung der Expedition beteiligt und wird eine wichtige Teilnehmerin sein.
Prof. Kenna Rubin: „Die detaillierten, hochauflösenden zeitlichen und zusammengesetzten Abfolgen, die wir von dieser Expedition erwarten, werden unser Wissen über die Reaktionen auf den Klimawandel erheblich erweitern und Forschenden helfen, die vulkanische Absenkungsgeschichte von ‚Big Island‘ besser zu verstehen.“ Die Auswirkungen dieser Forschung in Hawai’i werden zu bestehenden Studien über Meeresspiegelveränderungen beitragen, wie sie hier von Korallenriffen aufgezeichnet werden.“
Die wissenschaftlichen Ziele der Expedition zielen darauf ab, Fragen zu vier Hauptthemen zu beantworten:
- Das Ausmaß der Meeresspiegelveränderung in den letzten halben Million Jahren zu messen
- Warum sich Meeresspiegel und Klima im Laufe der Zeit ändern zu untersuchen
- Wie Korallenriffe auf abrupte Meeresspiegel- und Klimaveränderungen reagieren zu erforschen, und
- Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Wachstum und Absenkung von Hawai’i im Laufe der Zeit zu verbessern.
Die Planungsphase der Expedition umfasste intensive Umweltbeobachtungen und eine umfassende Risikobewertung.
Um das Material, das die Wissenschaftler:innen für ihre Analysen in den kommenden Jahren nutzen werden, zu gewinnen, wird während der Expedition auf dem Mehrzweckschiff MMA VALOUR ein Meeresbodenbohrgerät eingesetzt. Das Meeresbodenbohrgerät wird von einem renommierten Spezialisten der Geotechnikindustrie bereitgestellt und betrieben. Es wird auf den Meeresboden abgesenkt, um bis zu 110 Meter lange Bohrkerne aus dem Ozeanboden zu bergen.
Die MMA VALOUR ist ein vielseitiges Mehrzweck-Versorgungsschiff, das MMA Offshore gehört und von MMA Offshore betrieben wird, einem weltweit führenden Anbieter von See- und Unterwasserdienstleistungen. MMA mit Hauptsitz in Perth, Australien, engagiert sich für den Schutz der Meeresökosysteme der Welt und die Unterstützung wichtiger wissenschaftlicher Forschung in diesem Bereich.
An der Expedition werden 29 Wissenschaftler:innen aus Australien, Österreich, China, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Indien, Japan, den Niederlanden, Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika teilnehmen. Zehn von ihnen werden an Bord der MMA VALOUR sein und am 31. August den Hafen von Honolulu verlassen. Die Offshore-Phase der Expedition endet am 31. Oktober. Alle Mitglieder der Wissenschaftsgruppe werden sich zur Onshore-Phase im Bremer IODP Bohrkernlager (BCR) am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen (Deutschland) treffen um die Kerne zu öffnen, zu analysieren, zu beproben und die im Februar 2024 gesammelten Daten auszuwerten. „Das Treffen im Februar in Bremen bietet die Möglichkeit, dass alle Wissenschaftler:innen der internationalen und interdisziplinären Expedition erstmalig zusammen kommen und Kollaborationen intensiviert oder sogar erst initiiert werden“, sagt Dr. Ursula Röhl, Wissenschaftlerin am MARUM und Leiterin des Bremer Bohrkernlagers. „Im Moment ist ein Teil des Bremer Kernlager-Teams mit an Bord, um die Bohrkerne und Probenmaterial fachgerecht zu kuratieren und erste Messungen zu begleiten“, fügt sie weiter hinzu.
Die Kerne werden archiviert und der wissenschaftlichen Gemeinschaft nach einer einjährigen Moratoriums-Periode nach der Onshore-Phase der Expedition für weitere wissenschaftliche Forschungen zugänglich gemacht. Alle Expeditionsdaten werden öffentlich zugänglich sein und die daraus resultierenden Ergebnisse werden veröffentlicht.
Die Expedition wird vom European Consortium for Ocean Research Drilling (ECORD) im Rahmen des International Ocean Discovery Program (IODP) durchgeführt. IODP ist ein öffentlich finanziertes internationales Meeresforschungsprogramm, das von 21 Ländern unterstützt wird und die in Sedimenten und Gesteinen des Meeresbodens aufgezeichnete Erdgeschichte und -dynamik erforscht und die Umgebungen unter dem Meeresboden überwacht. Über mehrere Plattformen – eine einzigartige Funktion von IODP – untersuchen Wissenschaftler:innen die tiefe Biosphäre und den Ozean unter dem Meeresboden, Umweltveränderungen, Prozesse und Auswirkungen sowie Zyklen und Dynamik der festen Erde.
Der ECORD Science Operator verfügt über große Erfahrung in der Arbeit mit sensiblen Ökosystemen wie Korallenriffen, nachdem See-Expeditionen bereits zum Great Barrier Reef (Australien, 2010) und nach Tahiti (2005) durchgeführt wurden.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM.
Besonders gefährdet sind die artenreichen Riffökosysteme durch Extremwetterereignisse wie Zyklone und Hitzewellen, die aufgrund der Klimakrise immer häufiger und mit größerer Intensität auftreten.
Im Jahr 2022 hat sich DEEPWAVE für sein Filmfestival in Bremen mit dem 15. Internationalen Korallenriff-Symposium (ICRS), der größten Konferenz für Korallenforscher:innen zusammengetan und das Filmfestival „Saving Corals“ auf die Beine gestellt.
Meereisrückgang lässt Zooplankton künftig länger in der Tiefe bleiben
Pressemitteilung, 28.08.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Neue Studie zeigt: Klimawandel verändert saisonale Vertikalwanderung von Zooplankton in der Arktis
[28. August 2023] Sonnenlicht kann wegen der zunehmenden Meereisschmelze in der Arktis immer tiefer in den Ozean eindringen. Weil sich das Zooplankton im Meer an den Lichtverhältnissen orientiert, verändert sich dadurch auch sein Verhalten – vor allem dabei der Auf- und Abstieg der winzigen Tiere innerhalb der Wassersäule. Wie ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts nun zeigt, könnte dies in Zukunft zu häufigeren Hungerphasen beim Zooplankton und zu negativen Effekten bis hin zu Robben und Walen führen. Die Studie ist im Fachmagazin Nature Climate Change erschienen.
Ausdehnung und Dicke des Meereises in der Arktis schwinden in Folge des menschengemachten Klimawandels deutlich. So schrumpft die durchschnittliche Fläche des Eises derzeit um etwa 13 Prozent pro Dekade. Schon 2030 – so zeigen es aktuelle Studien und Modellrechnungen – könnte der Nordpol im Sommer erstmals eisfrei sein. Die physikalischen Umweltbedingungen für das Leben im Nordpolarmeer ändern sich dadurch ebenso deutlich. Das Sonnenlicht etwa kann bei schrumpfender und dünnerer Eisdecke viel tiefer in das Wasser des Ozeans eindringen. In der Folge kann etwa die Primärproduktion – also das Wachstum – von Mikroalgen in Wasser und Eis unter bestimmten Bedingungen stark ansteigen. Wie sich die veränderten Lichtbedingungen auf höhere trophische Ebenen der Nahrungskette – wie beispielsweise das sich unter anderem von Mikroalgen ernährende Zooplankton – auswirken, ist bislang noch nicht gut verstanden. Ein internationales Forschungsteam um Dr. Hauke Flores vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) hat nun einen wichtigen wissenschaftlichen Baustein für ein besseres Verständnis geliefert.
