Forschung
Was die Forschung untersucht und herausfindet, wird durch Wissenstransfer greifbar und verständlich.
Und ermöglicht so sinnvolles und effektives Handeln für die Meere .
Wie reagieren marine Nahrungsnetze auf Alkalinitätserhöhungen?
© Epipelagic / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)
Pressemitteilung, 06.12.2024, GEOMAR
Erste Studie zeigt vielversprechende Ergebnisse
Der Ozean nimmt bereits heute ein Viertel bis ein Drittel der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen auf, doch dieser Prozess führt auch zur Versauerung des Wassers. Durch den gezielten Eintrag von bestimmten Mineralien kann die Alkalinität des Meerwassers erhöht werden. Das bedeutet, dass das Wasser dann mehr CO2 chemisch binden kann, ohne weiter zu versauern. Welche Auswirkungen eine Alkalinitätserhöhung (Ocean Alkalinity Enhancement, OAE) auf die Umwelt hätte, ist noch wenig erforscht. Wissenschaftler:innen aus der Gruppe von Professor Dr. Ulf Riebesell am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel haben nun im Rahmen des europäischen Projekts OceanNETs in einem Experiment auf Gran Canaria erstmals die Reaktion von Zooplankton und mögliche Auswirkungen auf das Nahrungsnetz untersucht. Ihre Ergebnisse erscheinen heute in der Fachzeitschrift Science Advances.
Experiment im Riesen-Reagenzglas
Die Studie hat einen Ansatz gewählt, der die Meereschemie nur geringfügig stört: die CO₂-equilibrierte Alkalinitätserhöhung – eine Form von OAE, bei der der zu bindende Kohlenstoff bereits vom alkalisierten Wasser absorbiert wurde, bevor er in die Meeresumwelt freigesetzt wird. Für ihr Experiment setzten die Wissenschaftler:innen sogenannte KOSMOS-Mesokosmen ein (Kiel Off-Shore Mesocosms for Ocean Simulations) – große Behälter, die direkt ins Meerwasser gelassen werden und dort jeweils acht Kubikmeter Wassersäule isolieren. In diese wurden verschiedene Konzentrationen von Natriumkarbonat und -hydrogenkarbonat (auch als Soda, bzw. Backpulver bekannt) eingebracht – von keiner Alkalinitätssteigerung bis hin zur Verdopplung der natürlichen Alkalinität. Über einen Zeitraum von 33 Tagen wurde untersucht, wie sich die Alkalinisierung auf das Zooplankton auswirkt, das eine zentrale Rolle im marinen Nahrungsnetz spielt. Dafür analysierten die Forschenden eine Vielzahl von Parametern wie Biomasse, Produktion, Diversität und Fettsäuren des Zooplanktons.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Planktongemeinschaften stabil blieben und das Zooplankton die moderaten chemischen Veränderungen durch die CO2-equilibrierte OAE weitgehend tolerierte. Zwar verschlechterte sich während des Experiments die Nahrungsqualität der Schwebstoffe, von denen sich das Zooplankton ernährt, doch dies schien die Konsumenten nicht zu beeinträchtigen. Die Forschenden vermuten, dass die nährstoffarmen Bedingungen im Untersuchungsgebiet – ein charakteristisches Merkmal subtropischer Gewässer – mögliche indirekte Auswirkungen der OAE auf das Zooplankton abgemildert haben könnten.
Potenzial im Klimaschutz und weiterer Forschungsbedarf
Die Alkalinitätserhöhung könnte eine bedeutende Rolle bei der Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre im Kampf gegen den Klimawandel spielen. Wenn der Ozean mehr CO2 aufnehmen kann, ohne saurer zu werden, könnte er ein noch stärkerer Puffer gegen die globale Erwärmung werden und den Weg in eine Zukunft ebnen, in der kohlenstoffintensive Industrien durch erneuerbare Energien ersetzt, die Emissionen von Industrien, die nicht dekarbonisiert werden können, neutralisiert und historische Kohlenstoffemissionen sicher entfernt und gelagert werden. Es besteht jedoch noch dringender Forschungsbedarf, um die Auswirkungen auf das gesamte marine Ökosystem zu klären.
„Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die CO2-equilibrierte Alkalinitätserhöhung das Zooplankton in dem untersuchten nährstoffarmen subtropischen Gebiet nur geringfügig beeinflusst und das Nahrungsnetz insgesamt stabil bleibt“, erklärt Erstautor Nicolás Sánchez, Doktorand am GEOMAR, „das sagt allerdings noch nichts darüber aus, wie andere marine Umgebungen darauf reagieren oder wie sicher andere, technisch besser umsetzbare OAE-Ansätze sind, die größere chemische Veränderungen im Meerwasser verursachen.“
Die Wissenschaftler:innen empfehlen daher, die Methode in verschiedenen Ökosystemen weiter zu erforschen, da es keinen universellen OAE-Ansatz geben wird, der überall anwendbar ist. Die Methode müsse an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden. Sánchez: „Unsere Studie ist ein vielversprechender erster Schritt zur Definition eines verantwortungsvollen Rahmens für die Anwendung der Alkalinitätserhöhung.“
Originalpublikaton:
Sánchez, N., Goldenberg, S., Brüggemann, D., Taucher, J., & Riebesell, U. (2024). Plankton food web structure and productivity under Ocean Alkalinity Enhancement. Science Advances.
https://doi.org/10.1126/sciadv.ado0264
Förderung:
Das Projekt OceanNETs (Ocean-based Negative Emission Technologies; Ozeanbasierte Technologien zur Entfernung von Kohlendioxid) läuft von 2020 bis 2025 und wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union gefördert. Die Studie wurde co-finanziert von dem Helmholtz European Partnering Projekt Ocean-CDR.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim GEOMAR.
Die Alkalinitätserhöhung des Ozeans zeigt Potenzial, CO2 zu binden und die Versauerung zu verringern, birgt jedoch Risiken, die weiter erforscht werden müssen. Trotz dieser vielversprechenden Ansätze bleibt der Kohleausstieg und die umfassende Reduktion von CO2 die wichtigste Maßnahme im Kampf gegen den Klimawandel.
Neues Fischereiforschungsschiff des Bundes in Litauen auf Kiel gelegt
Pressemitteilung, 06.12.2024, Thünen Institut
Es geht los: Der Bau des neuen Forschungsschiffs WALTHER HERWIG wurde am litauischen Werftstandort Klaipeda gestartet. Mit der Kiellegung beginnt im Ersatzbauprojekt eines der weltweit modernsten und leistungsfähigsten Schiffe für die deutsche Fischerei- und Meeresforschung die praktische Bauphase.
2027 soll die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) das Schiff als Reederin in Betrieb nehmen. Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Thünen-Instituts wird mit diesem Schiff interdisziplinäre Fischereiforschung auf höchstem Niveau ermöglicht.
Vorgesehen ist, dass der Schiffskörper zunächst in Litauen mit den technischen Großkomponenten, wie beispielsweise der Motorenanlage, vorgefertigt wird. Ende kommenden Jahres soll der Rumpf nach Deutschland zur Auftraggeberwerft, der Fr. Fassmer GmbH & Co. KG, zur Endmontage verbracht werden. Die Indienststellung des Schiffes ist für Sommer 2027 geplant.
„Der Klimawandel verändert die Ökosysteme in den Meeren mit dramatischer Geschwindigkeit. Um die Auswirkungen auf die Fischbestände zu verstehen und der Politik Empfehlungen für deren nachhaltige Bewirtschaftung geben zu können, brauchen wir eine Plattform mit modernster Technik, von der aus wir die Veränderungen physikalischer Parameter ebenso beobachten und messen können wie Großwale.“ Mit diesen Worten verdeutlicht Dr. Gerd Kraus, Leiter des Thünen-Instituts für Seefischerei, den Nutzen des neuen Fischereiforschungsschiffs (FFS) des Bundes. Dieses hat Einiges zu bieten: Mit rund 85 Metern Länge und etwa 18 Metern Breite entsteht das größte Schiff in der Flotte der deutschen FFS. Es bietet Platz für ungefähr 46 Personen.
