Forschung

Was die Forschung untersucht und herausfindet, wird durch  Wissenstransfer greifbar und verständlich.
Und ermöglicht so sinnvolles und effektives Handeln für die Meere .

Klimawandel führt zu großen Ozonverlusten über der Arktis

Viele kleine Eisschollen werden von der untergehenden Sonne am Horizont angestrahlt

© NASA / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Pressemitteilung, 23.06.2021, Alfred-Wegener-Institut

Ergebnisse der MOSAiC-Expedition zeigen: Die erwartete Erholung der Ozonschicht könnte ausbleiben, wenn die globale Erwärmung nicht gebremst wird

Im Frühjahr 2020 registrierte die MOSAiC-Expedition einen Rekordverlust von Ozon in der arktischen Stratosphäre. Wie die Auswertung von meteorologischen Daten und Modellrechnungen durch das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) nun zeigen, könnte sich der Ozonabbau im arktischen Polarwirbel bis zum Ende des Jahrhunderts noch intensivieren, wenn eine schnelle und konsequente Reduktion der globalen Treibhausgasemissionen ausbleibt. Dies könnte künftig auch in Europa, Nordamerika und Asien die UV-Strahlungsbelastung jeweils weiter erhöhen, wenn Teile des Polarwirbels nach Süden verdriften. Mit ihren Ergebnissen stellen die Forschenden die bislang verbreitete Erwartung in Frage, dass der Ozonverlust wegen des Verbots der Produktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKWs) in wenigen Jahrzehnten überall zum Erliegen kommt. Die AWI-Studie wurde in Kooperation mit der University of Maryland und dem Finnish Meteorological Institute durchgeführt und ist jetzt im Wissenschaftsmagazin Nature Communications online erschienen.

Als die Polarstern am 12. Oktober 2020 von MOSAiC – der größten Arktis-Expedition der Geschichte – nach Bremerhaven zurückkehrte, hatte sie besorgniserregende Nachrichten im Gepäck: Weite Flächen offenen Wassers nördlich von Grönland und Meereis voller Schmelztümpel am Nordpol zeugten von den schon jetzt dramatischen Auswirkungen der globalen Erwärmung in der Arktis. Doch nicht nur die rasante Eisschmelze macht dem Expeditionsleiter Markus Rex Sorgen: „Messungen während der Expedition haben gezeigt, dass der chemische Ozonverlust über der Arktis im Frühjahr 2020 größer war als jemals zuvor. Eine umfassende Analyse hat nun ergeben, dass dies auch das Resultat von Klimaveränderungen war. Unsere Arbeiten zeigen leider, dass trotz des weltweiten Verbots der ozonzerstörenden Substanzen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts mit weiter zunehmenden Ozonverlusten über der Arktis zu rechnen ist, wenn der Klimawandel ungebremst weiter voranschreitet.“ Während MOSAiC waren im Höhenbereich des Ozonmaximums ca. 95% des Ozons zerstört. Die Ozonschichtdicke wurde dadurch um mehr als die Hälfte reduziert, obwohl die Konzentration der ozonzerstörenden Substanzen seit der Jahrtausendwende sinkt – ein Erfolg internationaler Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht.

Ist die Ozonschicht – eine schützende Barriere gegen schädliche UV-Strahlung – über der Arktis also zunehmend bedroht?

Um eine Antwort zu finden, hat das Team um die AWI-Wissenschaftler Peter von der Gathen und Markus Rex sowie Ross Salawitch von der University of Maryland Daten von 53 Computermodellen ausgewertet, die im Rahmen der „Coupled Model Intercomparison Project Phasen 5 und 6“ (CMIP5, CMIP6) international zusammengestellt wurden. Darauf basierend haben die Forschenden den Ozonabbau im arktischen Polarwirbel bis zum Jahr 2100 abgeschätzt. Beim Polarwirbel handelt es sich um ein relativ abgeschlossenes Tiefdruckgebiet in der Stratosphäre in 15 bis 50 Kilometern Höhe, das sich in jedem Herbst über der Arktis bildet und unterschiedlich lange über den Winter bis in das Frühjahr hinein bestehen bleibt. „Damit es zu einem Abbau von Ozon in der Arktis kommt, muss sich die Stratosphäre im Bereich der Ozonschicht stark abkühlen“, sagt Peter von der Gathen, Erstautor der Studie. „Bei tiefen Temperaturen wird Chlor, das normalerweise in unschädlichen Substanzen gebunden ist, freigesetzt. In der Folge zerstört es zusammen mit Brom bei Sonneneinstrahlung Ozon. Das geschieht nur, wenn die Temperaturen im Winter tief genug fallen. Bei unserer Studie haben wir deshalb auf Basis der langfristigen Temperaturentwicklung im Polarwirbel und dem erwarteten Rückgang der Chlor- und Bromverbindungen auf die Ozonverluste der kommenden Jahrzehnte geschlossen.“

Substanzen wie etwa Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) und Halone, welche die ozonzerstörenden Chlor- und Bromatome beinhalten, sind trotz des Produktionsbanns durch das Montrealer Protokoll von 1987 noch immer reichlich in der Atmosphäre vorhanden, weil sie nur langsam abgebaut werden. „Bis zum Jahr 2000 stiegen die Konzentrationen dieser Substanzen im Polarwirbel noch“, sagt Peter von der Gathen. „Seitdem fallen sie und liegen heute bei 90 Prozent des Maximums. Erst zum Ende des Jahrhunderts werden sie nach Einschätzung der World Meteorological Organization unter 50 Prozent gesunken sein. Da es unregelmäßig mal warme und mal kalte stratosphärische Winter im Polarwirbel gibt, ist der Ozonabbau entsprechend unterschiedlich stark ausgeprägt. Dem überlagert zeigt unsere Analyse meteorologischer Daten der letzten 56 Jahre jedoch einen signifikanten Trend hin zu tieferen Temperaturen in den kalten stratosphärischen Wintern und damit verbunden hin zu steigenden Ozonverlusten. Die Auswertung der Klimamodelle zeigt zudem klar, dass dieser Trend Teil des Klimawandels und damit das Ergebnis der globalen Treibhausgasemissionen ist.“

Der komplexe Mechanismus dahinter ist zumindest teilweise bekannt: Dieselben Gase, die an der Erdoberfläche zur globalen Erwärmung führen (wie CO2), befördern eine Abkühlung der höheren Luftschichten in der Stratosphäre, wo die Ozonschicht liegt. „Darüber hinaus sehen wir aufgrund des Klimawandels Änderungen in den vorherrschenden Windsystemen. Wir nehmen an, dass diese Änderungen ebenfalls zu tieferen Temperaturen im Polarwirbel führen. Der Trend hin zu kälteren Wintern in der arktischen Stratosphäre war unter Wissenschaftlern bislang umstritten. Selbst mit einem Trend ging man jedoch immer davon aus, dass der Klimawandel den wiederkehrenden Ozonabbau über der Arktis im ungünstigsten Fall noch einige Jahre verlängert“, erklärt Peter von der Gathen. „Spätestens danach – so dachten auch wir – sollten dann die sinkenden Konzentrationen der FCKWs so stark ins Gewicht fallen, dass der Ozonverlust kontinuierlich geringer wird. Doch unseren Berechnungen nach kann es in der Arktis auch anders kommen.“