„In den Ozeanen findet jeden Tag die gewaltigste synchrone Massenbewegung von Organismen auf dem Planeten statt“, sagt Hauke Flores. „Und das ist die tägliche Wanderung des Zooplanktons, zu dem etwa die winzigen Copepoden, auch bekannt als Ruderfußkrebse, und der Krill zählen. Nachts kommt das Zooplankton nah an die Wasseroberfläche, um zu fressen. Tagsüber wandert es wieder in die Tiefe, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Einzelne Organismen des Zooplanktons sind zwar winzig, in der Summe aber ergibt sich so eine enorme tägliche Vertikalbewegung von Biomasse in der Wassersäule. In den Polargebieten sieht diese vertikale Wanderung allerdings anders aus. Sie ist hier saisonal, das heißt, dass das Zooplankton einem jahreszeitlichen Zyklus folgt. In der monatelangen Helligkeit des Polartags im Sommer bleibt das Zooplankton dauerhaft in größeren Tiefen, in der monatelangen Dunkelheit der Polarnacht im Winter kommt ein Teil des Zooplanktons dann dauerhaft in das oberflächennahe Wasser direkt unter dem Eis.“
Ganz wesentlich bestimmt werden sowohl die tägliche Wanderung in niedrigen Breiten als auch die saisonale Wanderung in den Polargebieten vom Sonnenlicht. Die winzigen Tiere mögen es meist dämmrig. Sie bleiben gern unterhalb einer bestimmten Lichtintensität (kritisches Isolumen), die meist sehr niedrig ist und weit im dunklen Dämmerlichtbereich liegt. Wenn sich im Laufe des Tages oder der Jahreszeiten die Sonnenlichtintensität ändert, folgt das Zooplankton dem Isolumen, was letztlich dann zum Auf- und Absteigen in der Wassersäule führt. „Speziell im Bereich der oberen 20 Meter Wassersäule direkt unter dem Meereis fehlten bislang Daten zum Zooplankton“, erläutert Hauke Flores. „Genau dieser schwer für Messungen erreichbare Bereich ist aber der spannendste, weil genau hier im und unter dem Eis die Mikroalgen wachsen, von denen sich das Zooplankton ernährt.“ Um hier zu messen, konstruierte das Team ein autonomes biophysikalisches Messobservatorium, das sie am Ende der MOSAiC-Expedition des AWI-Forschungseisbrechers Polarstern im September 2020 unter dem Eis verankerten. Das Gerät konnte hier – fernab jeder Lichtverschmutzung durch menschliche Aktivitäten – kontinuierlich die Lichtintensität unter dem Eis und die Bewegungen des Zooplanktons messen.
„Im Ergebnis konnten wir ein sehr niedriges kritisches Isolumen für das Zooplankton von 0,00024 Watt/Quadratmeter bestimmen“, sagt der AWI-Forscher. „Diesen Wert haben wir dann in unsere Computermodelle integriert, die das Meereissystem simulieren. So haben wir dann für verschiedene Klimaszenarien berechnet, wie sich die Tiefe dieses Isolumens bis zur Mitte dieses Jahrhunderts verändert, wenn das Meereis in Folge des fortschreitenden Klimawandels immer dünner wird.“ Dabei zeigte sich, dass das kritische Isolumen wegen der immer weiter abnehmenden Eisdicke immer früher im Jahr in größere Tiefen absinkt und immer später im Jahr wieder die Oberflächenschicht erreicht. Da das Zooplankton grundsätzlich unterhalb des kritischen Isolumens bleibt, wird es dieser Bewegung folgen. Deshalb hält es sich in den Zukunftsszenarien immer länger in größeren Tiefen auf und seine Zeit im Winter unter dem Eis wird immer kürzer.
„Künftig wird sich in einem wärmeren Klima das Eis im Herbst später bilden, was zu einer geringeren Eisalgenproduktion führt“, erklärt Hauke Flores. „In Kombination mit dem späteren Aufstieg kann das beim Zooplankton im Winter häufiger zu Nahrungsmangel führen. Im Gegenzug kann ein früherer Abstieg des Zooplanktons im Frühjahr eine Gefährdung für tiefer lebende Jungstadien von ökologisch wichtigen Zooplanktonarten bewirken, die dann vermehrt von den ausgewachsenen Tieren gefressen werden könnten.“
„Insgesamt zeigt unsere Studie einen bisher nicht beachteten Mechanismus auf, über den sich die Überlebenschancen des Zooplanktons in der Arktis in naher Zukunft weiter verschlechtern könnten“, sagt der AWI-Forscher. „Dies hätte fatale Auswirkungen auf das ganze Ökosystem bis hin zu Robben, Walen und Eisbären. Unsere Modellsimulationen zeigen aber auch, dass sich die Vertikalwanderung bei Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels wesentlich weniger verschiebt als bei einem ungebremsten Fortschreiten der Treibhausgasemissionen. Deswegen ist für das arktische Ökosystem jedes Zehntel Grad weniger menschengemachte Erwärmung von entscheidender Bedeutung.“
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Die Originalpublikation „Sea-ice decline makes zooplankton stay deeper for longer“ findet ihr bei Nature Climate Change.
Die Umweltveränderungen durch die Klimakrise bedrohen das arktische Ökosystem auf vielen verschiedenen, zusammenhängenden Ebenen. Diese werden gerade auf der Polarstern-Expedition ArcWatch 1 untersucht. Auch die Polardorschbestände werden durch den Rückgang der Meereisbedeckung erheblich negativ beeinflusst.
Marine Hitzewellen: Ozeane mit Fieber
Pressemitteilung, 16.08.2023, NABU
Miller: Meere stoßen immer öfter an ihre Grenzen und müssen besser geschützt werden
Berlin – Pazifik, Atlantik und Mittelmeer werden immer öfter von Hitzewellen heimgesucht. Anfang August erreichte die Durchschnittstemperatur der Ozeane mit fast 21 Grad Celsius einen traurigen Rekord. Das Klimaphänomen El Niño tritt häufiger und intensiver auf. Auch daraus resultierende Extremwetterereignisse nehmen zu, mit fatalen Folgen für Mensch und Natur. Der NABU fordert die Bundesregierung deshalb auf, dem Klima- und Meeresschutz endlich Vorrang einzuräumen.
„Die Ozeane sind die stabilisierende Kraft unseres Klimasystems: Ein Drittel des von uns ausgestoßenen Kohlendioxids und 90 Prozent der Wärmestrahlung der Sonne werden von ihnen aufgenommen. Doch sie stoßen an ihre Kapazitäts- und Belastungsgrenzen. Klimastress, zunehmende Übernutzung und Industrialisierung führen zu ökologischen Kipp-Punkten und Artensterben, auch an unseren Küsten. Das wird von der Bundesregierung nicht ausreichend berücksichtigt“, mahnt NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller.