Kapitän: Neue Chancen für die Zusammenarbeit aller Beteiligten
BLE-Forschungsschiffkapitän Stefan Meier weist auf die besondere Aufgabe hin, das neue Fischereiforschungsschiff als zukünftiger Kapitän mit zu entwickeln und zu sehen, wie aus den Planungsunterlagen ein realer Schiffskörper heranwächst. „Ich bin gespannt auf die Herausforderungen, die das neue Schiff bringen wird. Es bietet in vielerlei Hinsicht neue Chancen für die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Crew und Reederei. Ich freue mich sehr darauf, mit dem Schiff in See zu stechen und zu beobachten, wie es sich vor allem in der rauen See des Nordatlantiks verhält. Hochinteressant ist es auch, mit der neuesten Technik an Bord zu arbeiten und diese verbesserten Möglichkeiten auszuprobieren und einzusetzen“, so Meier.
Modernste Ausrüstung für genaue Messmethoden
Zur Ausrüstung gehören unter anderem zehn Labore, Arbeitskräne, eine Vorrichtung für pelagische und demersale Fischerei sowie Twin-Trawling, ein Heckkran und ein Aussetzsystem für Forschungsarbeiten in der Tiefe. Ein großes freies Arbeitsdeck und diverse Container-Stellplätze dienen als multifunktionale Auslegung mit Zukunftsreserven. So ermöglicht es dem Thünen-Institut als Nutzer des Schiffes das Monitoring wichtiger Fischbestände, meeresökologische Untersuchungen mit modernsten Methoden, aber auch mee-reschemische und physikalische Messungen sowie die Erforschung von Auswirkungen der Fischerei auf die Meeresumwelt. Damit schafft die Bundesre-gierung eine Grundlage dafür, die nachhaltige Nutzung der lebenden Meeres-ressourcen und den Schutz der marinen Ökosysteme in Einklang zu bringen.
Klimaneutralität dank Methanol möglich FFS WALTHER HERWIG bekommt einen dieselelektrischen Antrieb.
Dank der Abgasnachbehandlung durch SCR-Katalysatoren und Rußpartikelfilter werden anspruchsvolle Abgasvorschriften erfüllt und damit der gesetzliche Standard übertroffen. Die Grenzwerte des „Blauen Engels“ für umweltfreundliches Schiffsdesign (RAL-UZ 141) und US EPA TIER IV werden ebenfalls unterschritten. Der Antrieb kann auf die Nutzung von Methanol als Kraftstoff umgerüstet werden (FuelReady).
Die Projektbeteiligten
Die Konzeption und Planung, das europaweite Vergabeverfahren sowie die technische Begleitung des Großprojektes übernahm federführend das Referat Schiffstechnik der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), unterstützt von einem Projektteam, dem die BLE als Auftraggeber und Reederin sowie das Thünen-Institut als künftiger Nutzer angehören.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Thünen Institut.
Die moderne Fischereiforschung ist unverzichtbar, um den Zustand der Fischpopulationen und die Auswirkungen menschlicher Eingriffe sowie des Klimawandels auf marine Ökosysteme zu verstehen. Es ist zwar noch ein langer weg, aber das Forschungsschiff WALTHER HERWIG wird einen zentralen Beitrag dazu leisten, wissenschaftliche Erkenntnisse für eine „nachhaltige Bewirtschaftung“ und den Schutz der Meere zu gewinnen.
Vorkommen von Blau- und Finnwalen in der Arktis
Pressemitteilung, 27.11.2024, AWI
Forschungsteam unter AWI-Leitung stellt erste akustische Langzeituntersuchung von Bartenwalen in der östlichen Framstraße vor
Die Langzeitanalyse der Unterwasserrufe von Blau- und Finnwalen in der östlichen Framstraße liefert wichtige Erkenntnisse zu saisonalen und jährlichen Mustern im Vorkommen von Blau- und Finnwalen in diesem Gebiet. So waren Blauwale vor allem im Sommer und Herbst zu hören, während die akustische Präsenz von Finnwalen auf ein deutlich längeres und variableres Vorkommen hinweist. Der einmalige Langzeitdatensatz belegt zudem in den Wintermonaten das vereinzelte Auftreten von Blauwalen – den größten Tieren der Erde. Diese Erkenntnisse stellt ein Forschungsteam unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts jetzt in der Fachzeitschrift PLOS ONE vor.
Die östliche Framstraße ist stark von den Folgen des Klimawandels betroffen, was sich auch auf die dort lebenden Arten auswirkt. So führen steigende Meerestemperaturen unter anderem zu einem deutlichen Rückgang des Meereises und zu Verschiebungen im Nahrungsnetz. Für Bartenwalarten, die saisonale Wanderungen unternehmen, ist der östliche Teil der Framstraße zwischen Svalbard und Grönland eine wichtige Region, denn dort transportiert eine Meeresströmung relativ warmes Wasser in die Arktis, was wiederum eine hohe biologische Produktivität bedingt. Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) betreibt in diesem Gebiet seit 2014 das Ozean-Beobachtungssystem FRAM (Frontiers in Arctic Marine Monitoring), um langfristige Veränderungen zu untersuchen. Teil des Observatoriums sind akustische Langzeitbeobachtungen bei denen im Ozean verankerte Rekorder mit Hilfe von Hydrophonen (Unterwasser-Mikrofonen) Geräusche aufzeichnen, beispielsweise die Rufe von Walen. Diese schaffen eine Grundlage für die Untersuchung von Artenvorkommen, insbesondere im Hinblick auf mögliche klimawandelbedingte Veränderungen, einzelne Geräte waren bereits vor der Einrichtung des FRAM-Observatoriums ausgebracht worden, außerdem steuerte das Pacific Marine Environmental Laboratory der NOAA zwei Datensätze bei.
„Fortschreitende Veränderungen des Lebensraums, wie der Rückgang des Meereises, werden voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf das Vorkommen mariner Säugetiere haben“, berichtet Marlene Meister, Doktorandin am Alfred-Wegener-Institut und Erstautorin der aktuellen Studie. Daher erwarten die Forschenden unter anderem, dass Blau- und Finnwale, die vorwiegend im Sommer und Herbst aus dem Nordatlantik in die Framstraße zum Fressen migrieren, ihren Aufenthalt dort räumlich und zeitlich ausdehnen oder möglicherweise das ganze Jahr über dort verweilen. In der aktuellen Publikation untersuchten sie deshalb saisonale Muster im akustischen Vorkommen von Blau- und Finnwalen im Zeitraum von 2012 bis 2021.
„Das Migrationsverhalten von Finnwalen ist als relativ flexibel bekannt und die Tiere waren auch das ganze Jahr über zu hören. Überrascht waren wir jedoch, dass wir in drei der zehn Beobachtungsjahre vereinzelte Tage mit Blauwalruf-Detektionen im Januar oder Februar gefunden haben“, sagt Marlene Meister. Dies sei ungewöhnlich, da angenommen wird, dass die Tiere sich zu diesem Zeitpunkt in südlicheren Gebieten aufhalten. „Die sporadische akustische Präsenz im Winter deutet darauf hin, dass einzelne Tiere ihren saisonalen Aufenthalt in der Framstraße verlängern oder zu dieser Jahreszeit aus südlicheren Aufenthaltsorten in das Gebiet zurückkehren. Das Migrationsverhalten von Blauwalen im Nordatlantik gilt eigentlich als recht verlässlich, weshalb ich einen auf Sommer und Herbst begrenzten Aufenthalt der Tiere erwartet hätte“, berichtet die AWI-Biologin weiter. Weil es vor 2012 keine akustischen Langzeitaufnahmen aus der östlichen Framstraße gab, ließe sich allerdings nicht mit Sicherheit sagen, dass das (akustische) Vorkommen von Blauwalen im Winter in der Framstraße ein neues, klimawandelbedingtes Phänomen ist. Insgesamt konnte das Forschungsteam einen deutlichen Einfluss von Meerestemperatur und Zooplanktonvorkommen auf die akustische Präsenz von Blauwalen feststellen.