So zeigt die Auswertung des Forschungsteams, dass die künftigen chemischen Ozonverluste in der Arktis massiv von der Menge der bis zum Ende des Jahrhunderts ausgestoßenen Treibhausgase abhängt. Werden die Emissionen in den kommenden Jahrzehnten drastisch reduziert, sagt die Studie tatsächlich einen bald einsetzenden und danach beständigen Rückgang der Ozonverluste voraus. Für die ungünstigen Szenarien mit steigenden Treibhausgasemissionen ist dagegen das Gegenteil der Fall. „Wenn wir unsere Treibhausgasemissionen nicht schnell und umfassend reduzieren, könnte der arktische Ozonverlust trotz des großen Erfolgs des Montrealer Protokolls bis zum Ende des laufenden Jahrhunderts immer schlimmer werden, statt der allgemein erwarteten Erholung zu folgen“, erklärt Markus Rex. „Dies stellt einen fundamentalen Paradigmenwechsel in unserer Beurteilung der Zukunft der arktischen Ozonschicht dar. Und das betrifft auch unser Leben in Europa, Nordamerika und Asien. Denn der arktische Polarwirbel driftet immer mal wieder auch über Mitteleuropa, so dass es auch in Deutschland jeweils im Frühjahr zu einigen Tagen reduzierter Ozonschicht kommen kann, was dann in diesen Perioden zu erhöhter UV-Strahlung und letztlich zu Sonnenbränden und größerer Hautkrebsgefahr führen kann.“

Für Markus Rex ist die Botschaft aus der Arktis klar: „Es gibt viele gute Gründe, die Treibhausgasemissionen schnell und umfassend zu reduzieren. Eine drohende Verschärfung des Ozonabbaus über der Arktis kommt jetzt noch dazu.“

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut.

Weitere Informationen über die MOSAiC-Expedition und die Auswertung der gesammelten Daten findet ihr in unserem Klima- und Forschungsblog.

AWI: Wärmeattacken aus dem Meer: Ozean setzt arktischem Meereis zu

Blick auf arktisches Meereis bei Sonnenaufgang

© Alfred-Wegener-Institut / Stefan Hendricks (CC-BY 4.0)

Pressemitteilung, 15.06.2021, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Der Einstrom warmer Wassermassen aus dem Nordatlantik in die europäischen Randmeere des Arktischen Ozeans trägt insbesondere im Winter zu einer deutlichen Abnahme des Meereiswachstums bei. Beweise dafür präsentieren Meereisphysiker des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) gemeinsam mit Forschenden aus den USA und Russland in zwei neuen Studien. Darin zeigen sie zum einen, dass die Wärme aus dem Atlantik das winterliche Eiswachstum in der Barents- und Karasee bereits seit Jahren hemmt. Zum anderen können sie belegen, dass Wärmeattacken atlantischer Wassermassen auch weiter östlich, am Nordrand der Laptewsee, das Eisdickenwachstum mitunter so nachhaltig beeinflussen, dass die Effekte selbst ein Jahr später noch nachweisbar sind, wenn das Eis über den Nordpol Richtung Grönland gedriftet ist und die Arktis durch die Framstraße verlässt. Diese Studie umfasst auch Daten von der MOSAiC-Expedition.

Den zunehmenden Einstrom warmer atlantischer Wassermassen in den Arktischen Ozean bezeichnen Meeresforschende als Atlantifizierung. Bislang hat die Wissenschaft diesen Prozess vor allem aus ozeanographischer Perspektive untersucht. In zwei neuen Studien beziffern AWI-Meereisphysiker nun erstmals, welche Auswirkungen der Wärmeeintrag auf das Meereiswachstum in der Arktis hat. Zu beachten ist dabei, dass überall dort, wo im Sommer die Meereisdecke komplett wegschmilzt, das Meer im anschließenden Winter besonders viel Wärme an die Atmosphäre abgibt. Infolgedessen gefriert das Meer so rasant, dass die sommerlichen Eisverluste kompensiert werden. „Junges, dünnes Meereis leitet Wärme deutlich besser als dickes Eis und schützt das Meer deshalb schlechter vor der Auskühlung. Gleichzeitig gefriert mehr Wasser an der Eisunterseite, weshalb dünnes Eis auch schneller wächst als dickeres Eis“, erläutert AWI-Meereisphysiker Dr. Robert Ricker.

Dieses wichtige Winterwachstum läuft jedoch nicht mehr in allen Randmeeren reibungslos ab, wie Robert Ricker und Kollegen mithilfe von Langzeitdaten zur Dicke, Konzentration und Drift des arktischen Meereises herausgefunden haben. „Wir haben Satellitendaten der ESA Climate Change Initiative ausgewertet und sehen, dass im Zeitraum von 2002 bis 2019 vor allem in der Barentssee und der Karasee immer weniger Meereis gebildet wurde“, berichtet Ricker. In der Ostsibirischen See sowie in der Beaufort- und Tschuktschensee hingegen sei die winterliche Eisproduktion noch groß genug, um die Sommerverluste auszugleichen.

Um der Ursache dieser regional unterschiedlichen Entwicklungen auf den Grund zu gehen, simulierten die Wissenschaftler das Wechselspiel zwischen Ozean, Eis, Wind und Lufttemperatur für die zurückliegenden vier Jahrzehnte mit zwei gekoppelten Eis-Ozean-Modellen. Beide Simulationen führten zur selben Erkenntnis. „Verantwortlich sind warme Wassermassen, die aus dem Nordatlantik in den Arktischen Ozean strömen und das Eiswachstum in der Barentssee und Karasee bremsen oder sogar verhindern. Bildet sich doch neues Eis, so ist dieses deutlich dünner als früher“, sagt Robert Ricker und fügt hinzu: „Sollte sich die Atlantifizierung in diesem Maße fortsetzen und die Wintertemperaturen in der Arktis weiter ansteigen, werden wir langfristig auch Veränderungen in weiter östlich liegenden Regionen des Arktischen Ozeans sehen.“ Unter diesen Umständen werde die Eisdecke des Arktischen Ozeans dann kleiner, dünner und fragiler werden als sie ohnehin schon ist.

Anzeichen für aufsteigende Wärme am Nordrand der Laptewsee

Von ersten Anzeichen, dass die aufsteigende Meereswärme die Eisbildung auch in der Laptewsee bremst, berichten die AWI-Meereisphysiker in der zweiten Studie, die auch Messungen der Eisscholle der einjährigen MOSAiC-Expedition im Spätsommer 2020 beinhaltet. Darin werten die Forschenden die Langzeitdaten ihres Meereisdicken-Messprogramms „IceBird“ in der Arktis aus und rekonstruieren die Herkunft außergewöhnlich dünnen Meereises, welches sie im Sommer 2016 in der nördlichen Framstraße vom Forschungsflugzeug aus vermessen haben. Das Eis war damals gerade mal 100 Zentimeter dick und somit bis zu 30 Prozent dünner als in den Jahren zuvor – eine Differenz, die sich die Forscher zunächst nicht erklären konnten. „Um das Rätsel zu lösen, haben wir zunächst mithilfe von Satellitenaufnahmen die Driftroute des Eises zurückverfolgt. Es stammte ursprünglich aus der Laptewsee“, berichtet AWI-Meereisphysiker Dr. Jakob Belter. Anschließend überprüften die Wissenschaftler das Wetter entlang der Strecke. Doch die Atmosphärendaten zeigten für den Zeitraum von 2014 bis 2016 keinerlei Auffälligkeiten.

Die Antwort musste also im Ozean liegen – und tatsächlich: Von Januar bis Mai 2015 dokumentierten Forschende der Universität Fairbanks Alaska im Meeresgebiet nördlich der Laptewsee außergewöhnlich hohe Wassertemperaturen. Die Wärme, so weiß man heute, war mit atlantischen Wassermassen aus der Tiefe aufgestiegen und hatte das winterliche Wachstum des jungen Meereises verlangsamt. „Anhand der Satellitendaten können wir belegen, dass das dünne Eis, welches wir im Juli 2016 in der Framstraße vermessen haben, zuvor genau durch dieses außergewöhnlich warme Meeresgebiet vor der russischen Kontinentalkante gewandert ist“, sagt Dr. Jakob Belter. Die Meereshitzewelle muss zudem ein so starkes Ereignis gewesen sein, dass ihre Auswirkungen auf das Dickenwachstum des Meereises bis zum Ende der Drift über den Arktischen Ozean nicht wieder ausgeglichen werden konnten.