Während im Mittelmeer jüngst fast 29 Grad gemessen wurden waren es um die Florida Keys sogar 38 Grad Celsius. In der Folge starben massenhaft Korallen. Nach Angaben des Weltklimarates IPCC hat sich die Häufigkeit von Hitzewellen seit 1982 verdoppelt, und sie werden immer heißer und großflächiger.
„Wir müssen immer öfter beobachten, wie Riffe sterben und Fischbestände zusammenbrechen. Der überfischte Ostseehering kann sich in der bis zu fünf Grad zu warmen Ostsee nicht erholen, weil seine Larven verhungern. Dem Nordsee-Kabeljau wird es zu warm, er wandert nach Norden. Hitze und Nährstoffüberschuss führen zu giftigen Algenblüten, unser heimisches Seegras, Hotspot der Biodiversität und wertvolle Kohlenstoffsenke droht bei andauernden Wassertemperaturen über 25 Grad zu verschwinden,“ erläutert NABU-Meeresexperte Kim Detloff die Folgen.
Die Wissenschaft sorgt sich um die Meeresströmungen im Nordatlantik, wozu der das Klima Europas bestimmende Golfstrom gehört. Die atlantische Zirkulation ist Motor des globalen Strömungsbandes, welches mit seinen Wassermassen Temperatur, Sauerstoff und Nährstoffe verteilt. Stottert der Motor ändert sich das Klima, verschieben sich Niederschläge, kommt es häufiger zu Stürmen.
Angesichts der Klimakrise rächt sich der jahrzehntelange Raubbau an den Meeren doppelt. Arten gehen verloren, Lebensräume werden zerstört und als Folge nimmt die Widerstandskraft mariner Ökosysteme ab. Doch es ist nicht zu spät. Der NABU fordert neben dem schnellstmöglichen Ausstieg aus den fossilen Energien klimarelevante Biotope wie Algenwälder, Salz- und Seegraswiesen wiederherzustellen und die deutschen Meeresschutzgebiete umgehend wirksam zu schützen. „Die Hälfte der Schutzgebiete muss nutzungsfrei werden. Wir brauchen mehr Tempo. Die Bundesregierung sieht in Nord- und Ostsee immer nur den Wirtschaftsraum, versäumt es Ökosystemleistungen, ja unsere Lebensgrundlagen im Meer zu sichern. Wir können als Deutschland die Weltmeere nicht allein retten, aber wir können in Nord- und Ostsee zeigen, wie es besser geht und zum Vorreiter für den Schutz von Meer und Klima werden“, so Detloff.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.
Auch im arktischen Ozean bleiben Hitzewellen nicht aus. Die weitreichenden Veränderungen für das Ökosystem werden aktuell auf der Expetition ArcWatch 1 untersucht.
Klimawandel bedroht Polardorschbestände in der Arktis

© Shawn Harper, Hidden Ocean 2005 Expedition: NOAA Office of Ocean Exploration / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)
Pressemitteilung, 09.08.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Forschende befürchten erhebliche Folgen von steigenden Temperaturen und Meereisrückgang für den wichtigsten Fisch im Nordpolarmeer
[09. August 2023] Der Polardorsch ist der am häufigsten vorkommende Fisch im Arktischen Ozean. Er ist wichtige Nahrungsgrundlage für arktische Meeressäuger und spielt auch bei der Selbstversorgung der Inuit eine wichtige Rolle. Ein internationales Studienteam, darunter auch Forschende des Alfred-Wegener-Instituts, hat nun die wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten zum Polardorsch der vergangenen Jahrzehnte ausgewertet. Das Fazit: Vor allem der bereits weit fortgeschrittene Rückgang der arktischen Meereisbedeckung in Folge des menschengemachten Klimawandels könnte sich erheblich auf die künftige Verbreitung der Art auswirken. Die Studie wurde im Fachmagazin Elementa: Science of the Anthropocene veröffentlicht.
Der Polardorsch (Boreogadus saida) ist eng mit dem atlantischen Kabeljau verwandt und lebt im arktischen Ozean rund um den Nordpol. Als wichtige Nahrungsquelle für Meeressäuger (Ringelrobben, Narwale, Belugas) und Seevögel spielt er eine zentrale Rolle im arktischen Ökosystem. Zudem wird er von den Inuit in Kanada und auf Grönland genutzt.
Ein Forschungsteam hat nun 395 wissenschaftliche Artikel zum Polardorsch und zum Einfluss von Klimawandel und menschlichen Aktivitäten auf dessen Populationen ausgewertet, die zwischen 1954 und heute erschienen sind. Geleitet wurde das internationale Konsortium – 43 Forschende aus 26 Instituten – von Studienerstautor Dr. Maxime Geoffroy, Meeresbiologe am Fisheries and Marine Institute der Memorial University of Newfoundland in Kanada.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass dringend gehandelt werden muss, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die arktischen Polardorschbestände abzuschwächen“, sagt Maxime Geoffroy. „Die Veränderungen betreffen nicht nur den am häufigsten vorkommenden Fisch der Arktis, sondern stören auch das empfindliche Gleichgewicht des gesamten arktischen Ökosystems.“
Ein wichtiger Bestandteil der Studie war die von Dr. Hauke Flores, Meeresbiologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- Meeresforschung, koordinierte Bewertung der Zukunftsaussichten für den Polardorsch bis zur Mitte dieses Jahrhunderts. „Es war eine ziemliche Herausforderung, so viele Perspektiven auf die Auswirkungen der Klimakrise und anderer Stressfaktoren auf den Polardorsch zusammenzubringen“, sagt Hauke Flores. „Aber es gab einige klare Ergebnisse. Der Rückgang des Meereises und die Erwärmung der Ozeane sind die größten Bedrohungen für die Zukunft des Polardorschs. Die jüngsten Lebensstadien sind dabei am anfälligsten. Das Meereis ist für diesen Fisch sehr wichtig. Den Eiern und bis zu zwei Jahre alten Jungfischen bietet es Schutz vor Räubern. Umgekehrt finden die Jungfische unter dem Eis selbst im Winter Nahrung. Der Meereisrückgang hat daher nicht nur künftig, sondern auch heute schon erhebliche Auswirkungen auf den Polardorsch.“
Die wichtigsten Studienergebnisse zusammengefasst:
Lebensraumverlust: Steigende Temperaturen und schrumpfendes Meereis stellen eine erhebliche Bedrohung für den Lebensraum des Polardorschs dar, insbesondere für seine Eier und Larven. Diese Veränderungen beeinträchtigen die Fortpflanzungszyklen, die Überlebenschancen, das Wachstum, die Verbreitung und die Ernährungsfähigkeit der ganzen Art.