Das Forschungsteam leistet einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung des Artenvorkommens und damit zur Dokumentation potenzieller klimawandelbedingter Veränderungen. Zudem unterstreicht die Veröffentlichung die Bedeutung der Framstraße als einen wertvollen Lebensraum für Bartenwale (vermutlich als Fresshabitat) und trägt zu einem besseren Verständnis des Wanderungsverhaltens verschiedener Arten bei. Die angewandte Methode, das Passive Akustische Monitoring (PAM), ist besonders wichtig, um das (akustische) Artenvorkommen ganzjährig und auch unter widrigen Bedingungen zu untersuchen, und wird daher vom AWI im FRAM-Observatorium als Teil der Langzeitforschung fortgesetzt. Schließlich sind vor allem im Winter visuelle Beobachtungen aufgrund von Eisbedeckung und Dunkelheit nahezu unmöglich.
Ein verbessertes Verständnis von Artenvorkommen, Habitatnutzung und Migrationsverhalten ermöglicht es, Schutzmaßnahmen gezielter einzusetzen. Diese sind momentan von besonderer Bedeutung: Der Rückgang des Meereises macht den Arktischen Ozean für menschliche Aktivitäten immer zugänglicher. Der steigende Schiffsverkehr in der Arktis, etwa entlang der Nordwest- oder Nordostpassage, führt zu erhöhtem anthropogenem Stress für marine Säugetiere. Unterwasserlärm, vor allem durch Schiffsmotoren und seismische Untersuchungen, beeinträchtigt bereits heute die Kommunikation von Bartenwalen. Zudem drohen zusätzliche Gefahren durch vermehrte Schiffskollisionen, Lebensraumzerstörungen und Ölverschmutzungen. Effektive Maßnahmen zur Reduzierung von anthropogenem Stress sind daher in Zeiten des Klimawandels umso wichtiger.
Diese Pressemitteilung und die dazugehörige Originalpublikation findet ihr beim AWI.
Der Arktische Ozean befindet sich in einem rasanten Wandel, der marine Ökosysteme tiefgreifend verändert. Mit der fortschreitenden Klimakrise werden immer mehr Arten – nicht nur Wale – gezwungen sein, ihre Lebensräume und Verbreitungsmuster anzupassen.
Weder öde noch leer: Tiefseeboden wimmelt von Leben
Pressemitteilung, 20.11.2024, Senckenberg
Neue Übersichtsstudie zeigt Vielfalt von Lebensräumen und Organismen in der arktischen Tiefsee
Die Tiefsee der Arktis birgt bedeutende Öl- und Erdgasreserven sowie wertvolle Ressourcen wie seltene Erden und Metalle. Der Klimawandel und das schmelzende Eis erleichtern den Zugang, was wirtschaftliche Chancen, aber auch große ökologische Gefahren mit sich bringt. Ein Forschungsteam zeigt in einer im Fachjournal „Elementa“ erschienenen Übersichtsstudie, dass der Arktische Ozean eine große Vielfalt an Lebensräumen und Organismen aufweist, die teilweise wenig erforscht sind. Hierfür wertete das Team 75.000 Datensätze zu 2.637 Tiefseearten aus. Die Forschenden betonen die Notwendigkeit intensiverer Forschung und internationaler Zusammenarbeit, um angesichts wachsender wirtschaftlicher Interessen den Schutz des empfindlichen Ökosystems sicherzustellen.
Schätzungen zufolge könnten in der Tiefsee bis zu 13 Prozent der noch unentdeckten globalen Öl- und 30 Prozent der Erdgasreserven liegen. Auch deswegen steht der Arktische Ozean zunehmend im Fokus von Politik und Wirtschaft. Neben den Vorkommen von fossilen Brennstoffen bietet die Tiefsee rund um den Nordpol eine Vielzahl wertvoller Ressourcen wie seltene Erden und Metalle. Auch eine Beschleunigung des globalen Handels durch den Transport entlang neuer Nordost- und Nordwestpassagen, sowie ein steigendes Interesse am Arktis-Tourismus sind von wirtschaftlichem Interesse. „Der Klimawandel und das Abschmelzen des Eises ermöglichen zunehmend die Erschließung des Arktischen Ozeans, was jedoch hohe ökologische Risiken birgt“, erklärt Prof. Dr. Angelika Brandt vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und weiter: „Obwohl wir mit Hilfe neuartiger Technologien und Infrastrukturen beachtliche Fortschritte gemacht haben, das arktische Ökosystem sehr viel besser zu verstehen, gibt es immer noch große Wissenslücken zu den am Meeresboden lebenden Tiefseegemeinschaften – das zeigt unsere neue Studie deutlich.“
Unter der Federführung von Dr. Eva Ramirez-Llodra und Heidi K. Meyer vom Institute of Marine Research im norwegischen Bergen haben die Senckenbergerinnen Dr. Hanieh Saeedi, Prof. Dr. Angelika Brandt, Prof. Dr. Saskia Brix und sieben weitere Forscher*innen, namentlich Dr. Stefanie Kaiser, Severin A. Korfhage, Karlotta Kürzel, Dr. Anne Helene S. Tandberg, Dr. James Taylor, Franziska I. Theising und Carolin Uhlir, mit Forschenden des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) und einem internationalen Team eine Übersicht zu den benthisch lebenden Organismen im Arktischen Ozean erstellt. Hierfür werteten die Wissenschaftler*innen 75.404 Datensätze zu 2.637 verschiedenen Tiefsee-Arten von frei zugänglichen Datenbanken, Informationseinrichtungen sowie nicht digitalisierter wissenschaftlicher Literatur aus. „Wir haben uns dabei auf das Gebiet nördlich des 66. Breitengrades Nord und unterhalb von 500 Metern Tiefe beschränkt“, erläutert Brix. „Die häufigsten Einzelnachweise stellte mit 21.405 Treffern der Stamm der Gliederfüßer, zu denen beispielsweise Asseln oder Ruderfußkrebse gehören, dahinter folgen die Ringelwürmer und Schwämme. Letztere werden beim Artenreichtum von den Mollusken übertroffen“, fährt Saeedi fort.
Eine Zusammenstellung von Lebensraumkarten zeigt zudem, dass die Arktis eine große Vielfalt an geomorphologischen Strukturen aufweist – von unterseeischen Canyons und Kontinentalhängen bis hin zu Seebergen und biologisch erzeugten Erhebungen wie ausgedehnten Kaltwasserkorallenriffen. „Wir haben nicht nur wichtige Tiefseedaten umfassend digitalisiert und in frei zugänglichen Datenbanken veröffentlicht, sondern auch neue Tiefseedaten erhoben, kontrolliert und umfassend analysiert. So konnten wir zeigen, dass der Arktische Ozean entgegen der landläufigen Meinung tatsächlich eine sehr reiche Organismen-Vielfalt aufweist“, so Saeedi. Durch die Verknüpfung von Faunengruppen mit Gebieten unterschiedlicher Geomorphologie konnte das Forschungsteam Regionen identifizieren, für die es besonders wenig Daten – regelrechte Datenlücken – gibt. Brix fügt hinzu: „Die generationenübergreifende Zusammenarbeit im Rahmen der UN-Ozeandekade und die internationale Kooperation mit Tiefseeexpert*innen sowie dem AWI waren entscheidend für diese Studie.“
„Es ist unbestritten, dass die Tiefsee im Arktischen Ozean weit davon entfernt ist, der leblose, eintönige Lebensraum zu sein, als welcher sie von ihren frühen Entdeckern beschrieben wurde. Wir benötigen aber eine intensivierte, internationale Netzwerk- und Zusammenarbeit sowie ein aktives Monitoring der Umweltparameter und der faunistischen Zusammensetzung. Nur so können wir die Struktur und Funktion des Arktischen Ökosystems besser verstehen und Maßnahmen zur Erhaltung dieses einzigartigen und für die Nordhemisphäre so wichtigen Ökosystems sicherstellen. Gerade im Hinblick auf die steigenden wirtschaftlichen und politischen Interessen, stellt der Mangel an Daten zur benthischen Biodiversität – insbesondere in den tiefen Becken des zentralen Arktischen Ozeans – ein erhebliches Problem für belastbare Management- und Schutzmaßnahmen dar“, warnt Saeedi.
Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr bei Senckenberg.
Die Tiefsee der Arktis ist ein beeindruckender Lebensraum voller unentdeckter Wunder der Natur. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch den Tiefseebergbau wird es entscheidend sein, dieses einzigartige Ökosystem durch internationale Zusammenarbeit und strenge Schutzmaßnahmen zu bewahren. Nur so kann die faszinierende Vielfalt in der Tiefsee der Arktis für zukünftige Generationen erhalten bleiben.
Lücken in der Ozeanbeobachtung schließen
Pressemitteilung, 11.11.2024, GEOMAR
Empfehlungen der europäischen Meeresforschungsgemeinschaft
Lücken in der Ozeanbeobachtung: Technologische und finanzielle Defizite
Die Mitglieder des EU-Projekts EuroSea haben die Ozeanbeobachtung in Europa unter die Lupe genommen. In ihren beiden kürzlich erschienenen Berichten „Urgent gaps and recommendations to implement during the UN Ocean Decade“ und „Towards a sustained and fit-for-purpose European ocean observing and forecasting system“ werden die gravierendsten Lücken in der Überwachung von mariner Biodiversität, invasiven Arten und Ozeanphänomenen wie der Erwärmung und dem Anstieg des Meeresspiegels identifiziert. Viele dieser Lücken entstehen demnach durch technologische Defizite oder durch unzureichende Finanzierung.
„Wir brauchen dringend eine nachhaltigere und effektivere Ozeanbeobachtung, um Veränderungen im Zustand der Ozeane zu verfolgen und die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern“, sagt Dr. Toste Tanhua, Chemischer Ozeanograph am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Leiter des nun abgeschlossenen Projekts EuroSea, aus dem die beiden Berichte hervorgegangen sind. Er nimmt selbst an der heute beginnenden UN-Weltklimakonferenz COP29 in Baku teil und wird dort dem Thema Ozeanbeobachtung auf internationaler Ebene seine Stimme leihen. Im Ocean Pavilion, an dem sich das GEOMAR in diesem Jahr als Partner beteiligt, diskutiert er auf einem Panel über die Beteiligung von nicht-wissenschaftlichen Akteur:innen, wie etwa Segler:innen, an der Ozeanbeobachtung.
In ihren Positionspapieren unterstreichen die Wissenschaftler:innen die Notwendigkeit, die Datensammlung zu verbessern, innovative Technologien wie Umwelt-DNA und mehr autonome Geräte einzusetzen sowie die internationale Zusammenarbeit zu stärken. Besonders hervorgehoben wird die Förderung der langfristigen Finanzierung und die Schaffung zentraler Koordinationsstellen, um die Effektivität der Meeresbeobachtung langfristig zu sichern.
„Die Empfehlungen, die wir gemeinsam erarbeitet haben, richten sich sowohl an die wissenschaftliche Gemeinschaft als auch an politische Entscheidungsträger und die Industrie“, sagt Dr. Tanhua. „Die Herausforderungen sind groß, aber die Lösungen, die wir vorschlagen, bieten klare Handlungsansätze. Wir müssen möglichst umfassende Informationen generieren, um marine Ökosysteme besser zu verstehen und besser schützen zu können. Das ist ein ganz wichtiger Baustein in den Bemühungen, die Klimakrise abzumildern. Zwar reduziert die Beobachtung allein nicht die Auswirkungen des Klimawandels, doch sie ermöglicht uns, zu verstehen und geeignete Maßnahmen vorzuschlagen. Denn: Man kann nur managen, was man auch messen kann.“
Empfohlene Maßnahmen zur Verbesserung der Ozeanbeobachtung
Beispielswiese wird empfohlen, umfassende Programme zur Überwachung der marinen Biodiversität zu entwickeln. Insbesondere der Einsatz innovativer Technologien wie Umwelt-DNA (eDNA) könnte dazu beitragen, invasive Arten frühzeitig zu identifizieren und die Datensammlung zu verbessern.
Der Einsatz autonomer Geräte (z.B. Argo-Floats und Sensoren) sollte erhöht werden, um die Daten von Satelliten zu validieren und die Beobachtung des tiefen Ozeans zu verbessern. Dies ist besonders wichtig für schwer zugängliche extrem kalte Regionen.
Weiterhin sollten einheitliche Verfahren zur Überwachung von Eutrophierungsindikatoren wie Nährstoffkonzentrationen und Sauerstoffgehalt entwickelt werden, um die negativen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Meeresumwelt besser zu überwachen und zu reduzieren.
Gerade in Gebieten mit hohem Nährstoffeintrag sollte der Einsatz von autonomen Sensoren gefördert werden. Diese Systeme ermöglichen eine kontinuierliche Überwachung von Algenblüten und der Versauerung der Ozeane.
Empfehlungen für die Koordination und das Management der Ozeanbeobachtung
Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Ländern und Akteuren wird empfohlen, um die Überwachungsstrategien zu harmonisieren und den Austausch von Daten zu erleichtern. Für die Koordination braucht es eine verantwortliche Stelle, die für das Management und die strategische Planung der Ozeanbeobachtungsaktivitäten verantwortlich ist. Diese Struktur würde die Effizienz fördern und länder- und disziplinenübergreifende Kooperationen erleichtern.
Um sicherzustellen, dass die Ozeanbeobachtungssysteme nachhaltig arbeiten und kontinuierlich aktualisiert werden können, sollte vor allem eine Finanzierungsstrategie für langfristige Beobachtungsprogramme entwickelt werden. „Unsere Forschungsförderungsstrukturen unterstützen – völlig zu Recht – die Generierung von Wissen, nicht aber das Monitoring“, erklärt Dr. Abed El Rahman Hassoun, Erstautor des ersten Positionspapiers. „Um diese Lücke zu schließen, bräuchte es eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit und Kofinanzierung zwischen verschiedenen Ministerien. Dies ist ein Problem, das wir nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern der EU sehen.“
Hintergrund: EuroSea-Projekt
Das EU-Projekt EuroSea brachte von 2019 bis 2023 unter der Leitung von Dr. Toste Tanhua vom GEOMAR mehr als 150 Expert:innen von 53 Partnerinstitutionen aus 16 Ländern zusammen, um die bestehenden Systeme der Ozeanbeobachtung besser zu integrieren und die Bereitstellung von Ozeaninformationen zu verbessern. Der Fokus lag auf der gesamten Wertschöpfungskette der Ozeanbeobachtung, von den Messungen bis zu den Nutzern der Daten. Die Europäische Union förderte das Projekt mit 12,6 Millionen Euro.
Diese Pressemitteilung und die dazugehörigen Berichte findet ihr beim GEOMAR.
Die Botschaft der Meeresforscher:innen ist klar: Eine verbesserte und nachhaltige Ozeanbeobachtung ist von zentraler Bedeutung, um den Herausforderungen des Klimawandels effektiv begegnen zu können. Vor allem in der Tiefsee gibt es noch unzählbare Wissenslücken, die noch geschlossen werden müssen.
Update vom 26.11.2024:
Die COP29 ist beendet und enttäuscht auf ganzer Linie: Konkrete Zusagen zur langfristigen Finanzierung der Ozeanüberwachung blieben hinter den Erwartungen zurück. Nur wer misst, kann managen – und nur wer handelt, kann den Ozean retten!
Schleppnetzfischerei reduziert Kohlenstoffspeicherung
Pressemitteilung, 28.10.2024, Hereon
Durch intensive Fischerei am Meeresgrund wird vermehrt Kohlenstoff freigesetzt
Plattfische und Garnelen werden in der Nordsee mit Schleppnetzen gefischt, die über den Meeresboden gezogen werden. Dadurch wird Kohlenstoff ins Wasser und schließlich Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre freigesetzt, wie die jüngsten Forschungsarbeiten des Helmholtz-Zentrums Hereon zeigen. Die Studie ist Teil des Verbundprojekts APOC. Partner sind das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Bemühungen der Forschenden um eine Verringerung der Unsicherheit bei der quantitativen Bewertung der Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei auf die Kohlenstoffspeicherung in der Nordsee und den globalen Schelfmeeren wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.