Beide neuen Studien unterstreichen die Bedeutung von Langzeitdatenreihen für die Meereisforschung in der Arktis. „Wenn wir die Veränderungen des arktischen Meereises verstehen wollen, sind Langzeitbeobachtungen der Eisdicke mit Hilfe von Satelliten und Flugzeugen unverzichtbar. Gemeinsam mit Modelldaten zeichnen sie ein Gesamtbild mit jener Detailschärfe, die wir benötigen, um die wirklich entscheidenden Prozesse der sich verändernden Arktis zu identifizieren“, sagt Jakob Belter.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.

Das Forschungsschiff Polarstern ist wieder in Richtung Arktis gestartet, um Langzeitbeobachtungen, die Veränderungen im Ökosystem belegen, fortzusetzen. Mehr darüber erfahrt ihr in unserem Forschungsblog.

Ältester Permafrostboden von Sibirien entdeckt

Ein kantiger Abbruch im Grasboden zeigt den darunter liegenden Permafrostboden

© Boris Radosavljevic / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Pressemitteilung, 15.06.2021, Alfred-Wegener-Institut

Ein internationales Team von Fachleuten hat bei der Altersbestimmung einer Permafrostschicht in Sibirien einen neuen Rekord aufgestellt: Sage und schreibe mindestens 650.000 Jahre ist der Boden an der tiefsten Stelle alt. Die jetzt im Magazin Quaternary Research veröffentlichten Forschungsergebnisse zeigen aber auch, wie empfindlich der Boden auf Störungen reagiert – und wie schnell er zerstört werden kann.

Ein internationales Forschungsteam hat das Alter des bislang ältesten, bekannten Permafrostbodens in Sibirien bestimmt. Der Boden in 50 Metern Tiefe in der Nähe der ostsibirischen Gemeinde Batagai ist seit rund 650.000 Jahren gefroren – ein Rekord. „Das bedeutet, dass diese Permafrostschicht bereits mehrere Kalt- und Warmzeiten überdauert hat“, sagt der Geograph Dr. Thomas Opel vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung (AWI) in Potsdam. Diese Erkenntnis ist von Bedeutung, weil sie zeigt, dass Permafrostböden selbst in wärmeren Zeiten nicht gänzlich abtauen müssen. So hat der Permafrostboden von Batagai offensichtlich auch besonders warme Phasen vor rund 130.000 Jahren überstanden, als es in der Arktis im Sommer rund vier bis fünf Grad Celsius wärmer war als heute. Beim Permafrost handelt es sich um Böden und Gesteine, die permanent gefroren sind, teilweise bis zu mehrere Hundert Meter tief. Sie kommen vor allem in Nordamerika und Sibirien aber auch in Hochgebirgen vor und konservieren wie eine gigantische Gefriertruhe riesige Mengen abgestorbener Biomasse, vor allem Pflanzenreste aber auch Überreste von Vertretern der Tierwelt der letzten Eiszeit wie Mammut oder Wollnashorn. Taut der Permafrost auf, werden Bakterien aktiv, die die uralte Biomasse abbauen und durch ihren Stoffwechsel die Klimagase Kohlendioxid und Methan freisetzen; je stärker das Tauen, desto stärker der Gasausstoß. Im Hinblick auf den heutigen Klimawandel befürchten Fachleute, dass sich dadurch der Treibhauseffekt noch verstärkt.

Unter günstigen Bedingungen haltbarer als gedacht

Insofern sind die aktuellen Ergebnisse, die das Forschungsteam jetzt im Magazin Quaternary Research veröffentlicht haben, von großer Relevanz. Sie zeigen, dass sehr alter, tief begrabener Permafrost bei tiefen Temperaturen im Boden natürliche Wärmeperioden überdauern kann, während der Permafrost anderenorts und vor allem von der Oberfläche her durch Erwärmung massiv abtaut. Andererseits zeigt die Situation bei Batagai aber auch, wie empfindlich der Permafrostboden auf Störungen durch den Menschen reagiert. Der 650.000 Jahre alte Permafrostboden liegt an einem Berghang eigentlich in rund 50 Meter Tiefe, wo permanent eine Temperatur von etwa minus 10 Grad Celsius herrscht. Ein Teil des Hangs aber war zwischen den 1940er und 1960er Jahren teilweise entwaldet und außerdem mit schweren Kettenfahrzeugen einer nahe gelegen Mine befahren worden. Dadurch ging die schützende und isolierende Pflanzendecke verloren. In der Folge taute der jüngere Permafrost an der Oberfläche im Sommer auf, bis der Boden schließlich ins Rutschen geriet und den alten Permafrost freilegte. Seit Jahren trägt das Schmelzwasser das aufgetaute Material hangabwärts, sodass ein großer Krater entstanden ist. Inzwischen ist die Abbruchkante bis zu 50 Meter tief. Zudem erodiert der Hang weiter um bis zu 30 Meter pro Jahr.

Kombination verschiedener Analysemethoden

Das internationale Team aus deutschen, russischen und englischen Forscherinnen und Forschern hat unter Leitung von Prof. Julian Murton von der University of Sussex den Permafrostboden vom oberen Ende der Abbruchkante bis zu ihrem Fuß mit verschiedenen Methoden untersucht, um das Alter des Permafrostes in den verschiedenen Tiefen genau zu bestimmen. Durch Bestrahlung mit Licht wurde beispielsweise gemessen, wann die in den Sandkörnern enthaltenen Quarz- und Feldspatkristalle in den verschiedenen Tiefen von nachfolgenden Schichten überlagert wurden und zum letzten Mal dem Sonnenlicht ausgesetzt waren. Die Forschenden vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf bestimmten dahingegen in den Eisproben die Konzentration von radioaktivem und stabilem Chlor mittels der hochsensitiven Beschleunigermassenspektrometrie. Dadurch ließ sich direkt das Alter des Eises selbst bestimmen, welches sich in Form langer Keile im Laufe von Jahrtausenden im Permafrost gebildet hat.

Des Weiteren wurden Isotope bestimmter chemischer Elemente gemessen. Mit Isotopen bezeichnet man Atome, die unterschiedlich viele Neutronen besitzen und damit unterschiedlich schwer sind. Vom Sauerstoff etwa gibt es in der Natur drei Isotope: 16O, 17O und 18O, von denen das Team um Thomas Opel zwei für die Analysen nutzte. 18O hat zwei Neutronen mehr als 16O und ist somit schwerer. Im Laufe von Warm- und Kaltzeiten ändert sich die Konzentration der 16O- und 18O-Isotope im Eis der Gletscher und Permafrostböden, woraus man auf die vorherrschenden Klimabedingungen und damit indirekt auf das Alter der verschiedenen Permafrostschichten und des enthaltenen Eises schließen kann.

„Die Datierungsergebnisse von Batagai zeigen eindrucksvoll, wie stabil ein Permafrostboden sein kann und so Jahrhunderttausende überdauert“, sagt Thomas Opel. „Aber auch, wie empfindlich er gegenüber Störungen ist.“ Der Schaden sei irreparabel, weil der offen liegende Permafrostboden in jedem Sommer weiter abtaue. In den vergangenen 50 Jahren hat sich die Hangrutschung bereits auf eine Breite von rund 900 Metern ausgedehnt.