Veränderte Nahrungsverfügbarkeit: Der Klimawandel führt dazu, dass sich die Zusammensetzung des Zooplanktons als Nahrung für die Larven und Jungtiere des Polardorschs ändert. Dies kann zu geringeren Wachstumsraten und einer höheren Sterblichkeit der Larven und letztlich zu einem Rückgang der Bestände führen.
Zunehmende Prädation und Konkurrenz: Mit dem Rückgang des Meereises ist der Polardorsch verstärkt Raubtieren und Konkurrenten aus dem Nordatlantik und dem nördlichen Pazifik ausgesetzt. Seevogelarten und größere Fischarten aus südlich gelegenen Regionen dehnen ihr Verbreitungsgebiet auch auf bisher unzugängliche Gebiete aus. Dieser erhöhte Raubtier- und Konkurrenzdruck könnte kaskadenartige Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem haben.
Erhöhte Risiken durch Förderung/Transport von Öl und Gas: Insbesondere mögliche Ölverschmutzungen an der Meeresoberfläche können zu höherer Sterblichkeit, verringertem Wachstum und mehr Missbildungen bei Polardorschen führen.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Mithilfe von alter DNA aus dem Meeresgrund hat ein Team vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam herausgefunden, dass sich in der Vergangenheit beim Übergang von saisonal vereisten zu eisfreien Bedingungen das gesamte Ökosystem verändern kann – und was wir daraus für die Zukunft unserer von der Klimakrise bedrohten Meere lernen können.
ArcWatch 1: Augenzeugen des Arktischen Wandels
Pressemitteilung, 01.08.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
AWI-Direktorin Antje Boetius leitet Polarstern-Expedition in die Zentralarktis
[01. August 2023] Am Donnerstag, den 3. August 2023 soll das Forschungsschiff Polarstern vom norwegischen Tromsø aus in Richtung Nordpol starten. Zwei Monate lang werden gut fünfzig wissenschaftliche Expeditionsteilnehmende die Arktis im Wandel erforschen, während die Meereisausdehnung im September ihr jährliches Minimum erreichen wird. Sie erkunden die Biologie, Chemie und Physik des Meereises sowie die Auswirkungen des Meereis-Rückgangs auf das gesamte Ozeansystem von der Oberfläche bis in die Tiefsee. Vor elf Jahren war Antje Boetius beim bisher größten Meereisminumum der Arktis und seinen Folgen für das Leben in der Tiefsee dabei. Jetzt kehrt sie mit ihrem Team zurück, um den heutigen Zustand der Arktis zu vergleichen – auch mit den Daten der MOSAiC-Expedition 2019/20.
„Ich bin sehr gespannt darauf zu sehen, wie sich das Meereis und das Leben im Ozean in der letzten Dekade verändert haben“, sagt Antje Boetius. „Im Jahr 2012 waren wir während der bisher geringsten dokumentierten sommerlichen Meereisausdehnung vor Ort und konnten erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem des zentralen Arktischen Ozeans feststellen, bis in über vier Kilometer Wassertiefe“, erläutert die Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Aktuell beobachte ich die Meereissituation auf www.meereisportal.de besonders intensiv. Noch wissen wir nicht, ob ein neues Minimum erreicht wird, angesichts des global heißen Jahres 2023 und während in der Antarktis das Meereis ein Rekordtief zeigt.
Der Leiter des Team Meereisphysik und MOSAiC-Experte Dr. Marcel Nicolaus berichtet: „Das Eis erstreckt sich zurzeit mit knapp 7,5 Millionen Quadratkilometern über eine ähnliche Fläche wie in den beiden vergangenen Jahren. Damit gibt es noch etwa eine Million Quadratkilometer mehr Eis als im Jahr 2012. Die sommerliche Schmelze ist aber in vollem Gange, und vor allem der Wind wird in den kommenden Wochen bestimmen, wie sich das poröse, brüchige Eis weiter verteilt.“
Wie sich die Beschaffenheit des Meereises verändert, untersucht das Expeditionsteam vor Ort detailliert: Mit Helikopter-geschleppten Sensoren wird die Dicke des Eises vermessen, Eisbohrkerne erlauben die Analyse der Meereisbeschaffenheit sowie die Untersuchung im Eis lebender Algen. Ein Unterwasserroboter misst, wie viel Licht durch das Eis in den Ozean gelangt, wenn seine Oberfläche noch von Schnee oder bereits von Schmelzwassertümpeln bedeckt ist. Das Licht steht Kleinstalgen (Phytoplankton) als Energiequelle für die Photosynthese zur Verfügung, die in den oberen Wasserschichten leben. Was mit dem von ihnen gebundenen Kohlenstoff weiter passiert, wird (mikro-)biologisch, chemisch und physikalisch von der Wasseroberfläche bis in den Tiefseeboden erforscht. Die Planktologen an Bord wollen den Weg des Lebens direkt unter dem Eis bis in die Tiefsee verfolgen, dazu bringen sie verschiedene Kamerasysteme aus sowie autonome Probennehmer.
Für diese Arbeiten sind mehrere sogenannte Eisstationen geplant: „Das Schiff legt an eine Scholle an, dann gehen die Eisforscher auf die Scholle, wir setzen verschiedene Roboter und Freifallgeräte aus und parallel schauen wir mit den Zoologinnen die Lebewesen am Grund an, über 4000 Meter tiefer. So erkennen wir Zusammenhänge in allen Stockwerken des Ozeans vom Meereis bis zum Meeresboden“, erklärt Antje Boetius. Dabei kehrt das Team für vergleichende Untersuchungen in den gleichen Arbeitsgebieten wie im Jahr 2012 zurück: in die besonders produktive Eisrandzone und Regionen mit vielleicht noch immer mehrjähriger Eisbedeckung in der zentralen Arktis. Für die Arbeiten werden eine Reihe bewährter, aber auch neuer Technologien eingesetzt, beispielsweise Landersysteme, Tiefsee-Crawler und das am AWI entwickelte Ocean Floor Observation and Bathymetry System (OFOBS). Die Rückkehr erfolgt nach der sommerlichen Eisschmelze, wenn die herbstliche Meereisbildung beginnt.
Unter den Teilnehmenden ist auch ein Kamerateam der UFA Documentary GmbH, das die Expedition filmisch begleitet. Geplant ist die Ausstrahlung der in Kooperation mit dem NDR entstehenden Fernseh-Dokumentation für den Jahreswechsel in der ARD. Bereits während der Expedition können Interessierte im Hörfunkprogramm von Radio Bremen Eindrücke von Bord gewinnen und die Expedition natürlich auch in der Polarstern-App und auf den Social-Media-Kanälen des Alfred-Wegener-Instituts verfolgen. Planmäßig soll die Polarstern am 1. Oktober in ihren Heimathafen Bremerhaven zurückkehren.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Am 03. August 2023 sind die Wissenschaftler:innen mit der Polarstern aufgebrochen. In dem digitalen Logbuch zur Expedition ArcWatch 1 könnt ihr die aktuelle Route mitverfolgen und bekommt jeden Tag spannende Einblicke in die wissenschaftlichen Arbeiten an und unter Deck – sowie auf und unter dem Eis.