Normalerweise ist der Meeresboden eine Kohlenstoffsenke. Das heißt, er speichert mehr Kohlenstoff, als er abgibt. Forschende vom Hereon-Institut für Küstensysteme – Analyse und Modellierung haben zusammen mit den APOC-Partnern herausgefunden, dass diese Funktion durch den Einsatz von Grundschleppnetzen beeinträchtigt wird. Dazu haben sie über 2.300 Sedimentproben aus der Nordsee analysiert.
Der Geophysiker und Erstautor Dr. Wenyan Zhang fasst die Ergebnisse so zusammen: „Wir haben herausgefunden, dass Sedimentproben in Gebieten mit intensiver Schleppnetzfischerei geringere Mengen an organischem Kohlenstoff enthielten als Proben, die in schwach befischten Gebieten genommen wurden. Diesen Effekt konnten wir mit hoher statistischer Sicherheit auf die Grundschleppnetzaktivität zurückführen. Darüber hinaus verringern unsere Methoden die Unsicherheit bei quantitativen Bewertungen der Auswirkungen auf regionaler bis globaler Ebene im Vergleich zu früheren Schätzungen erheblich.“ Computersimulationen hätten zudem gezeigt, dass der Kohlenstoffgehalt im Meeresboden durch intensive Schleppnetzfischerei über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich sinkt. Besonders anfällig seien weiche, schlammige Böden.
Millionen Tonnen CO2 freigesetzt
Die Sedimente am Meeresgrund binden Kohlenstoff. Tiere, die am Meeresboden leben, verzehren diesen Kohlenstoff nicht nur, sondern verlagern ihn auch durch Wühlen und Graben in tiefere Bodenschichten, wo er über tausende Jahre gespeichert werden kann. Die Schleppnetze der Fischereien bewirken das Gegenteil: Sie wirbeln die Sedimente auf. Außerdem beschädigen sie Lebensräume, wodurch Pflanzen und Tiere absterben. Dadurch gelangt der Kohlenstoff aus dem sauerstoffarmen Sediment ins Wasser, wo mehr Sauerstoff vorhanden ist. Dort wird er durch Mikroorganismen wie Bakterien zu CO2 umgewandelt. Ein Teil des CO2 gelangt in die Atmosphäre, wo es als Treibhausgas den Klimawandel verstärkt.
Den Berechnungen der Autorinnen und Autoren zufolge werden durch die Schleppnetzfischerei in der Nordsee jährlich rund eine Million Tonnen CO2 aus Sedimenten freigesetzt. Weltweit wird der Effekt auf etwa 30 Millionen Tonnen geschätzt. Diese Schätzung liegt zehn Prozent unter früheren globalen Schätzungen, bei denen die kritischen Rückkopplungsschleifen zwischen Schleppnetzfischerei, Partikeldynamik und benthischer Fauna nicht berücksichtigt wurden. Diese dynamischen Rückkopplungsschleifen werden nun in dem bei Hereon entwickelten numerischen Modell berücksichtigt.
Schlammige Böden besser schützen
„Unsere Ergebnisse weisen auf die Notwendigkeit hin, schlammige Lebensräume in Küstenmeeren wie der Nordsee besonders zu schützen“, sagt Zhang. Bislang würden Meeresschutzmaßnahmen vor allem in Gebieten mit harten, sandigen Böden und Riffen vorgenommen. Diese Gebiete seien zwar ökologisch vielfältig, speicherten aber weniger Kohlenstoff. „Unsere Methoden und Ergebnisse können bei der Optimierung der marinen Raumordnungspolitik eingesetzt werden, um den potenziellen Nutzen einer Begrenzung oder Beendigung der Grundschleppnetzfischerei in Schutzgebieten zu ermitteln“, sagt Zhang.
Das APOC-Projekt wurde koordiniert vom AWI in Zusammenarbeit mit Hereon und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Projekts MARE:N Ozeane unter Stress. APOC steht im Deutschen für Anthropogene Einflüsse auf den Kreislauf partikulären organischen Kohlenstoffs in der Nordsee. Die Forschenden untersuchten die Bedeutung feinkörniger Sedimente in der Nordsee als Kohlenstoffspeicher und wie diese Ökosystemleistung durch den globalen Klimawandel und anthropogenen Nutzungsdruck beeinträchtigt wird.
Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr beim Hereon.
Die schädlichen Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei auf den Meeresboden und auf seine Funktion als Kohlenstoffsenke sind seit Jahren bekannt. Dennoch zeigen die aktuellen Forschungsergebnisse, wie dringend gehandelt werden muss, um diese Eingriffe zu stoppen. Statt auf riskante Technologien wie CCS zu setzen, sollte der Fokus auf der Prävention durch einen effektiven Schutz der Meeresböden und der natürlichen Kohlenstoffsenke liegen. Nachhaltige Maßnahmen sind der Schlüssel, um den Kohlenstoffspeicher im Meer langfristig zu bewahren.
Tief durchatmen: Der geheime Stoffwechsel ethanfressender Archaeen
Pressemitteilung, 23.10.2024, MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften
Quellen am Meeresboden setzen von Natur aus Alkane frei – Schadstoffe, die potenziell gefährlich für Lebewesen sind und zur globalen Erwärmung beitragen. Zum Glück leben in den Sedimenten rund um die Quellen Mikroben, die als biologische Filter fungieren: Sie verbrauchen den Großteil der Alkane, bevor sie in die Ozeane und unsere Atmosphäre gelangen. Diese so genannte anaerobe Oxidation von Alkanen ist ein wichtiger Prozess, den wir bisher aber kaum verstehen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie und des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen veröffentlichen nun eine Studie über den Abbau von Ethan, dem zweithäufigsten Alkan in Meeresquellen. Sie beschreiben die Enzyme, die an dem Prozess beteiligt sind und zeigen, dass deren Reaktion mit einem gängigen Dogma auf dem Gebiet der anaeroben Biochemie bricht. Ihre Ergebnisse sind in Nature Communications erschienen.
Die anaerobe Oxidation von Ethan wurde vor einigen Jahren beschrieben, doch viele ihrer Geheimnisse müssen noch enträtselt werden. „Wir zeichneten die chemischen Reaktionen des Prozesses auf ein Blatt Papier und entdeckten große Lücken in der Biochemie, die noch nicht erforscht waren. Alles deutete darauf hin, dass die beteiligten Organismen ihre Zellenergie auf einem bislang unbekannten Weg gewinnen“, erklärt Erstautor Olivier Lemaire. Die beiden letzten Enzyme des Prozesses erzeugen Kohlendioxid (CO2) aus dem Ethan. Andere Mikroben verwenden ein Protein namens Ferredoxin, um die auf diesem Weg entstehenden Elektronen aufzunehmen. „Das hatte man auch bei Ethanoxidierern vermutet. Als wir uns jedoch das Genom der Mikroben ansahen, stellten wir fest, dass sie nicht über die nötigen enzymatischen Werkzeuge verfügen, um Zellenergie mithilfe von Ferredoxin zu gewinnen. Irgendwas anderes musste also im Spiel sein.“
Erfolgreiche wissenschaftliche Zusammenarbeit bei einer anspruchsvollen Studie
Gelöst werden konnte dieses Rätsel nur dank einer engen Zusammenarbeit innerhalb der Partnerinstitutionen. Gunter Wegener vom MARUM und seinem Team gelang es, Sedimentproben von erdgasreichen hydrothermalen Quellen zu sammeln, und aus diesen die Ethanabbauer im Labor zu kultivieren – eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe. Mit Hilfe dieser Kulturen konnte dann die Gruppe von Tristan Wagner die an der Ethanoxidation beteiligten Enzyme isolieren und charakterisieren. „Die Isolierung von Enzymen aus einer so kostbaren und komplexen mikrobiellen Kultur ist eine große Herausforderung, aber mit viel Mühe und Sorgfalt haben wir es geschafft“, so Wagner.
