Apnoetaucherin, die nach unten schwimmt und einen Druckausgleich macht.

© Lea Teichmann, DEEPWAVE

Schwerelos schwebe ich ein paar Zentimeter über dem Meeresgrund. Nur meine Knie und Zehen berühren hin und wieder den Sand unter mir, der sich – genau wie ich – sanft mit der Strömung hin- und herwiegt. Es ist still hier unten. Das einzige was ich höre, wenn ich ganz genau in mich hineinfühle, ist mein Herzschlag. Ich spüre meine ausgedehnte Lunge, auf die ich mich an diesem Ort vollends verlassen muss, und entspanne meinen Oberkörper. Ich mag es, wie ich mich hier treiben lassen, innehalten, und einfach sein kann. Wenn Wasser mich umgibt, fühle ich mich zugleich ganz alleine auf dieser Welt – da bin nur ich, und alles, was ich kenne und was gerade passiert, scheint ganz fern, und ich fühle mich so verbunden zur Natur und zum Universum wie nie – als wäre ich ein kleines Partikel, das auf einmal Teil des Ganzen wird. Hätte jemand das Bedürfnis, dem alltäglichen Trubel zu entkommen, würde ich ihn hierherbringen. Aber leider kann ich nicht ewig bleiben. Als lungenatmendes Lebewesen bin ich darauf angewiesen, meinen Körper regelmäßig mit Sauerstoff aus der Luft zu versorgen. Also richte ich meinen Blick weg vom tänzelnden Sand und dem sich ewig erstreckenden Blau hoch zur glitzernden Wasseroberfläche. Niemand da. Ich verlagere mich ins Senkrechte, tippe ein letztes Mal leicht mit den Zehen gegen den Grund und schwimme gen Himmel. Erst muss ich viel Kraft aufbringen, um gegen den Druck, der mich in der Tiefe hält, anzuschwimmen. Die letzten Meter treibe ich jedoch wie von allein nach oben. Ich durchbreche die Wasseroberfläche und puste die Hälfte meiner angehaltenen Luft aus, um dann wieder tief einzuatmen, bevor ich vollständig ausatme und meinen Atem wieder reguliere. Zum siebten Mal war ich heute dort unten. Jetzt merke ich, wie erschöpft mein Körper bereits ist. Auf nüchternen Magen und mit wenig Schlaf ist meine Energie schnell aufgebraucht. Vielleicht ist es an der Zeit, ans Ufer zurückzukehren. Zurück zur wirklichen Welt.

Schon oft habe ich über Apnoetaucher:innen nachgedacht, die darauf angewiesen sind, täglich viele Stunden im Wasser zu verbringen, um ihre Familien zu ernähren. Wie erleben sie die Zeit unter Wasser? Ist ihre Erfahrung – obwohl sie Essbares finden und jagen müssen – ebenso meditativ wie meine? Wie schaffen sie es, wieder und wieder, Tag für Tag, über mehrere Stunden hinweg abzutauchen und minutenlang das Meer abzusuchen? Körperlich und mental müssen sie unglaublich stark, quasi unverwundbar, sein.

Der Meinung ist auch Hyung S. Kim, ein Fotograf aus Seoul, der zwischen 2012 und 2014 regelmäßig auf die Jeju Insel in Südkorea gereist ist, um dort haenyeo (zu deutsch: Meeresfrauen) zu fotografieren. Seit vielen Jahrhunderten tauchen diese Frauen täglich nach Meeresfrüchten – nur mit altmodischen Masken, Anzügen und Bleigewichten ausgestattet. Dabei verlassen sie sich auf ihre Fähigkeit, die Luft für mehrere Minuten anhalten zu können, um mit Hilfe von scharfem Werkzeug Muscheln, Schnecken und andere Lebewesen aus den Spalten auf dem Meeresboden auszugraben. Dieser Arbeit gehen die haenyeo täglich bis zu sieben Stunden nach. Und das ist nicht alles: die Frauen, die Hyung S. Kim in seinen Fotos abbildet, sind zum Teil über 90 Jahre alt! Er hat sie nach ihrer stundenlangen Arbeit im Wasser vor einer weißen Leinwand fotografiert, um die Stärke der Frauen verbunden mit menschlicher Zerbrechlichkeit festzuhalten.

2016 wurden die haenyeo zur UNESCO Liste „Intangible Cultural Heritage of Humanity” hinzugefügt. In den 1960ern gab es noch ca. 20.000 Taucher:innen auf Jeju, während heutzutage lediglich 2.500 haenyeo nach Schalentieren tauchen. Durch ihren Einsatz fördern sie nicht nur die Stellung der Frauen in der Gemeinschaft, sie helfen durch umweltfreundliche Fischereimethoden auch, ein nachhaltigeres Leben zu schaffen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich diese starken Frauen fühlen müssen, wenn sie täglich durchs Wasser gleiten, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und doch kann ich ihre Erschöpfung nach den Tauchgängen nachempfinden, wenn ich mir die Fotos von Hyung S. Kim anschaue.

In einem Beitrag des New Yorker findet ihr die Werke des Fotografen und Auszüge aus einem Interview mit ihm zu den Meeresfrauen von Jeju. Und dieser Videobeitrag der UNESCO lässt euch noch mehr in die Welt der haenyeo eintauchen.

Lea Teichmann für DEEPWAVE

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