Kürzlich gestartetes Kooperationsprojekt

Das Potential des alten Permafrosts von Batagai für die Rekonstruktion von Klima- und Umweltbedingungen vergangener Zeiten ist Gegenstand eines gemeinsamen Forschungsprojekts vom AWI in Potsdam und der Northumbria University aus England, das kürzlich gestartet ist. In diesem vom britischen Leverhulme Trust geförderten Projekt soll untersucht werden, unter welchen Klimabedingungen in der geologischen Vergangenheit sich der sibirische Permafrost gebildet hat, stabil war oder degradiert ist. Diese Erkenntnisse sind wichtig für Vorhersagen über die zukünftige Entwicklung des Permafrosts im Zuge der voranschreitenden Klimaerwärmung. Sowohl die bisherigen als auch die zukünftigen Arbeiten des AWI in Potsdam zu Batagai beruhen insbesondere auf der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Melnikov Permafrost Institut und der Nordöstlichen Föderalen Universität in Jakutsk.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut.

Das Schmelzen der Permafrostböden aufgrund der Klimakrise gehört, wie das Schmelzen der Eisschilde, zu den sogenannten Kipppunkten. Mehr darüber könnt ihr in unserem Forschungs– und Klimablog nachlesen.

Neue Analyse zeigt Risiken der Erderhitzung für Deutschland

Ein Sonnenblumenfeld mit vertrockneten Sonneblumen

© ivabalk / Pixabay

Pressemitteilung, 14.06.2021, Umweltbundesamt

Bei einem ungebremsten Klimawandel würden die Risiken durch Hitze, Trockenheit und Starkregen im gesamten Bundesgebiet künftig stark ansteigen. Das zeigen die Ergebnisse der Klimawirkungs- und Risikoanalyse (KWRA) des Bundes, die heute von Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt vorgestellt wurde. Die Schäden wirken sich dabei wie bei einem Dominoeffekt von bereits heute stark belasteten Ökosystemen wie Böden, Wäldern und Gewässern hin zum Menschen und seiner Gesundheit aus.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze: „Der ⁠Klimawandel⁠ bedroht die Lebensgrundlagen kommender Generationen und schränkt ihre Freiheiten ein. Die wichtigste Vorsorge ist entschlossener ⁠Klimaschutz⁠. Doch auch für die bereits nicht mehr vermeidbaren Folgen des Klimawandels ist eine umfassende Vorsorge nötig: Deutschland braucht mehr Bäume in den Städten, mehr Grün auf den Dächern, mehr Raum für die Flüsse und vieles mehr. Und es muss schnell gehen, denn viele Maßnahmen brauchen Zeit bis sie wirken. Es dauert, bis ein Stadtbaum gewachsen ist und Schatten spendet in überhitzten Städten. Zugleich müssen alle politischen Ebenen mitmachen können. Kommunen sind als erste von den Folgen des Klimawandels betroffen. Städte, Landkreise und Gemeinden sollen daher jetzt die Unterstützung erhalten, die zu ihnen passt. Das Bundesumweltministerium wird Kommunen ab Juli mit einem eigenen Beratungszentrum beim Finden individueller Lösungen unterstützen. Wir werden auch den Einsatz von Anpassungsmanagern fördern, die vor Ort die Klimaanpassung vorantreiben. Im nächsten Schritt wird die Bundesregierung auf Basis der Klimawirkungs- und Risikoanalyse verlässliche finanzielle und rechtliche Rahmenbedingungen für eine wirksame Klimaanpassung schaffen müssen.“

Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes: „Zum Ende des Jahrhunderts könnten einige Risiken in Deutschland so stark ansteigen, dass sie nur durch tiefgreifende Vorsorgemaßnahmen reduziert werden können. Wir müssen jetzt handeln. Dazu gehört die konsequente Umsetzung naturbasierter Maßnahmen, auch beim Hochwasser- und Küstenschutz, wie Auenrenaturierung. Parallel müssen wir die Verschmutzung und Übernutzung von Wasser, Boden und Luft drastisch verringern, und in eine massive Begrünung von Freiflächen und Gebäuden investieren. Landschaften und Städte müssen wir so umbauen, dass sie sich ohne Schäden an Ökosystemen, Häusern und Infrastrukturen wie ein Schwamm mit Wasser vollsaugen und es wieder abgeben können. Wir müssen asphaltierte Flächen verkleinern oder mit wasserdurchlässigen Baustoffen ersetzen, Freiflächen und Begrünung schaffen und den Flächenverbrauch so schnell wie möglich reduzieren. Viele dieser Anpassungsmaßnahmen stärken nicht nur die Ökosysteme, sondern verbessern zugleich die Lebensqualität und die Gesundheit der Menschen.“

Tobias Fuchs, Vorstand ⁠Klima⁠ und Umwelt des Deutschen Wetterdienstes: „Der Klimawandel schreitet weiter voran. Die Zunahme der Treibhausgaskonzentrationen ist bisher ungebremst. Das hat Folgen. So ist die durchschnittliche Jahrestemperatur in Deutschland seit 1881 bereits um 1,6 Grad gestiegen – stärker als weltweit. Die Auswirkungen spüren wir hierzulande. Zum Beispiel hat sich die Zahl der Hitzetage mit Höchsttemperaturen über 30 Grad Celsius fast verdreifacht und die Winterniederschläge stiegen um 27 Prozent. Und wie sieht unsere Klimazukunft aus? Wenn der schlechteste Fall unseres Szenarios eintritt, dann erwarten wir für Deutschland einen Anstieg der mittleren Lufttemperatur bis zur Mitte des Jahrhunderts zwischen 2,3 und 3 Grad – im Vergleich zum frühindustriellen Zeitalter. Steigen die Treibhausgasemissionen kontinuierlich an und stabilisieren sich zum Ende des 21. Jahrhunderts auf einem sehr hohen Niveau, könnten die Temperaturen hierzulande bis 2100 um 3,9 bis 5,5 Grad steigen.“

In der Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 (KWRA) für Deutschland wurden über 100 Wirkungen des Klimawandels und deren Wechselwirkungen untersucht und bei rund 30 davon sehr dringender Handlungsbedarf festgestellt. Dazu gehören tödliche Hitzebelastungen, besonders in Städten, Wassermangel im Boden und häufigere Niedrigwasser, mit schwerwiegenden Folgen für alle Ökosysteme, die Land- und Forstwirtschaft sowie den Warentransport. Es wurden auch ökonomische Schäden durch ⁠Starkregen⁠, Sturzfluten und Hochwasser an Bauwerken untersucht sowie der durch den graduellen Temperaturanstieg verursachte Artenwandel, einschließlich der Ausbreitung von Krankheitsüberträgern und Schädlingen.

Bisher sind nur wenige Regionen in Deutschland sehr intensiv von Hitze, Trockenheit oder Starkregen betroffen. Bei einem starken Klimawandel würden bis Mitte des Jahrhunderts sehr viel mehr Regionen mit diesen Wirkungen konfrontiert sein. Im Westen und Süden Deutschlands würde sich das Klima relativ zu heute am stärksten verändern. Im Südwesten und Osten würden klimatische Extreme am häufigsten vorkommen. Die Flüsse und Flusstäler könnten durch Folgen von wasserspezifischen Risiken, wie Niedrig- und Hochwasser, betroffen sein. An der Küste würden die Gefahren durch den Meeresspiegelanstieg in der zweiten Jahrhunderthälfte deutlich zunehmen. Bei einem starken Klimawandel würde Ende des Jahrhunderts im Vergleich zu heute ganz Deutschland ein Hotspot für Risiken des Klimawandels.

Die KWRA zeigt die Risiken verschiedener Klimaszenarien in der Mitte und zum Ende des Jahrhunderts. Erstmalig wurde dabei analysiert, wie die Risiken in einzelnen Sektoren zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Für die höchsten Klimarisiken wurden zudem Anpassungsmöglichkeiten analysiert und dahingehend bewertet, wie stark sie das zukünftige ⁠Klimarisiko⁠ senken können.