Über die MOSAiC Expedition 2019/2020 – die größte Arktis-Mission aller Zeiten – könnt ihr hier einen Podcast anhören. Im Interview mit DEEPWAVE spricht Antje Boetius, Direktorin des AWI, über ihre Tauchfahrt in die Tiefsee und warum der Schutz der Meere uns alle etwas angeht.
Das Heroin unter den Klima-Technologien
Disturbing content warning
Dieser Artikel ist keine leichte Kost.
Aber da darin (nicht nur) die Meere vorkommen, sollten wir uns einen Tee machen, tief Luft holen und ihn lesen. Die Autoren schreiben selber: „Bei der Recherche habe ich mir mehr als einmal gedacht: Worüber reden wir hier eigentlich? Das Ganze klingt nach einer Mischung aus absurdesten Verschwörungstheorien und Matrix Teil IV. Auf der anderen Seite: gut, dass wir drüber reden.“ Denn es geht eben nicht um Science-Fiction-Fantasien, sondern um ernst gemeinte Techniken, die im letzten IPCC Bericht viel Raum einnehmen, nur nicht in den Berichten über den IPCC Bericht, Techniken, besser: Eingriffe in unser Ökosystem Erde, die nicht nur ernst gemeint sind, sondern schon ansatzweise praktiziert werden und deren Entwicklung besser finanziert ist als jede Kampagne, die es wirklich ernst meint mit dem Schutz der Natur und der Meere, also unserem Schutz, und die schon einmal über so etwas wie Klimagerechtigkeit nicht nur nachgedacht hat, sondern auch empfindet, in was für einer Verantwortung wir stehen, für eine Zukunft auf diesem Planeten für ALLE zu sorgen. Auch wenn es schwer erträglich ist, diese Fantasien zu Ende zu denken: wir sollten wissen, was andere sich aushecken, um unsere Erde seelenruhig weiter fossil aufheizen zu können. Von diesen Techniken gehört zu haben und dazu Stellung beziehen zu können, gehört zu unserem Job, nicht erst in der Zukunft, sondern jetzt.
Den Artikel „Das Heroin unter den Klima-Technologien“ von Julien Gupta vom 17.06.2023 findet ihr beim Treibhauspost.
Alle reden von CCS – DEEPWAVE auch: im Gastbeitrag von Nico Czaja „Unter die Erde kehren“.
Arktische Eisalgen stark mit Mikroplastik belastet
Pressemitteilung, 21.04.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Melosira arctica enthält zehnmal höhere Konzentration von Kunststoffpartikeln als umgebendes Meerwasser
[21. April 2023] Die unter dem arktischen Meereis wachsende Alge Melosira arctica enthält zehnmal so viele Mikroplastikpartikel wie das umgebende Meerwasser. Diese Konzentration an der Basis des Nahrungsnetzes stellt eine Gefahr dar für Lebewesen, die sich an der Meeresoberfläche von den Algen ernähren. Klumpen abgestorbener Algen befördern das Plastik mit seinen Schadstoffen zudem besonders schnell in die Tiefsee – und können so die hohen Mikroplastikkonzentrationen im dortigen Sediment erklären. Das berichten Forschende unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts jetzt in der Fachzeitschrift Environmental Science and Technology.
Sie ist ein Futterfahrstuhl für die Bodenlebewesen in der Tiefsee: Die Alge Melosira arctica wächst in den Frühlings- und Sommermonaten mit rasantem Tempo unter dem Meereis und bildet dort meterlange Zellketten. Sterben die Zellen ab und schmilzt das Eis, an dessen Unterseite sie haften, verkleben sie zu Klumpen, die innerhalb eines einzigen Tages mehrere tausend Meter bis auf den Grund der Tiefsee sinken können. Dort bilden sie eine wichtige Nahrungsquelle für die bodenlebenden Tiere und Bakterien. Neben der Nahrung transportieren die Aggregate jedoch mittlerweile auch eine bedenkliche Fracht mit in die arktische Tiefsee: Mikroplastik. Das hat ein Forschungsteam um die Biologin Dr. Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) jetzt in der FachzeitschriftEnvironmental Science and Technology veröffentlicht.
Die detaillierte Analyse der Plastikzusammensetzung zeigte, dass eine Vielzahl verschiedener Kunststoffe in der Arktis vorkommt, darunter Polyethylen, Polyester, Polypropylen, Nylon, Akryl und viele mehr. Zuzüglich verschiedener Chemikalien und Farbstoffe entsteht so ein Stoff Mix, dessen Auswirkungen auf Umwelt und Lebewesen schwer einzuschätzen ist. „Gerade die Menschen in der Arktis sind für ihre Proteinversorgung besonders auf das marine Nahrungsnetz angewiesen, beispielsweise durch die Jagd oder Fischerei. Das heißt, dass sie auch dem darin enthaltenen Mikroplastik und Chemikalien ausgesetzt sind. Mikroplastik wurde bereits in menschlichen Darm, Blut, Venen, Lungen, Plazenta und Brustmilch nachgewiesen und kann Entzündungsreaktionen hervorrufen, doch die Folgen sind insgesamt noch kaum erforscht“, berichtet Melanie Bergmann. „Mikro- und Nanoplastik wurden im Grunde überall dort nachgewiesen, wo Forschende im menschlichen Körper und einer Vielzahl anderer Arten nachgeforscht haben. Es ist bekannt, dass sie das Verhalten, das Wachstum, die Fruchtbarkeit und die Sterblichkeitsrate von Organismen verändern, und viele enthaltene Chemikalien sind nachweislich schädlich für den Menschen“, ergänzt Steve Allen vom Ocean Frontiers Institut der Dalhousie University, ein Mitglied des Forschungsteams.
Außerdem ist das arktische Ökosystem durch die tiefgehenden Umwälzungen der Umwelt durch die Erderhitzung ohnehin schon bedroht. Sind die Organismen nun noch zusätzlich Mikroplastik und den enthaltenen Chemikalien ausgesetzt, kann es sie weiter schwächen. „Hier kommen also verschiedene planetare Krisen zusammen, gegen die wir dringend effektiv vorgehen müssen. Wissenschaftliche Berechnungen haben gezeigt, dass sich die Plastikverschmutzung am wirksamsten durch eine Minderung der Produktion von neuem Plastik verringern lässt“, sagt die AWI-Biologin und ergänzt: „Dies sollte darum auch unbedingt priorisiert werden in dem zurzeit verhandelten globalen Plastikabkommen.“ Darum begleitet Melanie Bergmann auch die nächste Verhandlungsrunde, die Ende Mai in Paris beginnt.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Die Originalpublikation „High levels of microplastics in the Arctic ice alga Melosira arctica, a vector to ice-associated and benthic food webs“ findet ihr bei Environmental Science and Technology.
Zu viele Eisalgen im Eis können das Schmelzen beschleunigen, da sie durch ihre Farbe den Albedo Effekt – das Rückstrahlungsvermögen des Schnees – verringern.