Eine andere enzymatische Zusammensetzung bewirkt eine Neuverdrahtung des Stoffwechsels
Die jetzt veröffentlichten Analysen zeigen, dass beide Enzyme ein zusätzliches Protein enthalten, das mit dem Rest des Enzyms über eine Redoxkette von Eisen- und Schwefelatomen elektronisch verbunden ist. Durch diese Untereinheit wird es möglich, einen alternativen Elektronenakzeptor zu verwenden: Das F420, ein Molekül auf der Basis von Flavin, einer Klasse von Chemikalien, die auch für den Menschen wichtig ist (z.B. als Vitamin B2).
„Enzymkomplexe aus CO2-bildenden Proteinen und F420-Reduktasen waren bisher unbekannt“, sagt Co-Autor Tristan Wagner. Durch weitere Experimente bestätigten die Forschenden, dass beide Enzyme F420 als Elektronenakzeptor nutzen. „Diese Entdeckung bricht ein Dogma auf dem Forschungsfeld des anaeroben Stoffwechsels, weil sie die Fähigkeiten dieser Enzyme erweitert.“
„Wir vermuten, dass die Kopplung der CO2-Bildung mit F420 als Elektronenakzeptor den gesamten Prozess anregt. Die Elektronen werden dann über die Zellmembran auf eine andere Mikrobe übertragen, die Sulfat reduziert – ein gängiges Verfahren von alkanoxidierenden Konsortien“, erklärt Gunter Wegener.
Ein Meilenstein im Verständnis des Ethanabbaus
Mit der Lösung dieses Stoffwechselrätsels lüften Lemaire und seine Kollegen einen zentralen Aspekt der ethanabbauenden Mikroben, die eine wichtige Rolle im Kohlenstoffkreislauf spielen. Sie zeigen zudem, dass sich Erkenntnisse, die an einigen wenigen Modellorganismen gewonnen werden, nicht einfach auf verwandte Arten übertragen lassen. Die beteiligten Enzyme können vielseitiger sein als angenommen. „Unsere Studie verdeutlicht, wie wenig wir über den Stoffwechsel dieser Mikroben wissen, die seit Milliarden von Jahren auf unserem Planeten leben und sich an so viele Lebensräume anpassen können, und wie wichtig es ist, diese mit Hilfe experimenteller Methoden zu erforschen“, so Tristan Wagner abschließend.
Die weitreichende Bedeutung dieser Studie liegt zudem darin, dass die von diesen Mikroorganismen durchgeführte Oxidation von Alkanen entscheidend dazu beiträgt, dass die biologischen Filter in den Unterwasserquellen funktionieren und eine massive Freisetzung von natürlich produzierten Alkanen in die Atmosphäre und das Meerwasser verhindern.
Diese Studie ist Teil der Forschung des Exzellenzclusters „Ozeanboden – unerforschte Schnittstelle der Erde“, der am MARUM angesiedelt ist. Der Kohlenstoffkreislauf und Energiegewinnung von Mikroorganismen gehören zu den Kernthemen des Clusters.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften.
Dass es in der Tiefsee anaerobe Oxidation von Ethan gibt, ist schon lange bekannt. Doch diese neuen Erkenntnisse zeigen erneut, wie wenig wir doch über dieses einzigartige Ökosystem wissen. Währenddessen rückt der Tiefseebergbau bedrohlich näher und droht, die sensiblen Quellen und die darin lebenden Mikroben unwiederbringlich zu zerstören. Wenn diese natürlichen biologischen Filter beschädigt werden, könnten große Mengen schädlicher Alkane in die Meere und die Atmosphäre gelangen – mit unberechenbaren Folgen für das Klima und die Gesundheit der Ozeane. Es ist entscheidend, diese faszinierenden, aber fragilen Ökosysteme vor solchen Eingriffen zu schützen, bevor wir sie unwiederbringlich verlieren.
Wie ist das Wetter in der Tiefsee?

© NOAA Office of Ocean Exploration and Research / Image courtesy of Submarine Ring of Fire 2006 Exploration, NOAA Vents Program
Pressemitteilung vom 31. Juli 2024, MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften
Neue Nature Geoscience-Studie zeigt wechselhaftes Verhalten der Strömungen in der Tiefsee
Eine neue Studie zeigt, wie selbst die tiefsten Meeresböden durch das tägliche Hin und Her der Gezeiten und den Wechsel der Jahreszeiten beeinflusst werden und dass die Strömungen am Meeresboden viel komplizierter sind als bisher angenommen. Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, die Wege der Nährstoffe in der Tiefsee zu verstehen, die wichtige Tiefseeökosysteme versorgen, zu beurteilen, wo sich Mikroplastik und andere Schadstoffe im Ozean anreichern, und den vergangenen Klimawandel zu rekonstruieren. Die Studie des internationalen Forschungsteams, an dem auch Prof. Dr. Elda Miramontes vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen beteiligt ist, wurde jetzt in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.
Der Meeresboden ist die Endstation für alle Arten von Partikeln wie Sand, Schlamm, organischer Kohlenstoff, der den Organismen am Meeresboden als Nahrung dient, und sogar Schadstoffe. Die Anhäufung dieser Partikel in der Tiefsee wird zur Rekonstruktion des Klimas, der Naturgefahren und der Meeresbedingungen in der Vergangenheit herangezogen und liefert wertvolle Archive vergangener Veränderungen, die weit über historische Aufzeichnungen hinausgehen. Der leitende Wissenschaftler des Projekts, Dr. Mike Clare vom National Oceanography Centre (NOC), erklärt: „Es ist wichtig, das Verhalten und die Verläufe von Strömungen in der Tiefsee zu verstehen, um die Wege natürlicher und vom Menschen verursachter Partikel zu bestimmen und die in den Ablagerungen erhaltenen Aufzeichnungen auszuwerten.“
Er ergänzt: „Es gibt jedoch nur sehr wenige direkte Messungen von Strömungen, die in tiefen Gewässern über den Meeresboden fließen. Die meisten werden hoch über dem Meeresboden, über kurze Zeiträume und nur an einzelnen Stellen durchgeführt. Bislang haben war nicht vollständig verstanden, wie dynamisch die Strömungen am Meeresboden in der Tiefsee sein können.“
In einer neuen Studie, an der Forschende aus dem Vereinigten Königreich, Kanada, Deutschland und Italien beteiligt waren, wurden die Daten der bisher umfangreichsten Anordnung von Sensoren in der Tiefsee analysiert, um die Variabilität der Meeresbodenströmungen über vier Jahre hinweg zu bestimmen. Vierunddreißig Verankerungen in der Tiefsee wurden in bis zu 2,5 Kilometern Wassertiefe ausgebracht und mit Hochfrequenz-Akustik-Doppler-Strömungsmessern ausgestattet, die wie eine Unterwasser-Kamera die Strömungen am Meeresboden messen. Frühere Modellrechnungen gingen davon aus, dass diese Strömungen kontinuierlich und gleichmäßig verlaufen würden, doch die neuen Ergebnisse boten große Überraschungen. Die Strömungen beschleunigten und verlangsamten sich, kehrten manchmal ihre Richtung komplett um und wurden durch das unregelmäßige Relief des Meeresbodens lokal in verschiedene Richtungen gelenkt.
„Dies sind die ersten Messungen von Tiefseeströmungen in einem so großen Gebiet, über einen so langen Zeitraum und so nahe am Meeresboden. Das macht sie äußerst wertvoll, da sie dazu beitragen werden, unsere Modelle zur Rekonstruktion vergangener Veränderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel im Ozean zu verbessern“, sagte Prof. Dr. Elda Miramontes vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen, Mitautorin der Studie.
Der Hauptautor der Studie, Dr. Lewis Bailey (früher beim NOC und jetzt an der Universität von Calgary), erklärte: „Die Meeresbodenströmungen vor der Küste Mosambiks sind viel variabler als wir erwartet hatten. Genau wie die Strömungen im oberen Ozean ändert sich ihre Intensität zwischen den Jahreszeiten und kann sich sogar im Laufe einiger Stunden vor- und zurückbewegen. Es ist wirklich kompliziert!“.