Die Studie wurde im Auftrag der Bundesregierung durch ein wissenschaftliches Konsortium und unter Einbindung von Expertinnen und Experten aus 25 Bundesbehörden und -institutionen aus neun Ressorts im Behördennetzwerk „Klimawandel und Anpassung“ erarbeitet. Die Ergebnisse der Studie sind eine wesentliche Grundlage für die Weiterentwicklung der Deutschen Strategie zur ⁠Anpassung an den Klimawandel⁠ (⁠DAS⁠).

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Umweltbundesamt.

Welches Konzept ein Landwirt für sein Gut entwickelt hat, um Wasser zu sparen und welche Maßnahmen Deutschland ergreifen muss, um das Pariser Klimaabkommen noch einhalten zu können, könnt ihr in unserem Klimablog nachlesen.

 

Salpen düngen das Südpolarmeer effektiver als Krill

Eine Kolonie von Salpen schwebt im blauen Wasser

© Dapaan / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Pressemitteilung, 02.06.2021, Alfred-Wegener-Institut

Kotballen der Manteltiere sorgen für höhere Verfügbarkeit von Eisen als die von Krill

Forschende des Alfred-Wegener-Instituts haben erstmals experimentell die Freisetzung von Eisen aus den Kotballen von Krill und Salpen unter natürlichen Bedingungen gemessen und dessen Verfügbarkeit an einer natürlichen Gemeinschaft von Kleinalgen des Südpolarmeeres getestet. Antarktisches Phytoplankton kann den Mikronährstoff Eisen aus dem Kot von Salpen im Vergleich zu Krill besser aufnehmen. Beobachtungen der letzten 20 Jahre zeigen, dass der Antarktische Krill im Südpolarmeer als Folge des Klimawandels zunehmend von Salpen verdrängt wird. In Zukunft könnten Salpen effektiver als Krill die Fixierung des Treibhausgases Kohlendioxid durch antarktische Mikroalgen ankurbeln. Das berichtet das Forschungsteam jetzt in der Fachzeitschrift Current Biology.

Eisen ist die primär limitierende Ressource für das Wachstum von Phytoplankton in weiten Teilen des Südpolarmeeres. Somit bestimmt die vorhandene Menge an Eisen maßgeblich, wie viel CO2 die Kleinalgen fixieren und wieviel Biomasse dadurch an der Basis des Nahrungsnetzes zur Verfügung steht. Studien belegen deutlich, dass im Zuge des Klimawandels der antarktische Krill, die Schlüsselart des Südpolarmeeres, zukünftig von Salpen verdrängt wird.

„Wir haben untersucht, was ein Regimewechsel von Krill zu Salpen für die Primärproduktion bedeutet“, berichtet Dr. Scarlett Trimborn vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Die Leiterin der AWI-Forschungsgruppe EcoTrace führte mit ihrem Team auf einer Expedition mit dem Forschungsschiff Polarstern dazu erstmals Experimente mit natürlichen Phytoplanktonpopulationen im Südozean rund um Elephant Island durch. Als Eisenressource boten die Forschenden den Kleinalgengemeinschaften Kotballen von Krill und Salpen an, denn mit einem Regimewechsel zwischen den Arten würde in Zukunft auch mehr Kot durch Salpen produziert.

„Wir waren überrascht, dass das Kotballenmaterial von Salpen im Vergleich zu Krill pro Mikrogramm Kohlenstoff mehr Eisen freisetzt. Außerdem haben wir herausgefunden, dass das Eisen, welches sich aus den Kotballen der Salpen gelöst hat, besser für Phytoplankton verfügbar war, als das Eisen aus Krill-Kotballen“, berichtet Sebastian Böckmann aus der EcoTrace-Gruppe und Erstautor der Studie. Die Phytoplanktongemeinschaften konnten bis zu fünfmal mehr Eisen aus den Salpen-Kotballen aufnehmen als aus den Ausscheidungen des Krills. Grund für die größere Eisenaufnahme könnten Liganden sein, die die Verfügbarkeit des Eisens für die Algen erhöhen. Dies könnte einen deutlichen Anstieg der CO2-Fixierung durch Phytoplankter zur Folge haben.

Das Südpolarmeer ist für die Klimaentwicklung hochrelevant, denn die riesigen Gebiete können potentiell große Mengen CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen oder auch an sie abgeben. In einigen Regionen, beispielsweise rund um die Antarktische Halbinsel, ändert sich durch den Klimawandel die Meereisbedeckung. Ist der Ozean eisfrei, dringt mehr Sonnenlicht als Energiequelle für die Photosynthese in die oberen Wasserschichten ein. Allerdings bestimmt die Verfügbarkeit der Ressource Eisen maßgeblich die CO2-Aufnahme durch Mikroalgen. „Wir wissen zwar, aus welchen Quellen Eisen ins Südpolarmeer eingetragen wird, bisher ist allerdings vollkommen ungeklärt, wie viel von dem Eisen überhaupt von den Mikroalgen aufgenommen werden kann, vor allem was dessen Freisetzung durch das Recycling von Grazern wie Salpen und Krill betrifft. Unsere Studie liefert einen wichtigen Beitrag zur Modellierung der Stoffkreisläufe im Südpolarmeer der Zukunft“, resümiert Scarlett Trimborn.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut.

Rund um die Elephant Island wurden in regelmäßigen Abständen Gruppen von Finnwalen gesichtet. Mehr darüber könnt ihr in unserem Forschungsblog nachlesen.

 

Antarktischer Hotspot: Finnwale lieben die Gewässer um Elephant Island

Ein Finnwal taucht an der Wasseroberfläche auf

© Erwin Kreijne / Wikipedia Commons (CC BY 3.0)

Pressemitteilung, 27.05.2021, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Tonaufnahmen belegen: Die Bartenwale nutzen fast ganzjährig die krillreichen Gewässer der Insel, die daher unter Schutz gestellt werden sollten

Finnwale sind in der Zeit des kommerziellen Walfanges so stark bejagt worden, dass nur ein kleiner Teil der Population auf der Südhalbkugel überlebt hat und Meeresbiologen bis heute nur wenig über das Leben der zweitgrößten Wale der Welt wissen. Um so erfreulicher sind nun Forschungsergebnisse von Wissenschaftler:innen des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und des Johann Heinrich von Thünen-Institutes für Seefischerei, wonach sich eine große Zahl der Bartenwale regelmäßig in den krillreichen Gewässern um Elephant Island aufhält. Beweise dafür liefern Unterwasser-Tonaufnahmen aus der Region, auf denen im Spitzenmonat Mai so viele Finnwalrufe zu hören sind, dass die einzelnen Laute zu einem Klangteppich verschmelzen, berichtet das Forscherteam jetzt im Fachmagazin Royal Society Open Science. Angesichts dessen fordern die Meeresbiologen nun Schutzmaßnahmen für diesen wichtigen Lebensraum, um die sich andeutende Erholung der Finnwal-Population nicht zu gefährden.

Finnwale sind immer noch selten und kommen laut Lehrbuch in Gruppen von drei bis maximal sieben Tieren vor. Umso überraschter war AWI-Meeresbiologin Elke Burkhardt, als sie im antarktischen Spätsommer 2012 auf einer Expedition des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern in die Scotiasee mehr als 100 Finnwale im Meer nördlich der Elephant Island zählte. War diese Ansammlung ein Zufallsfund oder treffen die zweitgrößten Bartenwale der Welt hier regelmäßig in so großer Zahl aufeinander? Und wenn ja, warum?

Um Antworten auf diese Frage zu finden, brachten Elke Burkhardt und ihr Team im Januar 2013 eine Verankerung mit zwei Unterwasser-Akustik-Rekordern sowie einem Gerät zur Bestimmung des Nahrungsangebotes im Küstenbereich nordwestlich der Insel aus. Drei Jahre lang, von Januar 2013 bis Februar 2016, zeichneten die Instrumente die Geräuschkulisse der Unterwasserwelt sowie Daten zum Nahrungsangebot in der oberen Wassersäule auf und halfen somit, einen der wohl wichtigsten Lebensräume der südlichen Finnwale zu identifizieren.