Weniger Eis, weniger rufende Robben
Pressemitteilung, 17.04.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
[17. April 2023] Mehrere Jahre lang hat ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts am Rande der Antarktis mit Unterwassermikrofonen nach Robben gelauscht. Erste, jetzt in der Fachzeitschrift Frontiers in Ecology and the Environment veröffentlichte Ergebnisse zeigen, dass der Rückgang des Meereises offenbar starke Auswirkungen auf das Verhalten der Tiere hat: Fehlt das Eis, ist es leise, wo das Meer sonst voller Rufe ist.
Wenn das Meereis verschwindet, verstummen antarktische Robben. Das ist das Ergebnis eines Fachartikels, den eine Gruppe um Dr. Ilse van Opzeeland jetzt veröffentlicht hat. Die Biologin forscht am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und am Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB). Für die Studie hat sie mit ihrem Team Tonaufnahmen aus einem Unterwassermikrofon untersucht, das automatisch die Rufe von Meeressäugern wie Robben und Walen aufzeichnet. „Das besondere an unserer Studie ist, dass wir erstmals Aufnahmen aus einem Zeitraum von acht Jahren für die vier antarktischen Robbenarten auswerten konnten“, sagt Erstautorin Dr. Irene Roca, während der Arbeiten zur Studie Biologin am HIFMB und AWI und derzeit an der Université du Québec en Outaouais (Kanada). „Dadurch wurde es möglich, das Verhalten der Robben über lange Zeit zu beobachten und für einzelne Jahre miteinander zu vergleichen.“
Aus den Daten der analysierten Jahre 2007 bis 2014 sticht der Jahreswechsel 2010/2011 hervor. Damals war das Meer in dem antarktischen Untersuchungsgebiet unweit der Neumayer-Station III des AWI fast völlig eisfrei. Weniger als zehn Prozent der üblichen Meeresfläche waren zugefroren. Wie die Aufnahmen aus den Unterwassermikrofonen zeigen, waren in diesem Zeitraum deutlich weniger Robben in den Gewässern unterwegs als in den übrigen sieben Jahren. Die antarktischen Robben benötigen Meereis, um darauf die Jungtiere zu gebären und zu säugen. Die Geburt und die Aufzucht finden im Frühling und Sommer der Südhalbkugel zwischen Oktober und Januar statt. Für gewöhnlich ist das Meer zu dieser Zeit noch zu einem großen Teil mit Eis bedeckt, sodass die Tiere ideale Bedingungen für die Geburt vorfinden. In der Saison 2010/2011 fehlte das Eis fast völlig. Da die Forschenden in dem Gebiet nur ein Unterwassermikrofon installiert hatten, lässt sich nicht genau nachvollziehen, ob oder wohin die Robben in dieser Saison abgewandert sind. „Unsere Unterwasseraufnahmen zeigen aber deutlich, dass in dem beobachteten Meeresgebiet viel weniger rufende Robben anwesend waren als üblich“, sagt Irene Roca. Das gelte für alle Robbenarten, die in der Region zu Hause sind: die Krabbenfresserrobben, die Weddellrobben, die Seeleoparden und die Rossrobben.
Das Untersuchungsgebiet der AWI-Fachleute liegt etwa 2000 Kilometer südlich von Kapstadt im sogenannten Weddellmeer. Vor allem das Küstengebiet im Osten des Weddellmeeres gilt als bedeutende Meeresregion, weil hier alle vier antarktischen Robben und auch mehrere Walarten nebeneinander vorkommen. Fachleute vermuten, dass das Gebiet so attraktiv ist, weil es viel Nahrung und für die Robben normalerweise gute Eisverhältnisse bietet. Insofern sei die Beobachtung aus der Saison 2010/2011 beunruhigend, so das AWI-Team: Sollte die Meereisbedeckung mit dem Klimawandel künftig häufiger so extrem schwanken, wäre diese Region für die Robben ein weniger zuverlässiges Fortpflanzungsgebiet. Das Meereisportal hat erst kürzlich bekanntgegeben, dass die vergangenen acht Jahre alle eine unterdurchschnittliche Meereisausdehnung in der Antarktis aufwiesen und im Februar 2023 ein Allzeit-Tief erreicht wurde.
Wie sich der Mangel an Meereis konkret auf die Robbenbestände auswirken könnte, wissen die Fachleute noch nicht, weil über die vier Robbenarten noch zu wenig bekannt ist. Besser untersucht ist die arktische Ringelrobbe. Sie benötigt für die Aufzucht ihres Nachwuchses Meereis mit einer dicken Schneeschicht, in die sie Höhlen für ihre Jungtiere gräbt. Inzwischen weiß man, dass viele Jungtiere sterben, wenn es zu wenig Meereis und Schnee gibt. „Ich vermute, dass die eisarmen Jahre auch bei den antarktischen Robben die Fortpflanzung beeinflussen – nicht nur, was das Überleben der Jungtiere angeht, sondern eventuell auch das Paarungsverhalten der Robben oder ganz andere Aspekte“, sagt Projektkoordinatorin Ilse van Opzeeland.
Die akustischen Daten aus den acht Jahren sind für sie etwas Besonderes. Robben zu erfassen, ist normalerweise extrem aufwendig. Man kann sie nur vom Schiff oder Hubschrauber aus zählen. Doch ist der Beobachtungsradius relativ gering. Zudem lassen sich mit Schiffen und Helikoptern Meeresgebiete weder flächendeckend noch durchgängig überwachen. Unterwasser-Horchanlagen hingegen können ununterbrochen größere Meeresgebiete abhören. Da Geräusche im Meer weiter wandern als in der Luft, können Meerestiere je nach Lautstärke ihrer Rufe außerdem noch aus vielen Kilometern Entfernung wahrgenommen werden. Bedauerlicherweise hat sich die sogenannte PALAOA-Horchanlage (das steht für Perennial Acoustic Observatory in the Antarctic Ocean) des AWI vor Kurzem zusammen mit einem abgebrochenen Gletscher von der Küste gelöst. An der Küste soll jetzt in der kommenden Antarktissaison ab Ende des Jahres ein neues Unterwassermikrofon installiert werden.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Die Originalpublikation „Sea ice anomalies affect the acoustic presence of Antarctic pinnipeds in their breeding areas“ findet ihr in Frontiers in Ecology and the Environment.
Auf dem Bild seht ihr eine Weddellrobbe, die mit einem Tauchrekorder ausgestattet ist, der an einen CTD-Satelliten gekoppelt ist, und den Wissenschaftler:innen des AWI wichtige Umweltdaten liefert. CTD steht für Conductivity = Leitfähigkeit, Temperature = Temperatur und Depth = Tiefe.
Die Ausweisung eines riesigen Meeresschutzgebietes im Weddellmeer ist Ende 2022 erneut am Widerstand von China und Russland gescheitert.