Dr. Ian Kane von der Universität Manchester, einer der Mitautoren der Studie, erläuterte: „Zu sehen, wie sich diese Strömungen verhalten, ist ein bisschen wie die Beobachtung des Wetters in Manchester – es ändert sich ständig und ist oft überraschend. Aber die Beobachtung von Veränderungen in der Tiefsee ist eine echte Herausforderung, und bis jetzt hatten wir nur ein geringes Verständnis für die Hintergrundbedingungen in der Tiefsee“.
Der leitende Wissenschaftler des Projekts, Dr. Mike Clare vom NOC, fügte hinzu: „Die Tiefsee kann extrem dynamisch sein, und diese Studie unterstreicht die Bedeutung von Langzeitbeobachtungen, die entscheidende Informationen zum Verständnis des Ozeans liefern. Detailliertere Beobachtungen sind entscheidend für das Verständnis der wichtigen Rolle, die Bodenströmungen beim Transport von Sedimenten, Kohlenstoff und Schadstoffen auf unserem Planeten spielen“.
Beteiligte Institutionen:
• MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fakultät für Geowissenschaften, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
• National Oceanography Centre, Southampton, UK
• Schule für Meeres- und Geowissenschaften, Universität Southampton, Southampton, UK
• Fachbereich für Erde, Energie und Umwelt, Universität Calgary, Calgary, Alberta, Kanada
• Schule für Erd- und Umweltwissenschaften, Universität Manchester, Manchester, UK
• Eni Upstream und technische Dienste, Mailand, Italien
• RINA Consulting, Mailand, Italien
• TotalEnergies, Paris, Frankreich
Das MARUM gewinnt grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rolle des Ozeans und des Meeresbodens im gesamten Erdsystem. Die Dynamik des Ozeans und des Meeresbodens prägen durch Wechselwirkungen von geologischen, physikalischen, biologischen und chemischen Prozessen maßgeblich das gesamte Erdsystem. Dadurch werden das Klima sowie der globale Kohlenstoffkreislauf beeinflusst und es entstehen einzigartige biologische Systeme. Das MARUM steht für grundlagenorientierte und ergebnisoffene Forschung in Verantwortung vor der Gesellschaft, zum Wohl der Meeresumwelt und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es veröffentlicht seine qualitätsgeprüften, wissenschaftlichen Daten und macht diese frei zugänglich. Das MARUM informiert die Öffentlichkeit über neue Erkenntnisse der Meeresumwelt, und stellt im Dialog mit der Gesellschaft Handlungswissen bereit. Kooperationen des MARUM mit Unternehmen und Industriepartnern erfolgen unter Wahrung seines Ziels zum Schutz der Meeresumwelt.
Diese Pressemitteilung vom 31. Juli 2024 findet ihr beim MARUM.
Nicht nur Meeresströmungen, sondern auch die Plastikflut erreicht tagtäglich unsere Tiefsee. Unsere Aufgabe ist es, diese bisher weitgehend unberührten, faszinierenden Lebensräume zu schützen, vor allem vor Gefahren wie dem Tiefseebergbau.
Fischereiforschung hat Fischbestände zu optimistisch eingeschätzt
Pressemitteilung, GEOMAR, 22.08.2024
GEOMAR-Experte fordert realistischere Bestandsbewertungen
Weltweit sind viele Fischbestände durch Überfischung bedroht oder bereits zusammengebrochen. Ein Grund für diese fatale Entwicklung ist, dass sich die Politik oftmals über die von Wissenschaftler:innen errechneten Höchstfangmengen hinweggesetzt hat. Diese Mengen waren als Grenzwerte gedacht, die es unbedingt einzuhalten galt, um die Bestände nicht zu gefährden. Doch nun zeigt sich, dass auch die Empfehlungen der Wissenschaft bereits deutlich zu hoch waren.
In der Europäischen Union (EU) zum Beispiel wird die Fischerei hauptsächlich durch zulässige Höchstfangmengen, die so genannten Fangquoten, gemanagt. Diese werden vom Europäischen Ministerrat, also den Landwirtschaftsminister:innen der Mitgliedsstaaten, basierend auf wissenschaftlicher Beratung und den Empfehlungen der EU-Kommission beschlossen. Eine neue Studie australischer Wissenschaftler:innen (Edgar et al.) zeigt nun, dass bereits diese wissenschaftliche Beratung oft zu hohe Fangmengen empfiehlt.
Das Fachmagazin Science, in dem die Studie heute veröffentlicht wird, hat zwei der weltweit meistzitierten Fischerei-Experten, Dr. Rainer Froese vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Dr. Daniel Pauly von der University of British Columbia, gebeten, die Ergebnisse einzuordnen. In ihrem Perspective Paper plädieren sie für einfachere, aber realistischere Modelle, die auf ökologischen Grundlagen basieren und für eine im Zweifelsfall konservativere Bestandsbewertung und -bewirtschaftung.
Für die Studie analysierten Edgar et al. Daten von 230 Fischbeständen weltweit und stellten fest, dass Bestandsabschätzungen oft viel zu optimistisch waren. Sie überschätzten, wie viele Fische einer Art es noch gibt und wie schnell sich Fischbestände erholen können. Besonders betroffen sind durch Überfischung geschrumpfte Bestände. Die Überbewertungen führten bei ihnen zu so genannten Phantom-Erholungen: Sie wurden als erholt eingestuft, obwohl sie in Wirklichkeit weiter schrumpften. „Das führte dazu, dass Fangmengen nicht ausreichend reduziert wurden, obwohl es dringend notwendig gewesen wäre“, erklärt Dr. Rainer Froese, „leider ist dies kein Problem der Vergangenheit. Die bekannten Überschätzungen der Bestandsgrößen aus den letzten Jahren werden auch jetzt nicht zur Korrektur der aktuellen Bestandsgrößen herangezogen.“
Die Untersuchungen von Edgar et al. zeigen außerdem, dass fast ein Drittel der Bestände, die von der Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization, FAO) als „maximal nachhaltig befischt“ eingestuft werden, die Schwelle zur Überfischung bereits überschritten haben. Zudem sind weit mehr Bestände zusammengebrochen als bisher angenommen: Innerhalb der Kategorie „überfischt“ schätzen die Autoren der Studie, dass die Zahl der kollabierten Bestände (das sind Bestände, die weniger als zehn Prozent ihrer früheren maximalen Biomasse aufweisen) wahrscheinlich um 85 Prozent höher liegt ist als bisher angenommen.
Aber woher kommt die beobachtete Verzerrung in den Bestandsbewertungen? Die Standard-Bestandsabschätzungen verwenden Modelle, die mehr als 40 verschiedene Parameter enthalten können, zum Beispiel zur Lebensgeschichte der Fische, zu Fangdetails, und zum Fischereiaufwand. Diese Vielzahl von Variablen mache die Abschätzungen unnötig komplex, schreiben Froese und Pauly. Die Ergebnisse könnten nur von wenigen Experten reproduziert werden, die Zugang zu den Originalmodellen und -daten haben. Darüber hinaus seien mehrere der erforderlichen Eingabeparameter unbekannt oder schwer zu schätzen, so dass die Modellierer stattdessen auf weniger belastbare Werte zurückgreifen, die in der Vergangenheit funktioniert haben. Froese: „Solche Praktiken können die Ergebnisse stark auf die Erwartungen der Modellierer beschränken.“
Die Autoren fordern daher eine Überarbeitung der aktuellen Bestandsbewertungsmodelle. Sie plädieren für einfachere, realistischere Modelle, die auf ökologischen Grundlagen basieren. Zudem sollte das Vorsorgeprinzip stärker angewandt werden: Bei Unsicherheiten sollten eher konservative Schätzungen verwendet werden, um die Bestände zu schützen. „Eigentlich ist nachhaltige Fischerei ganz einfach“, sagt Dr. Rainer Froese: „Es darf immer nur weniger Fisch entnommen werden als nachwächst.“ Die Fische müssen sich vermehren können, bevor sie gefangen werden, außerdem braucht es umweltschonende Fanggeräte und die Einrichtung von Schutzzonen. Funktionelle Nahrungsketten müssen erhalten werden, indem weniger Futterfische wie Sardellen, Sardinen Heringe oder auch Krill gefangen werden – das sind die Prinzipien der ökosystembasierten nachhaltigen Fischerei. Froese: „Vier dieser fünf Prinzipien lassen sich auch ohne Kenntnis der Bestandsgröße umsetzen.“
Diese Pressemitteilung findet ihr beim GEOMAR.