„Unsere Polarstern-Beobachtungen waren kein Zufall. Wie unsere Aufnahmen zeigen, halten sich die Tiere regelmäßig von Dezember bis August in den Gewässern rund um Elephant Island auf. Sie machen hier nicht nur Jagd auf Antarktischen Krill, sondern beginnen auch mit der Partnersuche. Die meisten Finnwal-Rufe haben unsere Rekorder nämlich genau in jener Jahreszeit aufgezeichnet, in der auch die Fortpflanzungszeit der Population auf der Südhalbkugel beginnt“, berichtet Elke Burkhardt.

Identifizieren lassen sich die Finnwale anhand eines artspezifischen dumpfen Lautes: „Menschen würden ihn vermutlich nur als Vibration in der Magengrube wahrnehmen, denn seine zentrale Frequenz liegt bei etwa 20 Hertz und damit ausgesprochen tief“, erklärt Elke Burkhardt. Paarungsbereite Finnwal-Bullen, die Weibchen anlocken wollen, stoßen diesen Bass-Laut in schneller, regelmäßiger Abfolge aus. „Ihr Werben erklärt vielleicht auch, warum unsere Rekorder im Monat Mai so viele dieser Rufe aufgezeichnet haben, dass sie zu einem Klangteppich verschmolzen sind und kaum noch als Einzellaute auszumachen waren“, erzählt die AWI-Meeresbiologin.

Neue Argumente für ein Meeresschutzgebiet rund um Elephant Island

Ihre Freude über die vielen Finnwale an Elephant Island ist groß: „Sollte diese Ansammlung tatsächlich ein Anzeichen für eine wachsende Finnwal-Population sein, dann wäre das ein Achtungserfolg für das internationale Walfang-Moratorium, welches vor 35 Jahren in Kraft getreten ist“, sagt die Meeresbiologin.

Gleichzeitig aber geben die neuen Erkenntnisse auch Anlass zur Sorge: „In der Scotiasee wird zum einen viel nach Antarktischem Krill gefischt; zum anderen wird dieses für Finnwale sehr bedeutsame Gebiet häufig von Kreuzfahrtschiffen besucht. Aus diesen Gründen ist es nun umso wichtiger, das Meeresgebiet rund um Elephant Island umfassend zu schützen und sowohl die Krillfischerei als auch den Tourismus so zu regulieren, dass ein Schaden für den Finnwal-Bestand ausgeschlossen werden kann“, sagt Elke Burkhardt. Dafür sollte regelmäßig das akustische Umfeld (Soundscape) aufgezeichnet werden, um Veränderungen der Bestände zu dokumentieren.

Wo verbringen die Finnwale von Elephant Island den Winter?

Bei der Analyse seiner Unterwasseraufnahmen stieß das Forschungsteam noch auf ein weiteres interessantes Detail. Der 20-Hertz-Ruf enthält mitunter einen Begleitklang mit einer Frequenz von 86 Hertz. Dieser wiederum gleicht Finnwal-Lauten, die chilenische Meeresbiologen vor der zentralen Küste Chiles aufgezeichnet hatten – und zwar vor allem in jener Jahreszeit, in der die Rekorder an Elephant Island nur selten Töne der Bartenwale aufzeichneten. Werden die Laute in beiden Regionen eventuell von ein und derselben Walpopulation erzeugt, die zwischen den südlichen Shetland-Inseln, zu denen Elephant Island gehört, und der Pazifikküste Chiles hin- und herwandert?

„Es wird vermutet, dass Finnwale populationsspezifische Begleittöne erzeugen, anhand derer man unterschiedliche Populationen voneinander unterscheiden kann. Sollte diese Annahme stimmen, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass jene Finnwale, die sich im Südsommer an Elephant Island aufhalten, ihre Kälber später im Jahr in den wärmeren Gewässern vor der chilenischen Pazifikküste auf die Welt bringen und diese Wale regelmäßig zwischen beiden Gebieten pendeln“, sagt Elke Burkhardt.

Um Gewissheit zu erlangen, seien jedoch weitere Untersuchungen notwendig, für die das Forschungsteam aus Bremerhaven weitere Unterwasserrekorder im Umfeld der Insel verankert hat. Diese sollen im Jahr 2022 geborgen werden. Derzeit werten die Meeresbiolog:innen ihre Unterwasseraufnahmen aus der Zeit nach 2016 aus. Erste Ton-Schnipsel sind vielversprechend: Der Finnwal-Treffpunkt an Elephant Island war auch in den Sommern nach 2016 sehr gut besucht.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.

Ein Eisberg, doppelt so groß wie Berlin, droht in der Antarktis abzubrechen. Mehr dazu erfahrt ihr in unserem Forschungsblog.

Unterwasserlärm betrifft Pinguine genauso wie Wale und Delfine

Fünf Pinguine stehen auf dem Eis vor der Kante zum Meer

© Dylan Shaw / Unsplash

Pressemitteilung, 22.04.2021, Umweltbundesamt

Woche gegen Lärm im Meer präsentiert Ergebnisse aus Forschungsprojekt

Die Weltmeere werden immer stärker durch vom Menschen verursachten Lärm belastet. Meerestiere können durch solchen Lärm gestört oder sogar verletzt werden. Das vom Umweltbundesamt (UBA) geförderte internationale Forschungsprojekt „Hörvermögen von Pinguinen“ zeigt, dass auch Pinguine, genau wie Wale und Robben, im Meer hören und auf Lärm reagieren. Weltweit erstmals werden Hörkurven von Pinguinen erstellt, die zeigen, wie gut die Tiere in unterschiedlichen Frequenzbereichen hören. Während Lärm für Menschen bereits auf der Ebene des Störens geregelt ist, fehlen solche Schutzkonzepte für den größten Teil des marinen Lebens. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes: „Unterwasserlärm überschreitet alle Grenzen. Wir brauchen dafür eine politische Lösung auf EU- und auch auf internationaler Ebene.“ Die Ergebnisse des Forschungsprojektes werden am 28.04.2021, dem Tag gegen Lärm, während der Woche gegen Lärm im Meer präsentiert. Die Woche gegen Lärm im Meer startet am 25.04.2021.

In dem deutsch-dänischen Forschungsprojekt wurde weltweit erstmals das Hörvermögen von Pinguinen erforscht. Die erste vollständige Hörkurve eines Pinguins wird in Kürze vorliegen. Erste Ergebnisse zeigen zudem, dass Pinguine bereits bei relativ leisen Geräuschen erschrecken und von der Schallquelle wegschwimmen. Untersuchungen an Pinguinen in freier Wildbahn unterstützen diese Ergebnisse. Dort führte der Einsatz seismischer Airguns in 100 km Entfernung dazu, dass die untersuchten Pinguine ein Nahrungsgebiet nicht mehr aufsuchten.

Lauter Schall kann sich schädigend auf das Hörvermögen von Tieren auswirken und eine Verschiebung der Hörschwellen, also eine „Schwerhörigkeit“, auslösen. Auch wenn Unterwasserschall das Gehör nicht verletzt, kann er stören und dadurch negativ wirken. Insbesondere von Schiffen und einigen Forschungsgeräten ausgesandte tieffrequente Schallwellen können weit und laut im Meer wahrgenommen werden. Dadurch können Tiere aus relevanten Lebensräumen vertrieben, Verhalten geändert oder Kommunikation mit Artgenossen gestört und so ihre biologische Fitness negativ beeinträchtigt werden. Dirk Messner: „Schiffe müssen einfach von Anfang an möglichst leise entwickelt werden. Der Blaue Engel für Schiffsdesign gibt hier die richtigen Anstöße. Er wird aber leider noch viel zu selten angestrebt.“

Unterwasserlärm durch Rammungen oder den Einsatz von seismischen Airguns kann bis zu 1.000-mal lauter als Schiffslärm sein. In den meisten Regionen stellt der Lärm durch die Schifffahrt aber die dominante Lärmquelle in den Weltmeeren dar. Und die Anzahl der Schiffe weltweit steigt jährlich weiter an. Die Seeschifffahrtsorganisation (IMO) der ⁠UN⁠ hat schon 2014 freiwillige Richtlinien zur Reduzierung von Unterwasserlärm veröffentlicht, die empfehlen, bereits beim Design der Schiffe die Lärmemissionen zu minimieren. Trotzdem gab es seitdem aber kaum Fortschritte bei der Reduzierung von Schiffslärm in der Handelsschifffahrt.