Neue AWI-Studie zu industriellen Altlasten im arktischen Permafrost
Pressemitteilung Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung vom 04. April 2023
Wenn die Dauerfrost-Böden auftauen, droht der Arktis eine massive Belastung mit Industrie-Altlasten und Schadstoffen
In den gefrorenen Böden der Arktis lauert eine bisher unterschätzte Gefahr. Wenn der Untergrund durch den Klimawandel auftaut und instabil wird, kann das zum Zusammenbruch von Industrie-Anlagen und damit zu einer verstärkten Freisetzung von Schadstoffen führen. Zudem können sich dann auch bestehende Kontaminationen leichter in den Ökosystemen ausbreiten. Wie groß dieses Problem werden könnte, hat ein Team um Moritz Langer und Guido Grosse vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Potsdam untersucht. Demnach gibt es in der Arktis mindestens 13.000 bis 20.000 belastete Flächen, von denen künftig ein größeres Risiko ausgehen könnte. Man brauche dringend langfristige Strategien für den Umgang mit diesem heiklen Erbe, erklären die Forschenden im Fachjournal Nature Communications.
Die Arktis stellen sich viele Menschen als weitgehend unberührte Wildnis vor. Doch dieses Bild stimmt längst nicht überall. Seit langem gibt es dort auch Ölfelder und Pipelines, Bergwerke und verschiedene andere industrielle Aktivitäten. Die dafür nötigen Anlagen stehen auf einem Fundament, das früher als äußerst stabil und zuverlässig galt: dem sogenannten Permafrost. Dieser spezielle Boden, der riesige Gebiete der Nordhalbkugel bedeckt, taut im Sommer nur an der Oberfläche auf. Der Rest bleibt bis in mehrere hundert Meter Tiefe das ganze Jahr hindurch gefroren.
Damit galt der Permafrost nicht nur als solide Plattform für Gebäude und Infrastruktur. „Traditionell hat man ihn auch für eine natürliche Barriere gehalten, die eine Ausbreitung von Schadstoffen verhindert“, erklärt Moritz Langer vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Industrieabfälle aus stillgelegten oder noch arbeitenden Anlagen hat man daher in der Regel einfach vor Ort gelassen, statt sie mit viel Aufwand und entsprechenden Kosten zu beseitigen.“ So entstanden in der Arktis infolge der industriellen Expansion während des Kalten Krieges über Jahrzehnte Kleinstdeponien voller giftiger Schlämme aus der Öl- und Gasförderung, Halden aus Bergbau-Schutt, Überreste militärischer Installationen und Seen, in denen gezielt Schadstoffe verklappt wurden. „Häufig hatte man dabei die Vorstellung, der Permafrost umschließe die giftigen Substanzen dicht und für immer, so dass keine aufwändige Entsorgung nötig sein würde“, sagt Guido Grosse, der am AWI die Sektion Permafrostforschung leitet. „Dieses industrielle Erbe liegt bis heute im Permafrost vergraben oder an dessen Oberfläche. Die Palette der Substanzen reicht dabei von giftigem Dieselkraftstoff über Schwermetalle bis hin zu radioaktiven Abfällen.“
Im Zuge des Klimawandels aber droht diese lange schlummernde Bedrohung nun akut zu werden. Denn da sich die Permafrost-Regionen zwei- bis viermal so schnell erwärmen wie der Rest der Welt, taut der gefrorene Untergrund zunehmend auf. Dadurch aber verändert sich die Hydrologie der betroffenen Gebiete und der Permafrost als Barriere wirkt nicht mehr. Die über Jahrzehnte in der Arktis angereicherten Schadstoffe können in Bewegung geraten und sich über größere Regionen verteilen.
Dazu kommt, dass der tauende Permafrost immer instabiler wird, was zu weiteren Belastungen führen kann. Denn wo der Boden wegsackt, drohen Schäden an Pipelines, Chemikalien-Lagern und Deponien. Wie groß diese Risiken heute schon sind, zeigte im Mai 2020 ein großer Unfall in der Nähe der Industrie-Stadt Norilsk im Norden Sibiriens. Aus einer destabilisierten Tankanlage liefen damals 17.000 Tonnen Diesel aus, die Flüsse, Seen und Tundra verschmutzten. „So etwas könnte künftig durchaus häufiger passieren“, befürchtet Moritz Langer.
Um solche Gefahren besser einschätzen zu können, hat er zusammen mit einem internationalen Team aus Deutschland, den Niederlanden und Norwegen die industriellen Aktivitäten im hohen Norden genauer unter die Lupe genommen. Dazu haben die Forschenden zunächst frei verfügbare Daten aus dem Portal OpenStreetMap und aus dem „Atlas of Population, Society and Economy in the Arctic“ ausgewertet. Demnach gibt es in den Permafrost-Regionen der Arktis rund 4.500 Industriestandorte, in denen potentiell gefährliche Substanzen lagern oder zum Einsatz kommen.
„Damit wussten wir allerdings noch nicht, was das genau für Anlagen sind und wie stark sie die Umwelt mit welchen Substanzen belasten können“, sagt Moritz Langer. Detailliertere Informationen dazu gibt es bisher nur für Nordamerika, wo rund 40 Prozent der weltweiten Permafrostböden liegen. Die verfügbaren Daten aus Kanada und Alaska zeigen, dass man anhand der Lage und Art von Industrieanlagen sehr gut abschätzen kann, wo mit gefährlichen Substanzen zu rechnen ist.
Für Alaska liefert das „Contaminated Sites Program“ auch Hinweise auf die Art dieser Belastungen. So geht etwa die Hälfte der dort erfassten Kontaminationen auf das Konto von Treibstoffen wie Diesel, Kerosin und Benzin. Auch Quecksilber, Blei und Arsen stehen unter den Top 20 der dokumentierten Umweltschadstoffe. Und dabei handelt es sich nicht nur um das Erbe vergangener Zeiten. Zwar ist die Zahl der neu registrierten Belastungsgebiete im nördlichsten Bundesstaat der USA von rund 90 im Jahr 1992 auf 38 im Jahr 2019 zurückgegangen. Doch die Zahl der betroffenen Flächen nimmt auch heute noch zu.