Die Studie von Edgar et al. und die Einschätzungen von Froese und Pauly machen deutlich, dass ein Umdenken in der Fischereipolitik und -forschung dringend erforderlich ist. Fangquoten werden häufig zu hoch und gegen die Empfehlung der Wissenschaft festgelegt, so zum Beispiel auch bei uns in der Nord- und in der Ostsee.
Quallen könnten künftig den Arktischen Ozean dominieren
Pressemitteilung, 15.05.2024, Alfred-Wegner-Institut
AWI-Studie zeigt: Quallen im Arktischen Ozean profitieren vom Klimawandel und breiten sich weiter nach Norden aus
Der Klimawandel setzt viele Meeresorganismen immer stärker unter Druck. Quallen jedoch könnten in allen Weltmeeren von steigenden Wassertemperaturen profitieren – auch und besonders im Arktischen Ozean, wie Forschende des Alfred-Wegner-Instituts nun zeigen konnten. Im Computermodell setzten sie acht weit verbreitete arktische Quallenarten steigenden Temperaturen aus. Das Ergebnis: Bis auf eine Ausnahme konnten alle untersuchten Spezies ihren Lebensraum bis in die zweite Hälfte des laufenden Jahrhunderts massiv polwärts ausdehnen. Die „Feuerqualle“ kann ihr Habitat sogar fast verdreifachen – mit potentiell dramatischen Folgen für das marine Nahrungsnetz und die arktischen Fischbestände. Die Studie wurde nun im Fachmagazin Limnology and Oceanography veröffentlicht.
Quallen könnten künftig zu den wenigen Gewinnern des Klimawandels zählen. Denn wie zahlreiche Studien belegen, profitieren die transparenten Nesseltiere ganz erheblich von steigenden Wassertemperaturen, aber auch von Nährstoffeinträgen und Überfischung. In Kombination könnten diese Faktoren zu einer gewaltigen Verschiebung im Ozean führen – weg von einem produktiven und von Fischen dominierten Nahrungsnetz hin zu einem weniger produktiven Meer voller Quallen. Forschende sprechen deshalb bereits von einer drohenden „Ocean jellification“, also einer globalen „Verquallung“ der Ozeane.
„Quallen spielen im marinen Nahrungsnetz eine wichtige Rolle“, erklärt Dmitrii Pantiukhin, Doktorand in der auf arktische Quallen spezialisierten Nachwuchsgruppe ARJEL („Arctic Jellies“) am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Übt nun etwa der Klimawandel Stress auf die Meeresbewohner aus, können sich die Nesseltiere oft gegen Nahrungskonkurrenten wie Fische durchsetzen. Das hat dann wiederum Folgen für das ganze Nahrungsnetz und letztlich auch die Fische selbst. Denn viele Quallen ernähren sich von Fischlarven und Eiern und verzögern oder verhindern so eine Erholung von unter Druck geratenen Fischpopulationen, die zudem meist auch noch durch den Menschen stark bewirtschaftet werden. Wer also wissen will, wie sich die auch für uns wichtige Nahrungsquelle Fisch in Zukunft entwickeln wird, muss die Quallen in den Blick nehmen.“
Trotz ihrer großen Bedeutung für alle Meeresorganismen werden die durchsichtigen Nesseltiere in ökologischen Studien und Modellsimulationen oft übersehen oder vernachlässigt. Mit seiner Studie füllt das AWI-Team um Dmitrii Pantiukhin nun eine bedeutsame Wissenslücke und konzentriert sich dabei auf einen Hot-Spot des Klimawandels. „Von allen Ozeanen erwärmt sich der Arktische Ozean am schnellsten“, sagt der Studienerstautor. „Außerdem steht die Arktis für rund 10 Prozent der globalen Fischereierträge. Deshalb ist der hohe Norden ein idealer Ort für unsere Untersuchungen.“
Über die Physiologie der Quallen einschließlich des optimalen Temperaturbereichs für ihre Vermehrung ist schon einiges bekannt. Im Rahmen seiner Studie hat das AWI-Team nun dreidimensionale Artverbreitungsmodelle mit den ozeanographischen Komponenten des „Max Planck Institute Earth System Model“ (MPI-ESM1.2) gekoppelt. „Oft werden Simulationen zur Artverbreitung im Ozean nur zweidimensional berechnet, also wie eine Fläche behandelt“, erklärt Dr. Charlotte Havermans, Leiterin der Nachwuchsgruppe ARJEL am AWI. „Gerade die Verbreitung von Quallengemeinschaften ist aber extrem abhängig von der spezifischen Wassertiefe. Deshalb haben wir unsere Artmodelle dreidimensional ausgelegt. Durch die Kopplung mit dem MPI-Erdsystemmodell konnten wir dann für acht bedeutende Quallenarten berechnen, wie sich deren Verbreitung ausgehend vom Referenzzeitraum 1950 bis 2014 bis in die zweite Hälfte des laufenden Jahrhunderts 2050 bis 2099 verändern wird. Für die Zukunft haben wir dabei das Klimaszenario ‚ssp370‘, also einen Entwicklungspfad mit weiterhin mittleren bis hohen Treibhausgasemission zugrunde gelegt.“
Das Ergebnis spricht eine deutliche Sprache: Sieben der acht Spezies – darunter Melonenquallen (Beroe sp. / + 110 %) und Pelagische Seescheiden (Oikopleura vanhoeffeni / + 102 %) – können bis zum Zeitraum 2050 bis 2099 ihren Lebensraum teilweise erheblich polwärts ausdehnen und profitieren dabei auch vom weiteren Rückgang der Meereisbedeckung. Besonders stark in Richtung Norden breitet sich die als „Feuerqualle“ bekannte Gelbe Haarqualle Cyanea capillata aus: Sie kann ihren Lebensraum mit einem Zuwachs von 180 Prozent fast verdreifachen. Lediglich eine untersuchte Art (Sminthea arctica) hat einen leichten Rückgang um 15 Prozent zu verzeichnen, da sie sich ihrem Temperaturoptimum folgend in größere Tiefen zurückziehen muss.
„Diese Ergebnisse machen deutlich, wie dramatisch der Klimawandel die Ökosysteme des Arktischen Ozeans in Zukunft verändern kann“, sagt AWI-Forscher Dmitrii Pantiukhin. „Die prognostizierte Ausdehnung der Quallenhabitate könnte massive und kaskadenhafte Auswirkungen auf das ganze Nahrungsnetz haben.“
Noch offen ist die Frage, wie sich der Vormarsch der Nesseltiere auf die arktischen Fischbestände auswirken würde. „Vieles spricht dafür, dass wichtige arktische Fischspezies wie der Polardorsch, dessen Larven und Eier häufig von Quallen gefressen werden, noch stärker unter Druck geraten“, erklärt ARJEL-Leiterin Charlotte Havermans. „Unsere Studie liefert daher eine wichtige Grundlage für weitere Forschungen auf diesem Gebiet. Und auch Management-Pläne im Fischereibereich müssen diese dynamische Entwicklung dringend berücksichtigen, wenn sie den Zusammenbruch stark befischter Bestände künftig vermeiden und diese nachhaltig bewirtschaften wollen.“
Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr beim AWI.
Bereits 2023 berichtete das AWI über einen Wandel der Arktischen Lebensgemeinschaften. Der Klimawandel zwingt immer mehr Arten, neue Lebensräume zu suchen – eine Art Flucht vor den veränderten Bedingungen. Während Quallen von diesen Verschiebungen profitieren, geraten andere Organismen – zum Beispiel der Polardorsch – immer stärker unter Druck.