Im Südpolarmeer sind Pinguine, aber auch Wale und Robben durch den Antarktis-Vertrag vor Störungen durch Unterwasserschall und anderen menschgemachten Einflüssen geschützt. Das ⁠UBA⁠ prüft als zuständige deutsche Behörde für Aktivitäten in der Antarktis vor einer Genehmigung mögliche Umweltauswirkungen auf geschützte Arten.

Schweinswale, die einzige in Deutschland heimische Walart, werden durch ein Schallschutzkonzept geschützt. Für die Antarktis setzt sich das UBA dafür ein, die dort lebenden Tiere durch ein Konzept in Anlehnung an das deutsche Schallschutzkonzept, zu schützen und hat deshalb ein bis 2023 laufendes Forschungsprojekt beauftragt, das die dafür notwendigen Schallschutzwerte für die Antarktis identifizieren soll.

Mit der Woche gegen Lärm im Meer soll über das Thema Unterwasserschall informiert und auf Zusammenhänge aufmerksam gemacht werden. Sie wird durch das Deutsche Meeresmuseum und das Naturkundemuseum Berlin im Rahmen eines Forschungsvorhaben für das Umweltbundesamt durchgeführt. Die Woche gegen Lärm im Meer beginnt am Tag des Pinguins (25.04.2021) und präsentiert am Tag gegen Lärm (28.04.2021) die Ergebnisse des Vorhabens. Als weiteres Highlight findet am 28.04.2021 eine Podiumsdiskussion mit der UBA-Vizepräsidentin Dr. Busse und weiteren hochrangigen Teilnehmern statt.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Umweltbundesamt.

Hier findet ihr weitere Informationen über die Ursachen und Auswirkungen von Unterwasserlärm und den Kurzfilm „Unterwasserlärm – Ein unüberhörbares Problem“.

 

Schätze am Meeresboden schützen

Eine gemalte Darstellung vom Tiefseebergbau

© WWF Portugal

Pressemitteilung, 10.02.2021, WWF

WWF: Tiefseebergbau ist eine vermeidbare Umweltkatastrophe / Weltweites Moratorium gefordert

Der heute veröffentlichte WWF-Bericht „In Too Deep: What We Know, And Don’t Know, About Deep Seabed Mining“ skizziert die wichtigsten ökologischen und sozialen Risiken des Tiefseebergbaus, die mit der Zulassung dieser Industrie verbunden wären. Laut WWF hätte der kommerzielle Abbau von marinen mineralischen Rohstoffen wie Kobalt, Lithium und Nickel in Tausenden Metern Wassertiefe aller Voraussicht nach zerstörerische Auswirkungen auf die Ökosysteme und die Artenvielfalt der Tiefsee.

Auch die globale Fischerei, Lebensgrundlage von weltweit etwa 200 Millionen Menschen, insbesondere in Entwicklungsländern, könnte beeinträchtigt werden. Außerdem könnten großflächige Eingriffe am Meeresgrund die Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe im Meer gefährden.

„Einige industrielle Akteure behaupten, dieser Rohstoffabbau in der Tiefsee sei notwendig, um die Nachfrage nach Mineralien zu befriedigen, die in Batterien für Elektroautos und in den elektronischen Geräten in unseren Taschen stecken. Aber hier sind die Prioritäten wohl falsch gesetzt“, sagt Tim Packeiser, WWF-Experte für Tiefseebergbau. „Wir können unsere bereits belasteten Meere nicht noch weiter zerstören. Stattdessen sollten vorhandene Materialien besser recycelt werden. Statt einen Run auf die Tiefsee zu eröffnen, müssen wir in die Entwicklung rohstoffsparender Produktionsweisen und alternativer Produkte investieren und insgesamt unseren Verbrauch senken.“ Die Unterstützung des industriellen Tiefseebergbaus läuft der Idee einer Kreislaufwirtschaft und den Zielen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen zuwider.

Auch die Behauptungen von Tiefseebergbau-Akteuren hinsichtlich der Möglichkeiten, Umweltschäden zu mindern, betrachtet der WWF skeptisch. „Angesichts der Langsamkeit der Tiefseeprozesse ist es unwahrscheinlich, dass sich zerstörte Lebensräume innerhalb menschlicher Zeiträume erholen. Vorsorge muss deshalb das leitende Prinzip für alles Handeln in der Tiefsee sein“, betont Tim Packeiser. Durch Bergbauaktivitäten am Meeresgrund aufgewirbelte Sedimente und der Wiedereintrag von Abraum ins Meer können riesige Trübungswolken bilden, die mit den Meeresströmungen weit über die eigentlichen Abbaugebiete hinausgetragen werden. Letztlich tragen die Allgemeinheit und der gesamte Planet die Risiken, während sich die wirtschaftlichen Vorteile des Tiefseebergbaus auf wenige Unternehmen beschränken werden. Dabei gilt der Meeresboden außerhalb nationalstaatlicher Grenzen laut Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen als „Gemeinsames Erbe der Menschheit“.

Der WWF fordert ein weltweites Moratorium für den Tiefseebergbau, bis die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen umfassend verstanden sind und bis bewiesen ist, dass Tiefseebergbau in einer Weise betrieben werden kann, die den effektiven Schutz der Meeresumwelt gewährleistet und den Verlust der Artenvielfalt verhindert. Zudem sollten zuvor alle alternativen Möglichkeiten, unseren Rohstoffverbrauch durch Kreislaufwirtschaft zu minimieren, ausgeschöpft werden. „Mit dem Wissensstand von heute ist Tiefseebergbau ein unverantwortliches Risiko. Bevor nicht bewiesen ist, dass großflächiger Rohstoffabbau ohne erhebliche Auswirkungen auf die hochsensiblen Lebensgemeinschaften der Tiefsee betrieben werden kann, darf gar nicht erst damit begonnen werden. Die Tiefsee selbst ist der Schatz“, so Tim Packeiser.

Diese Pressemitteilung und den zugehörigen WWF Report „In Too Deep: What We Know, And Don’t Know, About Deep Seabed Mining findet ihr beim WWF.

Weitere Informationen zum Tiefseebergbau könnt ihr bei unserer Kampagne DEEP SEA und in unserem Tiefseeblog nachlesen.