Für die großen Permafrost-Regionen Sibiriens gibt es bisher keine vergleichbaren Datenbanken. „Wir konnten dort also nur Berichte über Umweltprobleme auswerten, die zwischen 2000 und 2020 in russischen Medien oder anderen frei zugänglichen Quellen veröffentlicht wurden“, sagt Moritz Langer. „Aus diesen eher spärlichen Informationen aber kann man schließen, dass es auch in Russlands Permafrost-Regionen einen engen Zusammenhang zwischen Industrieanlagen und belasteten Flächen gibt.“
Mit Computermodellen hat das Team daher das Schadstoff-Risiko für die gesamte Arktis hochgerechnet. Insgesamt dürften die 4.500 Industrieanlagen in den Permafrost-Gebieten demnach zwischen 13.000 und 20.000 belastete Flächen hinterlassen haben. 3.500 bis 5.200 davon liegen in Regionen, in denen der Permafrost heute noch stabil ist, aber schon vor dem Ende des Jahrhunderts zu tauen beginnen wird. „Mangels Daten sind diese Ergebnisse allerdings noch mit Vorsicht zu genießen“, betont Moritz Langer. „Das tatsächliche Problem könnte sogar noch größer sein.“
Noch kritischer wird die Lage durch das wachsende Interesse an wirtschaftlichen Aktivitäten in der Arktis. Denn dadurch entstehen immer mehr Industrieanlagen, aus denen toxische Substanzen in die Ökosysteme gelangen können. Und das in Zeiten, in denen die Beseitigung solcher Umweltschäden immer schwieriger wird. Schließlich braucht man dazu oft Fahrzeuge und schweres Gerät, die auf tauendem Untergrund kaum noch einsetzbar sind
„Insgesamt haben wir es hier also mit einem ernstzunehmenden Umweltproblem zu tun, das sich weiter verschärfen wird“, resümiert Guido Grosse. Man brauche dringend mehr Daten und ein Monitoring von gefährlichen Substanzen, die mit industriellen Aktivitäten in der Arktis verbunden sind. „Denn diese Schadstoffe könnten über Flüsse und das Meer letztendlich auch wieder bei den Menschen in der Arktis und auch bei uns auf dem Tisch landen.“ Wichtig seien außerdem verstärkte Bemühungen, die Freisetzung von Schadstoffen zu verhindern und die Schäden auf schon belasteten Flächen zu beseitigen. Und schließlich halten es die Fachleute auch nicht mehr für zeitgemäß, Industrieabfälle ohne abgesicherte Deponie-Möglichkeiten in der Arktis zurückzulassen. Denn gegen die damit verbundenen Risiken ist der Permafrost kein zuverlässiger Verbündeter mehr.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Die Originalpublikation „Thawing permafrost poses environmental threat to thousands of sites with legacy industrial contamination“ findet ihr bei Nature Communications.
Permafrostböden gehören wie das Schmelzen der Eisschilde zu ökologischen Kipppunkten, doch auch sogenannte soziale Kipppunkte sind von großer Bedeutung im Kampf gegen die Klimakrise.
Klimawandel: Folgen für Koralle, Mensch & Co
Pressemitteilung, 31.03.2023, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Modellierungen zeigen Auswirkungen der zukünftigen globalen Erwärmung auf das Ökosystem Korallenriff
Ein Forschungsteam – unter ihnen Senckenberg-Wissenschaftlerinnen Prof. Dr. Angelika Brandt, Dr. Marianna Simões und Dr. Hanieh Saeedi – hat die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf das Ökosystem Korallenriff untersucht. In ihrer im Fachjournal „Progress in Oceanography“ erschienenen Studie zeigen sie unter anderem, dass 90 Prozent der untersuchten Warmwasserarten in ihren aktuellen Verbreitungsgebieten als Folge des Klimawandels nicht überlebensfähig sind. Global wird es laut den Forschenden und unter Annahme verschiedener Klimaszenarien zu einer geographischen Verlagerung zahlreicher Arten sowie zu Massenaussterbeereignissen in den Meeren kommen.
Der geschätzte Vermögenswert für Korallenriffe beläuft sich auf eine Billion US-Dollar. Die marinen Ökosysteme bieten eine direkte Lebensgrundlage für etwa 500 Millionen Menschen, allein in Asien versorgen sie eine Milliarde Menschen mit Nahrungsmitteln. Mehr als 150.000 Kilometer Küstenlinie werden von Riffen geschützt. „Angesichts der Bedeutung von Korallenriffen auch für unser eigenes Wohlergehen ist es enorm wichtig, diese Ökosysteme gesund zu erhalten“, erläutert Prof. Dr. Angelika Brandt vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Schon heute hat sich die globale Temperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit um ein Grad Celsius erhöht, sie steigt aktuell um weitere 0,2 Grad Celsius pro Jahrzehnt – mit massiven Auswirkungen auch auf das Ökosystem Korallenriff. 29 Korallenriffe mit Welterbestatus sind jetzt schon durch die Erderwärmung akut bedroht.“
Meeresforscherin Brandt, Erstautorin der Studie Dr. Chhaya Chaudhary vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und weitere Forschende von Senckenberg und der kanadischen Victoria-Universität haben in ihrer aktuellen Studie die Auswirkungen der zukünftigen globalen Erwärmung auf Korallenriffe und die darin lebenden Arten untersucht. Dabei legten sie zwei Klimaszenarien des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zu Grunde, anhand derer sie die Auswirkungen für 57 Organismengruppen aus Korallen, Mollusken, Fischen, Krebstieren und Polychaeten in warmen, kalten, flachen und tiefen Gewässern für die Gegenwart und die Jahre 2050 und 2100 modellierten.
„Laut unseren Ergebnissen werden wir im Zuge der globalen Erwärmung 90 Prozent der 30 untersuchten Warmwasserarten im Südchinesischen Meer, dem Indo-West Pazifik, dem Karibischen Meer, dem Golf von Mexiko oder vor der Nordküste Australiens, verlieren. Die Verbreitungsgebiete werden sich unter den angenommenen zukünftigen Klimabedingungen deutlich nach Süden verlagern“, erklärt Chaudhary, die während des Forschungsprojekts als Postdoktorandin bei Senckenberg beschäftigt war.
Die 27 untersuchten Kaltwasserarten reagierten unterschiedlich auf die modellierten Temperaturerhöhungen: Die meisten Arten der nördlichen gemäßigten Breiten konnten sich unter den neuen Bedingungen ausbreiten, während die arktischen Arten allesamt zurückgingen. „Unabhängig von ihrer taxonomischen Gruppe gelingt es Arten mit größeren Verbreitungsgebieten sich besser an den Klimawandel anzupassen – eine Zunahme von Generalisten und eine Abnahme von spezialisierten, endemischen Arten könnte die Folge sein“, ergänzt Dr. Hanieh Saeedi vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.
Neben der geographischen Verschiebung der Korallenriff-Verbreitungsgebiete warnen die Wissenschaftler*innen auch vor einem Artensterben in den Meeren der Tropen, Teilen der nördlichen gemäßigten Regionen und der gesamten Arktis als Folge des Klimawandels. „Vor etwa 125.000 Jahren gab es schon einmal solch ein Aussterbeevent bei tropischen Korallen, das auf veränderte Klimabedingungen zurückzuführen ist. Solche Ereignisse können unter anderem zu einer Destabilisierung der Räuber-Beute-Dynamik in den Korallenriffen und der damit verbundenen Nahrungskette führen – mit negativen Auswirkungen für den menschlichen Lebensunterhalt, die Fischerei, den Tourismus und den Küstenschutz“, so Chaudhary.
Brandt resümiert: „Unsere globalen Projektionen zeigen die Regionen, in denen es durch den Klimawandel zu einem potenziellen Verlust oder Gewinn von Arten kommen kann. Jedes Ungleichgewicht in den Populationen der Korallenriffe wirken sich auch auf die Produktivität dieser Ökosysteme aus. Entscheider*innen sollten unsere Ergebnisse nutzen, um die biologische Vielfalt zu schützen und das menschliche Wohlergehen in den betroffenen Ländern und Regionen zu erhalten!“
Diese Pressemittelung findet ihr bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.
Forscher:innen haben Genabschnitte von Korallen untersucht, die mit einer natürlichen Hitzetoleranz in Verbindung stehen könnten. Hier findet ihr weitere Infos und die dazugehörige Podcastfolge vom Deutschlandfunk.