Erstmals Glyphosat-Nachweis im Meer

Pressemitteilung, 14.12.2020, IOW Leibnitz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

IOW entwickelt neue Methode und führt erfolgreiche Messungen in der Ostsee durch

Glyphosat ist einer der weltweit meistgenutzten Unkrautvernichter. Das umstrittene Herbizid,
das unter anderem im Verdacht steht, krebserregend zu sein, wird auch in Deutschland
intensiv genutzt. Vom Land gelangt es in Flüsse, die es ins Meer spülen. Wie viel sich dort
findet, war allerdings bisher unbekannt, denn in Salzwasser waren Glyphosat und sein
Abbauprodukt Aminomethylphosphonsäure (AMPA) aus methodischen Gründen nicht
nachweisbar. Marisa Wirth vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) hat
nun eine neue Methode entwickelt, mit der beide Stoffe im Meer zuverlässig gemessen
werden können. Damit konnte sie Glyphosat und AMPA erstmals in der Ostsee nachweisen.
Glyphosat, das als sogenanntes „Totalherbizid“ vor allem in Landwirtschaft, Gartenbau und
Industrie genutzt wird, aber auch in Privathaushalten häufig zur Anwendung kommt, gelangt
durch Regen- und Winderosion von den Einsatzflächen in Bäche, Flüsse und Seen.
Dementsprechend kann es gemeinsam mit seinem durch biologische Prozesse entstehenden
Abbauprodukt, der Aminomethylphosphonsäure (AMPA), weltweit im Süßwasser
nachgewiesen werden. IOW-Forscher konnten beide Stoffe auch schon in Ästuaren
nachweisen, die in die Ostsee münden, niemals jedoch im Meer selbst. Wie toxisch das
Herbizid auf Meeresorganismen wirkt, ist nicht abschließend geklärt.
„Als Grundvoraussetzung, um das Gefahrenpotenzial einer Substanz für ein Ökosystem
beurteilen zu können, muss man zu allererst herauszufinden, ob und in welchen
Konzentrationen die Substanz dort nachgewiesen werden kann“, hebt Marisa Wirth hervor,
die sich in ihrer Doktorarbeit am IOW auf den Nachweis von Glyphosat in Umweltproben
spezialisiert hat. „Ausgangspunkt für unsere aktuelle Studie war daher die Frage, ob
Glyphosat und AMPA tatsächlich nicht im Meer ankommen – etwa durch biologischen
Abbau und Ablagerung in den Fließgewässern –, oder ob es schlichtweg methodische
Schwierigkeiten sind, die bislang einen Nachweis in marinen Ökosystemen verhindert
haben“, erläutert die Meereschemikerin weiter.
Eine aus den Ästuar-Studien bekannte Hürde für einen zuverlässigen Nachweis im Meer ist die
starke Verdünnung der beiden Zielsubstanzen, je weiter man sich von den Flussmündungen
entfernt und Proben im offenen Meer nimmt. „Bevor man Glyphosat und AMPA mit
instrumentellen Mitteln – Flüssigchromatographie und Massenspektrometrie – überhaupt
messen kann, werden die Proben so stark aufkonzentriert, dass die Geräte die Substanzen
erfassen können“, schildert Wirth einen wichtigen Arbeitsschritt in der Glyphosat-Analytik. Bei
Meerwasserproben erwies sich für diesen Schritt bislang das darin enthaltene Salz als
Problem: Bei der Festphasenextraktion, mit der man die Aufkonzentration erreicht und bei der
die Zielsubstanzen aus einer flüssigen Probe erst an ein festes Trägermaterial gebunden und
danach wieder in ein sehr viel kleineres Flüssigkeitsvolumen überführt werden, verhindern die
Salzionen die Bindung der Glyphosat- und AMPA-Moleküle an die feste Phase. „Unsere
Zielsubstanzen ‚rauschen‘ also quasi ungehindert durch die Festphase durch und gehen
verloren, weil das Salz alles blockiert“, so Wirth. Auch bei der eigentlichen Messung können
die Salze Störeffekte hervorrufen und instrumentelle Signale verschieben oder unterdrücken,
so dass keine zuverlässige Analyse möglich sei, führt die Chemikerin aus.
Um die Salz-Störeffekte bei der Probenaufkonzentration in den Griff zu bekommen, testete
Wirth verschiedene Trägermaterialien für die Festphasenextraktion und konnte als geeignetes
Material schließlich ein Polymer identifizieren, das durch sogenannte molekulare Prägung
hochselektiv Glyphosat und AMPA bindet und zugleich unempfindlich gegenüber dem Salz
der Meerwasserproben ist. Außerdem etablierte sie erfolgreich einen zusätzlichen
Aufreinigungsschritt vor der instrumentellen Messung, der eine störungsfreie Analytik erlaubt.
Nach gründlicher Validierung der neuen Methode, auch für unterschiedliche Salzgehalte
zwischen 5 und 20 bzw. 35, wie sie typischerweise in der Ostsee und in den offenen Ozeanen
auftreten, wurde das Verfahren an natürlichen Umweltproben von sieben verschiedenen
Beprobungsstellen in der Westlichen Ostsee getestet. Beide Substanzen, sowohl Glyphosat,
als auch sein Abbauprodukt AMPA konnten nachgewiesen werden – damit erstmals im Meer.
Die Glyphosatkonzentrationen zwischen 0,42 und 0,49 ng/l waren, unabhängig von der
Entfernung zur Küste, recht konstant mit Ausnahme einer Messung von 1,22 ng/l in der
inneren Lübecker Bucht. Die AMPA-Konzentrationen (maximal 1,47 ng/l) waren in der Nähe
von Flussmündungen deutlich höher als weiter draußen im Meer, wo sie zum Teil unter die
Nachweisgrenze der neuen Methode fielen.
„Mit der am IOW entwickelten Glyphosat- und AMPA-Analytik können wir erstmals in
Konzentrationsbereichen unterhalb von 1 ng/l messen, wie sie in marinen Ökosystemen zu
erwarten sind – und das störungsfrei bei allen Salzgehalten, die man in den unterschiedlichen
Meeresgebieten der Welt findet“, sagt Marisa Wirth. Die jetzt in der Ostsee gemessenen Werte
lägen weit unterhalb der Konzentrationen, die für Menschen oder Meeresorganismen als
bedenklich diskutiert werden. Aber da bisher nur diese punktuellen Messungen vorliegen, sei
noch keine Datenbasis für eine Einschätzung vorhanden, inwieweit die Ostsee durch diese
Stoffe gefährdet ist, so Wirth weiter. „Wir haben jetzt aber eine hinreichend sensitive und
zuverlässige Methode, mit der man ein aussagefähiges Umweltmonitoring im Meer für beide
Substanzen durchführen kann. Auch sind jetzt Studien möglich, die sich mit aktuellen
Forschungsfragen beschäftigen, beispielsweise mit Transport, Beständigkeit oder Abbau von
Glyphosat und AMPA in der Meeresumwelt“, kommentiert die IOW-Forscherin abschließend.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim IOW.

Welche Auswirkungen diese Umweltgifte auf große Meeressäuger wie Wale haben, erfahrt ihr in unserem  Forschungsblog.

 

 

Im Boden der Weltmeere lagern bis zu 16 Millionen Tonnen Mikroplastik

Ein Strand ist übersäht mit Müll aus kleinem Makro- und Mikroplastik

© sergeitokmakov / Pixabay

An der Meeresoberfläche im Pazifik schwimmt ein Müllstrudel mit der vierfachen Größe von Deutschland und unter Wasser sieht es noch schlimmer aus. In einer australischen Studie berechneten Wissenschaftler:innen eine Gesamtmenge von neun bis 16 Millionen Tonnen Mikroplastik in den Böden unserer Weltmeere. Jedes weitere Jahr kommen ungefähr 1,5 Millionen Tonnen dazu. Während Plastik eine gesundheitliche Gefahr für Tiere und Menschen darstellt, produziert Phytoplankton einen Großteil des Sauerstoffs, den wir atmen. Dass an vielen Orten bereits mehr Plastikpartikel als Plankton im Meer schwimmen könnte, ist besorgniserregend. Mit dem Verbot von bestimmten Plastikprodukten im Jahr 2021 erhofft sich die Politik, diese Mengen zukünftig zu reduzieren. 

Den zugehörigen Artikel „Im Boden der Weltmeere lagern bis zu 16 Millionen Tonnen Mikroplastik“ vom 07.10.2020 findet ihr bei Spiegel Online.

Wenn ihr in eurem Alltag mehr auf die Vermeidung von Mikroplastik achten wollt, könnt ihr euch den Einkaufsratgeber vom BUND angucken. Weitere Alternativen zu (Einweg)Plastik findet ihr bei unserer Kampagne BLUE STRAW.

//